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Tirol - der goldene Westen?

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Ein Kenner Tirols, der alle paar Jahre durch das Land fährt und den herrlichen, von hohen Bergen und ausgedehnten Wäldern umrahmten Tälern sowie den Städten und Dörfern einen Besuch abstattet, wird immer wieder von neuem beeindruckt und überrascht sein, wie viele Neubauten — seien es Schulen, Kirchen und vor allem Wohnhäuser — entstanden sind. Es ist dies sicher ein Zeichen des Fleißes, der Initiative und des Sparsinns des Tiroler Volkes, aber nicht zuletzt auch das Ergebnis eines in den letzten zehn Jahren einmalig hoch entwickelten Ausländerfremdenverkehrs.

Tirol ist bekanntlich das führende Land Österreichs im Ausländerfremdenverkehr. Sein Anteil beträgt kn Durchschnitt 38 Prozent; hinsichtlich des Winterhalbjahres sogar 50 Prozent. In Geld umgerechnet bedeutet dies, daß Tirol für die österreichische Zahlungsbilanz jährlich zwischen fünf und sechs Milliarden Schilling einbringt.

Dieser Fremdenverkehr wirkt befruchtend biis in die entlegensten Täler des Landes, weil der fremde Gast immer mehr ruhige und erholsame Plätze sucht. Daher auch die in den letzten Jahren besonders intensive Entwicklung des Siedlungsbaues, da auch schon ein oder zwei vermietete Fremdenzimmer in einem Siedlungshaus die so dringend benötigten Einnahmen bringen. Nun hat allerdings die Bettenkapazität ein Höchstausmaß erreicht, so daß für die Zukunft nicht mehr die Quantität, sondern die Qualität gefördert werden muß. Gezielte Kreditgewährung, steuerliche Begünstigungen, insbesondere für Restaura- tions- und Küchenbetriebe, Verstärkung der Werbetätigkeit, weitere Erschließung von ruhigen Erholungsgebieten, das sind jene Maßnahmen, die für die Zukunft zur Förderung des Fremdenverkehrs erforderlich sind.

Tirol ist natürlich nicht nur ein Fremden- verkehrsäand. Es verfügt auf Grund der vorhandenen Wasserkräfte über ein beachtliches Energiepotential, das auch intensiv durch den Bau von großen Staukraftwerken genutzt wird. Die großen Vorräte an Magnesit und Mergel haben zur Folge, daß Tirol mehr als ein Drittel der österreichischen Magnesitproduktion und fast ein Viertel der österreichischen Zemeniterzeugung aufbringt.

Die Industrialisierung unseres Landes hat seit 1945 zwar stark zugenommen, liegt jedoch auch heute noch unter dem gesamtösterreichischen Durchschnitt. Mit einem Anteil von mehr als 6 Prozent der österreichischen Bevölkerung beträgt der Anteil an der österreichischen Industrieproduktion rund 4 Prozent. Durch agile und tüchtige Unternehmer- Persönlichkeiten sind jedoch einige auch im Exportgeschäft nicht übersehbare Großbetriebe entstanden, wie zum Beispiel die Firma Swarovski in Wattens, die Jenbacher Werke sowie das Planseewerk in Reutte.

Die sogenannte Infrastruktur ist dabei keineswegs ungünstig, wenn es auch Gebiete gibt, wie das Lechtal, das Paznaun- und Pitztal und Teile von Qsttirol, wo die für die Entwicklung einigermaßen bedeutsamer Industriebetriebe notwendigen Grundvoraussetzungen größtenteils erst geschaffen werden müssen. Dafür verfügen gerade diese Gegenden meistens über die notwendigen Arbeitskräfte. Das Ausednanderliegen von Wohn- und Arbeitsplatz (Pendlerproblem) trifft in Tirol für etwa 25.000 Beschäftigte zu.

Der Jahresumsatz des Tiroler Gewerbes hat 4 Milliarden Schilling bereits überschritten. Im Handel beträgt dieser mehr als 11 Milliarden Schilling. Im Tiroler Gewerbe sind rund

50.0 Menschen tätig, im Handel ungefähr

17.0 Personen, wozu allerdings noch fast 7000 Selbständige und deren mithelfende Familienangehörigen kommen.

Tirol an der Jahreswende 1967/68, das heißt, auch einen Blick in die Zukunft werfen. Die Erhaltung einer möglichst gleichmäßigen Vollbeschäftigung der arbeitsfähigen Bevölkerung ist außer Zweifel für das kommende Jahr gesichert. Fremdenverkehr und Großbaustellen bilden die beste Garantie dafür. Die Tiroler Autobahn wird für die nächsten Jahre noch zahlreichen Bauarbeitern Beschäftigung bieten.

Die Brenner-Autobahn, wohl eine der schönsten Autostraßen Europas, ist zum Großteil bereits fertiggestellt und für den Restteil in ihrer Trassierung klar erkennbar. Sie ist ein gigantisches Bauwerk, mit einer Vielzahl von Brücken und Kunstbauten, in einer herrlichen Landschaft und als eine Meisterleistung der Straßenbautechnik anzusehen.

Die Felbertauemstraße mit einem Gesamtkostenaufwand von rund 850 Millionen Schilling wurde in diesem Jahr eröffnet und weist eine Verkehrsfrequenz auf, die nicht erwartet wurde. Der Ausbau und die Erhaltung der bestehenden Bundes- und Lanidessiraßen ist für das Land Tirol von entscheidender Bedeutung.

Es bleibt für die Zukunft weiters die unerläßlich notwendige Förderung der Berg- bauembetiiebe durch die verschiedenen, be reits durch viele Jahre hindurch mit Konsequenz verfolgten Erschließungsmaßnahmen.

Es muß der Versuch unternommen werden, kleinere Industriebetriebe oder geeignete Gewerbeuntemehmen in die industriell noch wenig erschlossenen Gebiete Tirols zu bringen. So wurde aus diesem Grund über meine Anregung vor einigen Wochen ein aus Wirtschaftsfachleuten — teils Praktiker, teils Wissenschaftler — bestehender und die Landesregierung beratender Ausschuß konstituiert, der ein Gutachten über die voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre und über die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der Schaffung von Arbeitsplätzen (neue Betriebsgründungen usw.) ausarbeiten soll. In diesem Gutachten wird auch auf die Eingliederung Tirols in die österreichische und die europäische Wirtschaft Bedacht zu nehmen sein, um auf diese Weise Fehlplanungen und Fehlgründun gen von Industrie- und Gewerbebetrieben nach Möglichkeit zu verhindern.

Man möge uns in ganz Österreich glauben, wir leben nicht im „goldenen Westen“, und Wirtschaftswachstumsgesetze, bessere Abschreibungsmöglichkeiten, größere Investitionsbegünstigungen brauchen die Tiroler Betriebe ebenso notwendig wie der Osten Österreichs. Schließlich weicht das Pro-Kopf- Einkommen in Tirol von 24.800 Schilling des Jahres 1965 vom übrigen österreichischen Durchschnitt in Höhe von 24.900 Schilling kaum ab, und dies trotz der überragenden Leistung des Fremdenverkehrs in Tirol. Gerade aus solchen Zahlen ersieht man, wie viele wirtschaftliche Zweige in Tirol noch förderungswürdig Bind.

Ein besonderes Anliegen bleibt stets der Ausbau der Schulen. Es besteht kein Zweifel, daß in der Zukunft nur jene Nationen und jene Völker sich entwickeln werden können, die für eine ausreichende Bildung ihrer Jugend Sorge tragen. Ich weiß aber auch, wie schwer es für die Jugend der Landbevölke-

rung ist, höhere Schulen zu besuchen. Daher immer wieder der Ruf nach weiteren und besseren Schulen, daher in Tirol auch der besondere Einsatz für die Errichtung einer Technischen Fakultät an der Universität Innsbruck.

Eine große Belastung für das Land Tirol stellt der Aushau der Universitätskliniken und des Landeskrankenhauses in Innsbruck dar. Die Ende 1968 bezugsfertige Chirurgische Klinik erfordert einen Kostenaufwand von 354 Millionen Schilling. Der noch notwendige Ausbau von weiteren Kliniken (Frauenklinik, Hautklinik, Hals-, Nasen- . und Ohrenklinik und so weiter) wird aber auch in der Zukunft noch einen jährlichen Aufwand von zirka 60 Millionen Schilling erfordern.

Ein freudiges Ereignis war im vergangenen Monat die Eröffnung des Großen Hauses des Tiroler Landestheaters. Die Baukosten für dieses mit den modernsten technischen Büh- neneinrichtungen versehene Theater mit 793 Sitzplätzen betragen mehr als 100 Millionen Schilling. Es handelt sich um ein echtes Gemeinschaftswerk des Landes Tirol und der Stadtgemeinde Innsbruck, wozu auch der Bund einen finanziellen Beitrag geleistet hat. Gerade dieses Bauvorhaben zeigt, daß man in Tirol bemüht ist, auch die kulturellen Belange nicht zu vernachlässigen, wenn auch die Anforderungen an das Landesbudget oft geradezu erdrückend sind.

Mag sich die mitteleuropäische Wirtschaft derzeit eher in einem Wellental der Konjunktur befinden, mögen die Schwierigkeiten der Angliederung Österreichs an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eher größer als kleiner geworden sein — ein gerade für den Westen Österreichs nicht zu übersehendes Problem —, so erwartet man in Tirol dennoch voll Zuversicht das Jahr 1968.

Eine große Sorge überschattet allerdings auch diese Zuversicht: Es ist die Sorge um Südtirol.

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