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Titanenkampf um Automarkte

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Für die meisten am Kraftfahrwesen Interessierten beginnt in diesen Wochen das Autojahr 1965. Der Genfer Autosalon, über den noch näher zu berichten sein wird, ist alljährlich der eigentliche Auftakt, in den autobauenden Ländern laufen die Fließbänder auf Hochtouren, und vieles spricht dafür, daß auch dieses Jahr wieder wie seine Vorgänger die Rekorde von früher brechen wird. Für die Experten hat die neue Saison allerdings schon vor Monaten, im Herbst 1964, begonnen. Damals wurden die Pläne für heuer entworfen, aber Entschlüsse bezüglich der Konstruktionen und ebenso der notwendigen Investitionen liegen natürlich noch viel weiter zurück, denn bekanntlich dauert die Entwicklung eines neuen Modells, das jetzt zum Tragen kommt, viele Jahre. Aller Voraussicht nach wird das heurige Jahr ebensoviel Neues und Interessantes, vor allem bessere, wirtschaftlichere und sicherere Fahrzeuge bringen. Viel wichtiger aber erscheint uns die Ausgangsposition, in der die Autoindustrie der Welt steht. Während sich nämlich in technischer Hinsicht im abgelaufenen Jahr nicht viel geändert hat, zeichnen sich immer deutlicher wirtschaftliche Umwälzungen ab. Die Autotechnik hat sich nämlich im letzten Jahr ohne die oft angekündigten Revolutionen entwickelt, einzig und allein das Erscheinen eines richtigen, mit Wankelmotor angetriebenen Autos und die kleine Serie vom Chrysler Turbinenwagen weisen neue Richtungen. Die ökonomischen Aspekte, die sich jetzt bieten, wurden nur von wenigen Fachleuten vorausgeahnt. Das mächtige Vordringen der Amerikaner auf den europäischen Märkten, nicht etwa durch den Import schwer verkäuflicher Straßenkreuzer, sondern durch die Offensive der amerikanischen Tochtergesellschaften, zeichnet sich zwar seit Jahren ab und wurde von der Fachwelt natürlich vorausgesehen; wie ernst die Situation aber beurteilt wird, kam eigentlich erst recht zum Ausdruck, als dm Herbst vorigen Jahres die Interessengemeinschaft zwischen dem Volkswagenwerk und der Daimler-Benz-Gruppe sozusagen über Nacht bekanntgegeben wurde, indem sich diese beiden bedeutenden Konzerne an der bisher Daimler Benz allein gehörenden AutoUnion in Ingolstadt (DKW) zu ungefähr gleichen Teilen beteiligten und die Absicht äußerten, auf möglichst vielen Gebieten gemeinsam zusammenzuarbeiten.

Damit steht die neue Interessengemeinschaft mit einem Ausstoß von 1,43 Millionen Fahrzeugen (Die Zahl bezieht sich auf 1963) an dritter Stelle hinter der General Matons, die in diesem Jahre 4,66 Millionen Autos, und Ford, die 2,39 Millionen Autos hergestellt hatten.

Weiteins spielt sich auf wirtischaiftlicher Ebene eine Umgruppierung auf Grund der Existenz der beiden Wirtschaftsblöcke EWG und EFTA ab, das zeigt sich am besten im „internationalsten“ Markt der Welt, in der Schweiz, wo sich der Anteil der Wagen britischer Herkunft von 15 auf 20 Prozent erhöht hat. Zahlenmäßig führt dort zwar noch immer Deutschland, aber die Produkte aus den Ländern des Gemeinsamen Marktes haben es immer schwerer, auf diesem Markt durchzudringen. Während die angelsächsische Welt neben dem weiterhin führenden Deutschland im Autobau eine Aufwärtsentwicklung durchmacht, sind die romanischen Länder infolge ihrer ungeschickten Fiskalpolitik weniger gut daran. Japan marschiert langsam aber stetig vorwärts; auf gewissen Märkten ist seine Konkurrenz bereits zu spüren. Die USA haben ein Rekord jähr hinter sich und erwarten heuer noch höhere Ziffern. Nicht nur ist 1964 die auf 11 Millionen Einheiten geschätzte Kapazität des mächtigsten Landes der Welt fast zu 75 Prozent ausgenützt worden, auch die Importe von Fahrzeugen sind mit fast einer halben Million höher ausgefallen als erwartet, insbesondere durch die Einfuhr des alle Rekorde schlagenden VW.

Die Fronten haben sich in den letzten Monaten deutlich formiert, die Ziele der Auto-giganten sind gesteckt. Wie scharf der Konkurrenzkampf wird, ist am Beispiel des größten Autokonzerns der Welt, der General Motors, leicht zu beweisen. Das Werk beurteilt die Entwicklung des gesamten Automarktes außerordentlich günstig. Das geht aus dem Investitionsprogramm für heuer in der Höhe von nicht weniger als 1,1 Milliarden Dollar hervor, eine Summe, die einer 20prozentigen Erhöhung gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die Verkaufseinnahmen der GM haben sich mit fast 17 Milliarden Dollar um drei Prozent über jedes des Jahres 1963 erhöht. Der Reingewinn stieg gegenüber dieser Zeit um 9 Prozent auf 1.735 Millionen Dollar, wobei 13 Prozent dieses Reingewinns aus den GM-Niederlassungen außerhalb der USA stammen. Die Dividendenauszahlung von 1,26 Millionen Dollar war die höchste Summe, die jemals von einer Gesellschaft an ihre Aktionäre, von denen übrigens 75 Prozent Kleinaktionäre sind, geleistet wurde.

Uns interessieren speziell die auf Europa und Österreich sich beziehenden Ziffern. Die Adam Opel AG ha't 1964 insgesamt rund 790.00 Fahrzeugeinheiten produziert An der 21prozentigen Steigerung gegenüber 1963 ist das Werk Rüsselsheim mit 53.000 und Bochum mit rund 65.000 Stück beteiligt. In Rügselsheim wurden rund 414.000 Automobile, in Bochum rund 275.000 erzeugt. In Kaiserslautern wird ein neues Opel-Werk die Produktion voraussichtlich im Sommer 1966 aufnehmen, in Antwerpen errichtet die GM ein weiteres Automobilmontagewerk; beides sind Teile des weltweiten Investitionsprojektes der General Motors Corporation, von deren gigantischen Kapitalinvestierungen etwa 25 Prozent außerhalb der Vereinigten Staaten verwendet werden. In England ist die älteste GM-Tochter, Vauxhall, ebenfalls außerordentlich erfolgreich gewesen. Die Gesamtverkaufsziffer 1964 belief sich auf 343.000 Einheiten, die Rekordverkaufsziffer 1963 wurde um volle 38 Prozent übertroffen.

Und wie sieht es mit der GM in Österreich aus? Die Neuzulassungen dieses Konzerns in Österreich haben 1964 eine Rekordanzahl von rund 19.000 Einheiten erreicht Damit wurde der Rekord des Vorjahres um fast 10 Prozent übertroflen und der Marktanteil hat sich auf fast 20 Prozent erhöht. Wichtig seheint uns bei diesen Feststellungen die Tatsache, daß die GM-Niederlassungen im Ausland eigenständige Unternehmen sind, die ihr Personal zum überwiegenden Teil aus dem Inlandsmarkt schöpfen und die es verstanden haben, sich in die Wirtschaft der einzelnen Länder organisch einzugliedern.

Für den zweiten Giganten der Weltproduktion, die Ford Motor Company, könnten wir mit ähnlichen, wenn auch etwas niedrigeren Ziffern aufwarten, auch hier wird groß investiert und außerdem ein Weg beschritten, der an sich nicht neu, aber für eine amerikanische Firma ungewöhnlich ist Ford ist überzeugt davon, daß über den Automobilsport Märkte zu erobern und Verkäufe zu steigern sind. Die Entwicklung gibt ihnen recht Bestes Beispiel: Welch großes Aufsehen hat der sensationelle Erfolg des Morris-Mini-Cooper „S“ von BMC bei der heurigen Rallye Monte Carlo gemacht. Um nicht weiter mit Ziffern zu ermüden, möge ein kleiner Hinweis auf die neuesten Schöpfungen von Ford auf sportlichem Gebiete genügen. Daß es diesem Konzern mit der Beteiligung am Autosport ernst ist, kann angesicht der vielen Beweise (Ford GT, Indianapolis-Motor, Cortina Lotus, AC Cobra, Mustang Tour de France) einwandfrei erhärtet werden. Aber Ford hat noch mehr in petto. Mit dem kalifornischen Frisierspezialisten C. Shelby, einem transatlantischen Gegenstück zu dem Italo-Österreicher AbaiTth, hat; Ford eine Zusammenarbeit begonnen, die zu zwei neuen Typen führte: dem Mustang GT 350, einer stark frisierten Variante des Ford Mustang, sowie dem Cobra-427-7-Liter, dem Nachfolger des AC Cobra mit 4,7-Liter-Motor. Den sportlichen Ableger des Mustang wird Shelby in neuen Werksanlagen in Los Angeles herstellen. Anfänglich sollen 100 Wagen im Monat gebaut werden.

Dieser Wagen ist als Straßenfahrzeug oder als rennbereiter Wagen erhältlich. Es ist übrigens geplant, die Fabrikation in neuen Anlagen auf 500 Stück pro Monat zu erhöhen, womit die Beteiligung am Sport einer breiteren Schicht von Enthusiasten, die mit ihrer Teilnahme an Wettbewerben für die Marke werben, gesichert erscheint. Der neue Cobra II (Typ 427 benannt nach dem Hubraum von 427 Kubikzoll oder 7 Liter) ist ein Gemeinschaftswerk von Ford, Shelby und der englischen Sportwagenfabrik AC. Der Motor ist eine Abwandlung der bekannten Riesen-maischinie der Galaxie-Stock-Car-Ford und soll gegen 500 PS abgeben. Mit ihrem Gigantenmotor muß diese Maschine unvorstellbare Leistungsreserven haben, und der Wagen wird sich voraussichtlich auf großen Veranstaltungen mit dem berühmten Ferrari messen.

Wir sehen also, die beiden Hauptakteure Amerikas sind wohl gerüstet: die einen mit nach unseren Begriffen unerschöpflichen Kapitalien, die anderen mit ebenfalls sehr hohen Mitteln und dazu dem sportlichen Elan, der ihnen schon viele Erfolge gebracht hat. Auf die Antwort der ebenfalls nicht zu verachtenden europäischen Titanen, wie VW-Mercedes, Fiat, Renault, BMC und der mit Chrysler liierten Werke Simca und Rootes, darf man gespannt sein.

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