Balkonien - © Foto: iStock/FooTToo (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Tourismus und Corona: "Ich würde zusperren"

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Tourismusexperte Peter Zellmann kritisiert die Strategie der Regierung für den Fremdenverkehr. Mit Angst und Sorge würde man die gesamte Branche gefährden. Er fordert ein Umdenken und klare Entscheidungen.

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Tourismusexperte Peter Zellmann kritisiert die Strategie der Regierung für den Fremdenverkehr. Mit Angst und Sorge würde man die gesamte Branche gefährden. Er fordert ein Umdenken und klare Entscheidungen.

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Peter Zellmann leitet das Institut für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien. Er war lange Zeit Vortragender an Hochschulen, etwa an der WU Wien. Ein Gespräch über Coronapolitik, Angst, Sommergefühle und Après-Ski-Bars.

DIE FURCHE: Kann man sagen: Die Geschichte des Urlaubs spiegelt auch den Zustand der Gesellschaft, ihre Haltung zu Freiheit und Individualität? Und wenn das zutrifft, in welcher Gesellschaft leben wir unter dem Druck der Maßnahmen gegen Corona?
Peter Zellmann: Wenn Sie Corona auf die Gesellschaft im Allgemeinen beziehen und sagen, die Gesellschaft ändert sich und auch der Urlaub wird sich gleichermaßen ändern, so ist das aus meiner Sicht falsch. Urlaub ist für die Menschen etwas so Wichtiges, Entscheidendes, emotional Bedeutsames, dass man es nicht mit den Veränderungen im Alltagsverhalten gleichsetzen kann.

DIE FURCHE: Und wie nimmt Corona Einfluss auf dieses Verhalten? Die Abstands-regeln, die Maskenpflicht, die Gesundheitstests …?
Zellmann: Die Auswirkungen werden drastisch sein. Die Politik meinte, wenn die Menschen mit Einschränkungen im Alltag leben können, werden sie auch Einschränkungen im Urlaub akzeptieren. Das ist nicht so. Man kann nicht Teile des Urlaubs unter ein Verbot stellen. Das funktioniert nicht. Beim Einkaufen geht das, oder in der Arbeit. Aber beim Urlaub im Hotel, am Frühstücksbuffet, am Strand, wenn ich an alle diese Regeln denke, dann dürften heuer viele einfach zu Hause bleiben. Man wird das für diesmal nicht einmal als Verlust an Lebensqualität empfinden. Balkonien wird am meisten Zuspruch erhalten.

DIE FURCHE: Aber glauben Sie nicht, dass diese in allen politischen und medialen Kanälen getrommelte Werbung für einen Urlaub in der Heimat letztlich Erfolg haben wird?
Zellmann: Da ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Wenn man schon allein das zu erwartende Minus an Buchungen bedenkt, das durch das Fernbleiben der ausländischen Gäste entsteht – das ist gar nicht auszugleichen. Es ist naiv anzunehmen, dass wir das mit unseren im Schnitt knapp 30 Prozent Inlandstouristen ersetzen sollen. Wenn wir diese 30 Prozent heuer in absoluten Zahlen halten können, ist das schon ein Erfolg. Es fragt sich ja auch, ob viele sich einen Urlaub in Zeiten von Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit überhaupt noch leisten können.

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DIE FURCHE: Was ist denn zu erwarten?
Zellmann: Realistisch gesehen dürfte es zu einem deutlichen Einbruch kommen. Etwa ein Drittel derer, die sonst auf Urlaub gefahren sind, fährt heuer aus Angst und Sorge vor Corona oder aus finanziellen Gründen nicht auf Urlaub. Ein weiteres Drittel wartet noch ab. Und nur ein Drittel sagt, ich nehme das Risiko in Kauf, ich fahre sicher, wohin auch immer.

DIE FURCHE: Nach einer aktuellen Umfrage der Österreich-Werbung planen mehr als 60 Prozent der Österreicher einen Sommerurlaub. Was halten Sie von dieser Umfrage?
Zellmann: Diese Einschätzung teile ich. Sie weicht aber nicht wesentlich von der üblichen Urlaubsplanung ab. Die Sehnsucht nach Reisen bleibt erhalten. Aber planen ist nicht gleichzusetzen mit tun.

DIE FURCHE: Hätte es für die Regierung eine Alternative gegeben zu dem eingeschlagenen Kurs, also zu versuchen zu retten, was zu retten ist?
Zellmann: Ja. Die hätte es gegeben, als absehbar war, dass man die Krise überstanden hatte, das war um Ostern herum. Damals hätte man überlegen und entscheiden müssen: Ist das nun eine Gesellschaft, die grundlegend durch die Pandemie verändert wird? Oder ist es eine vorübergehend in den Griff zu bekommende Krankheit, die wir nicht derart mit Sorge und Schrecken verbinden müssen? Es wäre im letzteren Fall möglich gewesen, den Menschen die Eigenverantwortung zurückzugeben und sie selbst entscheiden zu lassen, ob sie in Urlaub fahren oder nicht. Tatsächlich hat man aber einen Mittelweg versucht: Ein bisserl Urlaub mit ein bisserl Angst dazu. Aber das funktioniert nicht.

Die Regierung hat beim Tourismus einen Mittelweg versucht: Ein bisserl Urlaub mit ein bisserl Angst dazu. Das funktioniert nicht. Ich erwarte einen deutlichen Einbruch.

DIE FURCHE: Wenn es nun eine zweite, eine dritte und vierte Covid-19-Welle gibt, mangels Impfung und Medikamenten, was würde dann passieren?
Zellmann
: So wie Sie es beschreiben, wäre das der Tod für den Tourismus. Ich würde aber gerne zwei Schritte zurückgehen. Was ist denn eigentlich eine zweite Welle? Es gibt keine Definition dafür. Es ist ein Schlagwort, das Angst macht. Die Wahrheit ist doch: Solange es keine Medikamente und keinen Impfstoff gibt, wird das Virus bleiben – und es wird diese Infektionsgefahr noch viele Monate geben. Wenn ich jeden lokalen Anstieg als „zweite Welle“ definiere und die Angst davor aufrechterhalte, dann wird das die Tourismuswirtschaft in ihren Grundfesten erschüttern. Was das volkswirtschaftlich für Österreich bedeutet, dessen sind sich die Verantwortlichen offenbar zu wenig bewusst. Jeder dritte Arbeitsplatz hängt indirekt vom Tourismus ab. Österreich ist unter den vier ersten Nationen weltweit, was die Abhängigkeit vom Tourismus betrifft.

DIE FURCHE: In Korea und China werden Orte, in denen es ein Aufflackern der Krankheit gibt, sofort abgeriegelt und unter Quarantäne gestellt. Das ist vielleicht ein Szenario für eine zweite Welle, das auch anderswo vorstellbar ist. Die Frage ist: Könnte Österreichs Fremdenverkehr so einen neuen Corona-Krisenherd, ein neues Ischgl, verdauen?
Zellmann: Was heißt denn „ein neues Ischgl“? Das ist eine medial gemachte Überschrift. Es gab in Anbetracht der internationalen Zusammensetzung der Gäste in jedem österreichischen Skiort theoretisch eine erhöhte Infektionsgefährdung.

DIE FURCHE: Ich meine damit auf den Sommerurlaub gemünzt, dass in einem traditionell gut gebuchten Urlaubsort – egal wo in Österreich – das Virus gehäuft auftreten könnte. Und dass diese Gemeinde in der Folge unter Quarantäne gestellt werden würde. Hätte das nicht dramatische Auswirkungen auf alle anderen Orte in der Region und in ganz Österreich?
Zellmann: Das ist ja genau die Gefahr. Riskieren wir das? Wir hatten 2017/18 eine Grippeepidemie mit 440.000 Infizierten und 2800 Toten. Wie gehen wir in Zukunft mit jeder Grippeepidemie um, unter die sich Covid-19-Fälle mischen? Man darf nicht vergessen: Es wird immer solche Herde geben. Besonders im Winter.

Peter Zellmann - © www.freizeitforschung.at

Peter Zellmann leitet das Institut für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien. Er war lange Zeit Vortragender an Hochschulen, etwa an der WU Wien.

Peter Zellmann leitet das Institut für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien. Er war lange Zeit Vortragender an Hochschulen, etwa an der WU Wien.

DIE FURCHE: Und wie sollte man dann konkret in solch einer Situation reagieren?
Zellmann: Wir müssen das Problem von einer anderen Seite angehen: Nicht der Einzelne muss geschützt werden, sondern die Frage muss heißen: Wieviel verträgt das Gesundheitssystem? Wir haben in den vergangenen Wochen unsere Kapazitäten in der Intensivmedizin Gott sei Dank nur zu 25 Prozent ausgelastet. Wir hätten ein Dreifaches an Intensivpatienten verkraftet. Das muss man sich vor Augen führen. Ich will jetzt kein Aufrechnen von Menschenleben: Jeder einzelne Todesfall ist eine Tragödie für die Familien und Betroffenen. Aber irgendwann muss man sich fragen, was das für eine Gesellschaft als Ganzes bedeutet. Man hätte konsequent sagen müssen, wir wissen, dass uns das Virus noch lange begleiten wird, trotzdem übertragen wir es in die Verantwortung des Einzelnen, zu verreisen. Und zwar mit der Sicherheit, dass unser Gesundheitssystem in der Lage ist, diese Herausforderung zu meistern.

DIE FURCHE: Demnach hinge der Tourismus der Zukunft von der Zahl der Intensivbetten ab?
Zellmann: Drastisch formuliert, ja. Solange ich so ausreichende Kapazitäten habe, kann man „offen“ halten.

DIE FURCHE: Und neue Fälle riskieren...
Zellmann: Ja. Wenn man aber zum Schluss kommt, dass jeder einzelne Fall vermieden werden soll, muss man konsequentermaßen zusperren und die Folgen dafür tragen. Der Tourismus braucht klare Entscheidungen.

DIE FURCHE: Also weg mit den Verboten und Pflichten?
Zellmann: Empfehlungen reichen aus, Empfehlungen sind wichtig, also etwa was das Abstandhalten betrifft oder Masken in gewissen Bereichen. Das gilt aber dann auch für jede Grippeepidemie. Dafür muss man kein Angstszenario aufbauen. Die Leute werden kooperieren.

DIE FURCHE: Wären Sie Gastronom in den Alpen – würden Sie kommende Saison ihre Après-Ski-Bar geschlossen halten?
Zellmann: Wenn die Strategie und Berichterstattung gegen diese Art des Tourismus so weitergeht, würde ich zusperren und nicht mehr aufmachen.

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