"TTIP als politisches ENDGAME"

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Wie würde ein Freihandelsabkommen mit den USA unser Lebensmittelangebot verändern - und wie unseren Rechtsstaat? Eine Debatte. | Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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Wie würde ein Freihandelsabkommen mit den USA unser Lebensmittelangebot verändern - und wie unseren Rechtsstaat? Eine Debatte. | Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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Der Streit um TTIP hat sich zur Glaubensfrage entwickelt - und wird durch die kürzlich veröffentlichten geheimen Verhandlungsdokumente weiter befeuert. Ob ein Freihandelsabkommen mehr Wohlstand bringt oder bloß einen Turbokapitalismus, lautet die Frage.

Die Furche: Im Wahlkampf um die Bundespräsidentschaft gehörte die strenge Ablehnung von TTIP zum guten Ton - bei Van der Bellen wie auch bei Hofer. Wieso herrschte bei diesem Thema soviel Einigkeit?

Michael Löwy: Das ist aus unserer Sicht eine bedauerliche Einigkeit. Herr Van der Bellen hat sich ursprünglich für TTIP ausgesprochen und im Wahlkampf seine Meinung geändert. Der Grund für diese negative Haltung ist wohl eine mediale Oberhoheit der Kritiker. Leider lehnt auch Herr Hofer TTIP ab. Bisher war ja die Haltung der Bundesregierung relativ unentschlossen, sodass viel Unklarheit zu dem Thema besteht.

Alexander Egit: Van der Bellen hat sich in seinem Buch für TTIP geäußert, sich den Sachverhalt dann genau angeschaut, und ist auf ökologische und demokratiepolitische Probleme gestoßen. So geht es jedem, der TTIP und CETA genau anschaut. Ich finde es richtig, dass jemand, der seriös an die Dinge herangeht, immerhin lange Wirtschaftsprofessor war, zu bestimmten Punkten seine Meinung ändert. Ich glaube nicht, dass das opportunistisch war. Es gibt in vielen EU-Ländern aktuell kontroverse TTIP-Debatten.

Die Furche: Kritiker meinen, TTIP würde zu einem Preis- und Lohndumping führen. Befürworter meinen, wir brauchen TTIP für mehr Jobs und Wachstum. Was nun?

Egit: Es gibt keine einzige Studie, die große Wachstums- oder Arbeitsplatzimpulse durch TTIP belegt. Die Studien, die die EU-Kommission zitiert, haben Wachstumsperspektiven in der Größenordnung von 0,03 Prozent im Jahresschnitt. Die Frage ist: Rechtfertigt das den Abbau von Sozialstandards, Lebensmittelstandards und die demokratiepolitischen Probleme durch die Einführung von Sonderklagerechten für Konzerne?

Löwy: Wir haben eine Rekordarbeitslosigkeit von fast 500.000 Menschen, Tendenz steigend -eine überaus unerfreuliche Entwicklung. Würde TTIP zu mehr Arbeitsplätzen führen, wie viele es auch sein mögen, fänden wir das jedenfalls positiv. Die Studien von WIFO oder EU-Kommission kann man nicht als unseriös abtun - sie berechnen positive Effekte auf die Beschäftigung. Wir wollen Jobs schaffen, aber keine Senkung von ökologischen und Lebensmittelstandards.

Die Furche: Petra Pinzler, Autorin des Buches "Der Unfreihandel", meint, die TTIP-Verhandler sehen unsere sozialen und ökologischen Errungenschaften als Handelshemmnisse, etwa die strengen Pestizidwerte.

Egit: Die von Greenpeace im Zuge der TTIP-Leaks veröffentlichten Verhandlungsdokumente belegen, dass die USA die EU-Regulierungen im Lebensmittelbereich und in vielen anderen Bereichen in Frage stellen. Nach 13 Verhandlungsrunden bestehen die USA immer noch auf der Abschaffung dieser Handelshemmnisse. Unsere Befürchtung ist, dass die Verhandlungen auf ein politisches "Endgame" hinauslaufen, also dass alle heiklen Punkte bis ganz am Schluss nicht ausgemacht werden. Dann werden heikle Punkte wie die Importerleichterungen in die USA für die europäische Autoindustrie abgetauscht gegen Lebensmittel-Standards in Europa - ein Kuhhandel.

Löwy: Es ist höchst fraglich, ob es einen derartigen Abtausch geben wird. Wir kennen ja beide den Verhandlungstext noch nicht, aber wir gehen davon aus, dass die EU-Kommission sich an das Verhandlungsmandat der 28 Mitgliedsstaaten hält, dass also hohe Standards nicht gesenkt werden.

Die Furche: Viel kritisiert wird auch diese Geheimniskrämerei um die Inhalte von TTIP. Nicht einmal Europa-Abgeordnete durften vollständig Einsicht nehmen. Gibt es soviel zu vertuschen vor der Öffentlichkeit?

Löwy: Es gibt bei CETA, dem geplanten europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen, ein veröffentlichtes Dokument, laut dem Hormonfleisch nicht eingeführt werden darf. Dieses Beispiel zeigt, dass die Befürchtungen nicht gerechtfertigt waren, wobei Befürchtungen natürlich legitim sind und diskutiert werden müssen. Ich bin auch nicht glücklich über den Leseraum für EU-Abgeordnete. Die Kommunikation der EU-Kommission war äußerst misslungen. Aber den Vorwurf der Intransparenz teile ich nicht. Man muss nicht jedes Mail veröffentlichen.

Die Furche: In der EU gilt das Vorsorge-Prinzip. Das heißt, Produkte müssen nachweislich einwandfrei sein. In den USA aber werden Substanzen erst verboten, wenn das Risiko bewiesen wurde. Erhalten mit TTIP auch in Europa die Interessen der Konzerne Vorrang gegenüber jenen der Konsumenten?

Egit: Diese Gefahr besteht, wie die von Greenpeace veröffentlichten Dokumente klar zeigen. Es könnte ein Aushebeln des Vorsorgeprinzips in der EU geben. Das amerikanische Tarnwort lautet "Wissenschaftsprinzip": Das ist aber heikel, denn bei ganz vielen Produkten kann die Wissenschaft das potenzielle Risiko noch nicht nachweisen. In den USA muss dann die öffentliche Hand die Kosten für den Nachweis tragen. Es gibt sehr viele Substanzen, die in den USA erlaubt, aber in Europa verboten sind. Löwy: Wir wollen als Industrie das europäische Vorsorge-Prinzip behalten. Das ist unserer Einschätzung nach gesichert, die EU-Kommission ist dazu laut Mandat verpflichtet. Auf dessen Einhaltung werden der EU-Rat, das EU-Parlament und die 28 nationalen Parlamente genauestens achten.

Die Furche: TTIP hat ein schlechtes Standing, die EU-Kommission setzt derzeit vor allem auf CETA (siehe Text rechts). Der Verhandlungsabschluss steht eventuell schon im Juni bzw. im Herbst an. Kritiker bezeichnen CETA aber als TTIP durch die Hintertür.

Egit: Durch CETA würden zwei große Stolpersteine für TTIP beseitigt werden: Das eine wäre die Einführung der Sonderschiedsgerichtsbarkeit für Konzerne, das andere die sogenannte regulatorische Kooperation. Letztere ist deswegen so wichtig, weil dadurch nach Abschluss eines Vertrags die Verhandlungsergebnisse im Nachhinein noch verändert und ausgehebelt werden können.

Die Furche: Für Konzerne soll es Möglichkeiten geben, Staaten auf indirekte Enteignung zu klagen. Kritiker warnen vor einer Zwei-Klassen-Gerichtsbarkeit. Warum Schiedsgerichte, wo es in den USA und der EU funktionierende Rechtssysteme gibt?

Löwy: Das ist kein Recht "der Konzerne", sondern Recht jedes Unternehmens, das eine Investition getätigt hat. Wir meinen, dass ein Investitionsschutz ein sinnvolles Rechtsinstrument ist. Ob nun das amerikanische oder das europäische Rechtssystem besser ist, maße ich mir nicht an zu bewerten. International klagen die Europäer wesentlich öfter als die Amerikaner. Aus Sicht der Industrie wird dieses Thema in der öffentlichen Diskussion überbewertet.

Egit: Zum Argument, Schiedsgerichte brächten keine Sonderrechte für Konzerne: Die durchschnittlichen Klagekosten bei derartigen Verfahren liegen bei rund fünf Millionen Euro. Für jedes klein-oder mittelständische Unternehmen ist eine derartige Klage auszuschließen. Ich wäre schon glücklich, wenn wir einen Konsens finden und die Schiedsgerichte eliminieren könnten. Schiedsgerichte brächten ein Sonderklagerechte für ausländische Unternehmen. Warum inländische Unternehmen diskriminieren? Nicht klagen können auch all jene, die durch Investitionen Schaden erleiden, etwa Gemeinden oder einzelne.

Löwy: Die Diskriminierung inländischer Unternehmen sehe ich nicht. Europäische Unternehmen können durch Investitionsschutz auf derselben Basis wie US-Firmen in Europa klagen. Nationale Gesetze werden nicht geändert, es geht um Entschädigungszahlungen. Überdies ist Klagen eine Sache und Recht zu bekommen eine andere.

Die Furche: Was halten Sie vom Abtausch Freihandel im Agrarsektor gegen Erleichterungen von europäischen Autoimporten?

Löwy: Mir gefällt das Wort "Abtausch" nicht. Uns Europäern muss im industriellen Bereich klar sein: Wir haben eine hohe Exportquote in Österreich, deswegen wäre der Abbau von Zöllen auf Industriewaren von Vorteil. Ansonsten bekommen wir Nachteile gegenüber jenen Regionen, die zollfrei in die USA exportieren, etwa Länder der Transpazifischen Partnerschaft. Ein Beispiel: Ein österreichisches Unternehmen exportiert eine Maschine für eine Million Euro über den Teich und muss dafür 35.000 Euro abführen. Mit dem Geld könnte man einen Arbeitsplatz schaffen, eine Investition machen.

Egit: Die Angleichung industrieller Standards sollte einfach durchgeführt werden, wozu braucht es überhaupt ein Freihandelsabkommen? Verhandeln tut man dann, wenn man auf einen Kuhhandel abzielt. In Wahrheit ist das kein Freihandelsabkommen, sondern eine Deregulierungsoffensive der europäischen und der US-Industrie, um Konzernrechte zu stärken. Nicht umsonst hat Mitterlehner als eine der drei Voraussetzungen für ein gutes Verhältnis mit Kern eine Deregulierungsoffensive genannt.

Löwy: Natürlich müssen wir entbürokratisieren, aber das wollen wir auch in vielen Bereichen in Österreich. In unseren Aussagen zu TTIP ist klar nachzulesen, dass es uns um Handelserleichterungen geht bei gleichzeitiger Erhaltung hoher Standards.

Egit: Aus den TTIP-Leaks gehen klare Angriffe auf Regulierungsmaßnahmen hervor. Viele europäische Standards werden von den USA als Handelshemmnis bezeichnet, es gibt ganz klar den Wunsch, Hormonfleisch in die EU zu liefern. Es wäre naiv zu glauben, dass die europäische und US-Industrie nicht ihre Interessen abstimmen und gegen die Politik durchsetzen wollen.

Löwy: Letztlich entscheidet die Politik. Natürlich stehen wir mit der US-Industrie in Verbindung, aber wir haben nie ein Senken der Standards intendiert. Mit 500 Millionen Einwohnern sind wir Europäer durchaus souverän genug, um zu sagen, was wir nicht wollen. Diese Verschwörungstheorie ist weit hergeholt, wonach die transatlantischen Großkonzerne vereint mit "Businesseurope" und den Amerikanern Europa mit Wachstumshormonen überschwemmen werden.

Egit: Im Bereich Lebensmittel, Landwirtschaft, Konsumenten liegen die Interessen ganz weit auseinander. Im Industriebereich liegen sie nicht so weit auseinander. Daher würde ich den gesamten Agrar- und Lebensmittelbereich ausklammern, die Sondergerichtsbarkeit und die regulatorische Kooperation ausklammern. Das wäre die einzige Chance, um TTIP zu retten.

Die Furche: Was, wenn TTIP platzt?

Egit: Auch viele andere Länder sind für Österreich im Außenhandel wichtig. Nur ein Prozent der österreichischen klein- und mittelständischen Unternehmen exportieren in die USA. Wir hätten nichts gegen internationale Handelsabkommen, wenn sie globale Umwelt- und Sozialstandards setzen. Die derzeitigen Abkommen tun das Gegenteil.

Löwy: Die USA sind unsere zweitwichtigste Exportdestination. Wir schaffen Arbeitsplätze dort und die Amerikaner Arbeitsplätze bei uns. Wir wollen die hohen europäischen Standards exportieren und glauben, dass das mit den Amerikanern besser gelingt. Egit: Aber TTIP würde keinesfalls die europäischen Standards in die Welt tragen. Mit den Amerikanern kämpfen wir ständig darum, unsere Standards zu erhalten.

Die Furche: Halten Sie eine Volksbefragung zu TTIP für sinnvoll?

Egit: Ja, in allen EU-Ländern. Die Verhandlungen werden völlig intransparent geführt. Die Bevölkerung muss man einbinden.

Löwy: Eine Volksbefragung ist nicht zwingend nötig. Wir stimmen weder bei Steuererhöhungen noch bei jedem Fahrradweg ab. Man muss mit Instrumenten der direkten Demokratie sensibel umgehen.

Egit: Sie können nicht Fahrradwege mit TTIP vergleichen. Da geht es um grundlegende ökologische und demokratiepolitische Fragen, sogar um den Eingriff in unser Rechtssystem.

Die Diskutanten

Michael Löwy

Der Politikwissenschaftler leitet seit 2003 den Bereich Internationale Beziehungen und Europäische Union bei der Industriellenvereinigung (IV). Berufliche Stationen führten ihn auch ins EU-Parlament nach Brüssel und in die osteuropäischen Staaten.

Alexander Egit

Der Politikwissenschaftler ist Geschäftsführer von Greenpeace in Zentral- und Osteuropa. Er arbeitet seit 20 Jahren für die Umweltschutzorganisation und hat die Büros von Greenpeace in Osteuropa aufgebaut und auch das Büro in China kürzlich mitaufgebaut.

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