Tunnelträume am Abstellgleis

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Der Bau am Mittelstück des "Lainzer Tunnels" wurde aus Geldnot verschoben - zur Freude mancher Bürgerinitiativen. Doch an den Bahnknoten im Westen und Süden Wiens wird planmäßig gebaut. Frühestens 2010 ist der Lückenschluss möglich.

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Der Bau am Mittelstück des "Lainzer Tunnels" wurde aus Geldnot verschoben - zur Freude mancher Bürgerinitiativen. Doch an den Bahnknoten im Westen und Süden Wiens wird planmäßig gebaut. Frühestens 2010 ist der Lückenschluss möglich.

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Welcher Baustopp? Es gibtkeinen Baustopp!" Norbert Ostermann von der Eisenbahn-Hochleistungsstrecken AG ("HL-AG") und Projektleiter des Lainzer Tunnels gibt sich verwundert und amüsiert zugleich. "Das ist nureine Adaptierung baulicher Abläufe auf die finanzielle Situation." Der Bau am "Verbindungstunnel", dem Mittelstück des Großprojekts "Lainzer Tunnel" von insgesamt 25,3 Kilometern Länge, werde nur zurückgestellt. In zwei bis drei Jahren sollten die Arbeiten am 6,6 Kilometer langen "Herzstück" durch Penzing, Hietzing und Meidling begonnen werden, um 2010 fertig zu sein - gleichzeitig mit der viergleisigen Bahnstrecke Wien-St.Pölten. "Erst dann macht die Verbindung West-Süd Sinn", meint Ostermann. Und überhaupt sei die mediale Entrüstung unbegründet.

Die Diskussion um den einröhrigen Lainzer Tunnel ist auf dem besten Weg, der Endlosdebatte um den Semmeringbasistunnel alle Ehre zu machen. Seit 1974 wird über eine leistungsfähige Eisenbahnverbindung durch Wien diskutiert. West-, Süd- und Donauländebahn sollten unterirdisch verbunden werden, um den Eisenbahnknoten Wien leistungsfähiger zu machen. 1990 wurde die von der ÖBB ausgegliederte HL-AG, eine Aktiengesellschaft im Volleigentum des Bundes, mit der Planung des Projekts beauftragt. Nach einer zehnjährigen Planungs- und Verhandlungsphase begannen schließlich im Februar dieses Jahres in Hadersdorf die Bauarbeiten am Verbindungsstück zur Westbahn und zur geplanten Neubaustrecke Wien-St. Pölten. Bald sollten auch die Arbeiten am südlichen Verbindungsknoten in Meidling beginnen. 11,4 Milliarden Schilling waren für das viertgrößte Projekt in der Geschichte des Österreichischen Eisenbahnbaus veranschlagt. 138 Güter- und 12 Intercityzüge sollten ab 2006 täglich mit bis zu 160 km/h durch den Lainzer Tunnel und den geplanten Wienerwald-Tunnel brausen.

Am 11. Mai waren die kühnen Träume ausgeträumt: Infrastrukturminister Michael Schmid (FPÖ) setzte den für heuer geplanten Baubeginn am "Verbindungstunnel" für zwei bis drei Jahre zurück - aus budgetären Gründen. Beim Mittelteil müsse man leider den zeitlichen Puffer ausschöpfen, heißt es aus dem Infrastrukturministerium. Dennoch sollen die Arbeiten an der Verknüpfung zur Westbahn planmäßig vonstatten gehen. Und im Februar des kommenden Jahres erwarte man den Baubeginn am Verbindungsknoten zur Süd- und Donauländebahn. Zwei bis drei Jahre haben es also die Wildschweine dazwischen im Lainzer Tiergarten noch ruhig.

Wiener Nachbeben Beunruhigt vom vorläufigen Baustopp am so genannten "Wildschweintunnel" zeigten sich hingegen die Wiener Stadtpolitiker. Die Presseaussendung des Ministers stieß auf breite Ablehnung - an vorderster Front Bürgermeister Michael Häupl: Er werde "alle zu Gebote stehenden Mittel" nutzen, damit "diese Fehlentscheidung, die die Entwicklungpotenziale der Ostregion zumindest auf Jahrzehnte hinaus gravierend schädigen würde, seitens des Bundes zurückgenommen wird." Auch der Wiener Vizebürgermeister Bernhard Görg forderte vom Minister Pakttreue. Christoph Chorherr, Clubobmann der Wiener Grünen, nannte den Baustopp des Mittelteils einen "Schildbürgerstreich" und Hanno Pöschl vom LiF zweifelte gar an der ministerialen Kompetenz. Allein die Wiener Freiheitlichen verteidigten die Pläne Schmids. Dieser müsse ja "mit den Steuergeldern vorsichtiger umgehen als die Regierungen vor ihm."

Mitte Juni kam es schließlich zum Treffen zwischen dem Infrastrukturminister und den Landeshauptleuten Erwin Pröll aus Niederösterreich, Karl Stix aus dem Burgenland und Michael Häupl. Fazit des "Verkehrsgipfels" Ostregion: eine Expertengruppe sollte anstehende Bahnprojekte nach ihrer Dringlichkeit reihen. Das Ergebnis dieser Weisen ist bis dato jedoch ausständig. Indes zeigt sich Schmid kooperativ: "Im Grunde genommen" sei die Zukunft des Tunnels gesichert. Wann genau jedoch diese Zukunft beginnt, bleibt fraglich.

Ob in 10 Jahren oder noch später: Für die Bürgerinitiativen der "Plattform Schienenverkehr" ist der einröhrige Tunnel eine Horrorvorstellung. Noch in ihrem Flugblatt vom Juni singt die Initiative Lobeshymnen auf den neuen Mann an den Schalthebeln der österreichischen Infrastruktur. Mit Michael Schmid sei endlich ein Verkehrsminister am Werk, der "nicht bereit ist, Steuermilliarden für umstrittene Eisenbahntunnel zu verschwenden." Den "Tunnelstopp" betrachtet man als Chance, bei den Bewohnern in Penzing, Hietzing und Meidling Aufklärungsarbeit zu leisten.

Und da gelte es noch über vieles aufzuklären, ist Franz Schodl, ehemals grüner und seit Ende 1998 parteiloser Bezirksrat von Meidling überzeugt. "Ein einröhriger Tunnel mit Begegnungsverkehr ist immer ein Risiko: Es genügt, wenn ein Radbruch oder Heißlauf stattfindet. Und das kann besonders bei Waggons aus dem Osten passieren." Zudem müssten sich die rasenden Züge ihren Weg durch den Lainzer und den Wienerwald-Tunnel über Dutzende Weichen hinweg bahnen, mahnt Schodl vor einem unterirdischen "Eschede". Auch die vertikalen Ausstiegsschächte im Abstand von rund 500 Metern und einer Höhe von bis zu 75 Meter hält er im Unglücksfall für tödlich. "Die Aufzüge in den Schächten sind zwei Quadratmeter groß. Das ist dann dort unten nichts anderes als ein Krematorium."

Todesfalle Tunnel?

Stimmt nicht, kontert Norbert Ostermann von der HL-AG: "Bei den Ausstiegen mit einer Höhe über 30 Meter gibt es Aufzüge, die 13 Personen transportieren können. In jedem Stollen gibt es für die Wartenden Auffangräume mit 25 Quadratmetern. Die sind sicher und über ein Schleusensystem abgeschottet." Auch die Stiegenhäuser, die in den niedrigeren Schächten nach oben führen, seien sicher, betont der Projektleiter des Tunnels. Ebenso weist er das Argument zurück, in einem zweiröhrigen Tunnel könnten die Einsatzkräfte über die Querschläge von der rauchfreien Röhre aus eingreifen: "Wo nimmt man in so einem Fall die Frischluft her, und wie will man den Qualm in der ersten Röhre halten? Ich möchte nicht wissen, was da im Ernstfall nicht funktioniert." Beim Lainzer Tunnel seien dagegen auf der ganzen Strecke Zugriffspunkte und Hydranten für die Feuerwehr vorgesehen. Im Prinzip, gesteht Ostermann, habe aber jedes System seine Vor- und Nachteile. Auch im Infrastrukturministerium regt sich die Einsicht, dass einröhrige Tunnel nicht das Maß aller sicheren Dinge sind: "Uns ist bewusst, dass zwei Röhren sicherer sind als eine Röhre. Doch vor zehn Jahren, als der Lainzer Tunnel geplant wurde, gab es noch nicht diese Sicherheitsstandards", gibt Gerhard Sailer, Ministersekretär für Eisenbahnen, zu bedenken. Würde der Entwurf verworfen, müssten alle Verfahren von vorne beginnen - und das könne Jahrzehnte dauern. Bezüglich der Kreuzungen in der unterirdischen viergleisigen Weichenhalle sieht er kein Gefahrenpotential: "Eine Kollision ist nach menschlichem Ermessen auszu-schließen." Alle Systeme seien mehrfach gesichert, betonen auch die ÖBB. Entgegen der Baupraxis in Deutschland würden in Österreich nur einröhrige Tunnel "mit modernsten Sicherungsanlagen" gebaut. 226 "Einröhrer" sind es bislang.

Die Kritik der Bürgerinitiativen geht freilich noch weiter: Die Sinnhaftigkeit des Projekts selbst wird angezweifelt. Richard Kuchar von der "Plattform Schienenverkehr": "Ich sehe ein, dass die West- und die Südbahn verbunden werden müssen. Doch dieses Konzept von 1989/90 ist aus der Hüfte geschossen." Als Anrainer interessiere ihn neben der Sicherheit vor allem der Lärm - und als Bürger "das hinausgeschmissene Geld". Die Alternative der Bürgerinitiative zielt auf einen Ausbau der bestehenden Trasse: Einhausung der Westbahnstrecke mit dicken Doppelglasbögen und Tieflegung der Verbindungsbahn. Einige 100.000 Schilling hätten die lärmgeplagten Anrainer bisher in Gutachten gesteckt, weiß Kuchar. "Die sind besorgt, nicht einfach Querulanten."

Bei der HL-AG stoßen diese Vorschläge auf taube Ohren: "Das ist die allerschlechteste Variante. Die Trassierung würde auf den Stand der Mitte des 19. Jahrhunderts gebracht." Durch den Lainzer Tunnel hoffe man dagegen, die bis 2015 erwartete 56 Prozent-Steigerung des Schienengüterverkehrs in der Region Wien bewältigen zu können. Und für die Anrainer der Verbindungslinie durch Hietzing und Meidling erwarte man eine "drastische Reduktion des Lärms."

Bis es jedoch soweit ist, bleiben die Schranken an der Verbindungslinie weiterhin acht Stunden täglich geschlossen. Und das noch mindestens zehn Jahre lang.

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