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Umverteilt wird nur das eigene Geld

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Im Sozialstaat Österreich gibt es eine gewaltige Geldverteilungsmaschinerie: 574.625 Millionen Schilling betrugen 1992 die Sozialausgaben, das sind 28,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP)0. Die FURCHE fragte den Ökonomen und Arbeitsmarktexperten im Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut, Norbert Geldner, woher und wohin eigentlich umverteilt wird:

DIEFURCHE: Wer profitiert in Österreich — unterm Strich gesehen — am meisten vom Sozialstaat?

NORBERT GELDNER: Wir haben herausgefunden, daß sich die vielzitierte Umverteilung im wesentlichen zugunsten des untersten Zehntels und zu Lasten des obersten Zehntels der Einkommenspyramide abspielt. Die einen bekommen im Rahmen von Sozialleistungen mehr, als sie in ihrem Leben einzahlen. Die anderen bezahlen mehr, als sie zürückbekom- men. Für die große Mehrheit gibt es - unterm Strich gesehen - keine Umschichtung des Vermögens oder Einkommens. Bei den meisten Österreichern entspricht die Leistung der Gegenleistung. Es findet lediglich ein horizontaler Risikoausgleich - also etwa im Krankheitsfall oder bei Arbeitslosigkeit - zwischen den Angehörigen derselben Vermögens- und Einkommensklasse statt. Diese schichtenspezifische Versicherung auf Gegenseitigkeit ist sehr typisch für die österreichische Gesellschaftsphilosophie. Sie kommt ja auch immer wieder in Urteilen des Verfassungsgerichtshofes zum Ausdruck wie beispielsweise in Zusammenhang mit der Besteuerung der Unterhaltszahlungen. Die Umverteilung durch die unterschiedliche Steuerlast soll nur zwischen den Kindererhaltern und den Kinderlosen der gleichen Steuerklasse, aber nicht zwischen Reicheren und Ärmeren stattfinden. Das Urteil formuliert ganz ausdrücklich diese schichtenspezifische Solidarität.

DIEFURCHE: Heißt das, pauschal formuliert: Es wird zwar sehr viel Geld umgewälzt, ohne daß letztlich massive Umverteilungseffekte entstehen?

GELDNER: Ja. Was entsteht, sind sehr viel Administration und hohe Kosten. Würde man sich beim System der sozialen Sicherheit lediglich auf den Risikoausgleich und die tatsächliche Umverteilung beschränken, könnte man das System vermutlich beträchtlich vereinfachen. Natürlich ist das viel einfacher gesagt, als im Detail durchgeführt. Das Problem dabei: Die Politiker versprechen sich etwas davon, wenn sie den Leuten das Gefühl geben, sie lassen ihnen Geld zukommen. Gehofft wird, daß die Wähler nicht in voller Klarheit sehen, daß es sich um ihr eigenes Geld handelt.

DIEFURCHE: Ist es überhaupt noch zielführend, über gesetzlich verbindliche Versicherungen alle Risikofälle abzusichem? Liegt nicht die Zukunft darin, daß jeder für sich selbst die maßgeschneiderte Vorsorge trifft?

GELDNER: Den Risikoausgleich über gesetzlich verbindliche Versicherungen kann man sich nie ersparen. Der ist nützlich und wertvoll. Denn, auch derjenige, der meint, er werde ohnehin nie eine private Krankenversicherung brauchen und daher auch keine abschließt, muß im Ernstfall von der Allgemeinheit versorgt werden. Daher ist es sinnvoll, bestimmte Risken abzunehmen. Gäbe es beispielsweise keine Arbeitslosenversicherung, würden alle Beamte werden wollen, und es gebe noch weniger Mobilität und Initiative. Die Österreicher brauchen einen Grundstock an - Sicherheit, auf dessen Basis sie Entscheidungen auf sich nehmen können. Daß einige dann halt auch „Versicherungsbetrug“ begehen, ist ein bedauerlicher Sachverhalt. Aber deshalb muß man nicht das ganze System in Frage stellen. Das Wirtschaftsleben funktioniert, weil die große Mehrheit die Regeln einhält und „Zechprellerei“ eben nur von einer Minderheit begangen wird. Es wäre unsinnig, deswegen die Gaststätten zu schließen. Das ist im sozialen Bereich ähnlich.

DIEFURCHE: Ist der vielzitierte Sozial- mtßbrauch kein brennendes Problem? GELDNER: ES gibt für mich nur ein brennendes Problem, das ist die Sicherung der Pensionen. Hier tickt eine Zeitbombe. Wir haben einerseits einen deutlich sprunghaften Anstieg der Lebenserwartung, andererseits wurde das Pensionsalter deutlich abgesenkt. Das hat eine unsinnige Schere geöffnet. Die Dauer des Rentenbezugs im Verhältnis zur Lebensarbeitszeit ist von einem Achtel auf ein Viertel angestiegen. Diese Entwicklung kann so nicht weitergehen. Aber es ist jetzt schon ziemlich schwer, das Steuer herumzureißen und eine notwendige Entwicklung in die Gegenrichtung einzuleiten.

DIEFURCHE: Besonders stark ist die Invaliditätspension angestiegen…

GELDNER: Sie hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt. Würden die Krankheiten wirklich in dem Maß ansteigen wie die Invaliditätspension, so wäre das ein Alarmsignal und eine Bedrohung der Volksgesundheit. Man müßte die Arbeitsinspektoren fragen, warum sie dieser Entwicklung tatenlos zugesehen haben. In Wirklichkeit ist das natürlich ein wenig anders. Man war bei der Gewährung der Invaliditätsrente großzügig, und hat sie auch dort zugestanden, wo dafür vor 20 Jahren wenig Chancen bestanden hätten. Das sind Verhaltensmuster, die den Generationenvertrag in einer Weise belasten und enorme Probleme vorprogrammieren.

DIEFURCHE: Wie soll es gesellschaftspolitisch weitergehen?

GELDNER: ES wäre sicher falsch, mit immer mehr Druck immer mehr Leistung aus den Menschen herauszuholen. Was wir brauchen, ist eine Veränderung der Arbeitswelt. Wem heute die Pension angeboten wird, der geht, weil er vom Arbeitsleben so genug hat. Arbeit muß wieder Spaß machen, und immer mehr Menschen müßten sich wehren, mit 60 in Pension geschickt zu werden.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

1) Die Daten für 1991 liegen im So- zialministerium noch nicht vor.

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