Umverteilung und europäische Werte

19451960198020002020

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Von der Politik wird dringend verlangt, dagegen etwas zu unternehmen. Doch die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) vergrößert die Unterschiede, statt sie zu verringern. Ein Gastkommentar.

19451960198020002020

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Von der Politik wird dringend verlangt, dagegen etwas zu unternehmen. Doch die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) vergrößert die Unterschiede, statt sie zu verringern. Ein Gastkommentar.

Werbung
Werbung
Werbung

Selbst sogenannte Rechte regen sich auf: Der amerikanische Rohstoffspekulant Jim Rogers spricht von brutaler Enteignung ausgerechnet jener kleinen Leute, denen wir verdanken, dass unsere Wirtschaft überhaupt läuft. Und der frühere deutsche Bundesbankpräsident Axel Weber, nunmehr Präsident einer Schweizer Großbank, hat es ganz klar gesagt: Die derzeitige Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) macht die wirtschaftlich Schwachen ärmer, die Reichen reicher.

Die EZB hält derzeit die Zinsen europaweit nahe bei Null. Nur mit dieser Hilfe der EZB können sich manche EU-Staaten ihre Budgetdefizite überhaupt noch leisten. Aber die Kosten dafür tragen die Sparer, die versuchen, selbst ein wenig für ihre Zukunft vorzusorgen, auch weil sie den großmundigen Versprechungen, der Staat werde im Alter für sie sorgen, immer weniger trauen.

Sparbuchsparer als Verlierer

Es geht dabei um ziemlich viel Geld. Die Erste-Bank hat Mitte Juli eine Studie vorgelegt, wonach allein die österreichischen Sparer (Buchsparer und Anleihezeichner) in den letzten fünf Jahren in Summe 35,5 Milliarden Euro verloren haben, gemessen am früheren Zinsniveau. Auf die Sparbuchsparer allein entfallen dabei rund 24 Milliarden Euro. Man kann diese Ziffern, was ohnedies sehr vorsichtig gerechnet ist, mit 20 multiplizieren, um zu sehen, wieviel Europas Sparern schon bisher weggenommen wurde, um die Defizite etlicher Mitgliedstaaten der EU weiter finanzieren zu können.

Besser geht es den Investoren in Aktien. Die massive Zinssenkungsstrategie der EZB hat die Börsenkurse ordentlich in die Höhe getrieben. Es ist daher kein Wunder, dass es vor allem Banken und andere Kapitalmarktteilnehmer sind, die vor einem Ende der Politik des billigen Geldes warnen. Schließlich waren und sind sie die Gewinner.

Aber die Sparbuchsparer verlieren nicht nur Zinsen, sie tragen auch ein höheres Risiko. Zwar haftet für Verluste für Banken auch weiterhin in erster Linie deren vorhandenes Eigenkapital. Und noch gibt es für Einlagen bei österreichischen Banken ein staatliches Sicherungssystem, das Einlagen unter 100.000 Euro schützt, und es gibt eine Bankenaufsicht, die die Anhäufung von Risken bei einzelnen Instituten bereits im Vorfeld verhindern soll. Derzeit sind also die Sparer mehrfach abgesichert.

Die EU plant allerdings einen Umbau dieses bestehenden Systems. Nicht mehr der Staat soll im Fall der Überschuldung einer Bank die Einlagen sichern, sondern die Banken gemeinsam sollen haften, indem sie laufend in einen Pool einzahlen, der im Fall der Insolvenz einzelner Banken als Haftungsfonds dienen soll. Aber wenn das Geld des Haftungsfonds nicht reicht, dann sollen die Gläubiger einer Bank zur Deckung der Verluste herangezogen werden - und das sind nun einmal auch die Sparer.

Ohne großes Aufsehen sind die gesetzlichen Vorbereitungen für ein System, in dem die Sparer viel rascher und schneller zur Deckung von Verlusten herangezogen werden können, bereits geschaffen worden. Das Tempo, mit dem dieses Gesetz beschlossen worden ist, würde man sich auch in anderen Fällen wünschen. Jedenfalls gibt es in Österreich seit dem 29. Dezember 2014 ein Sanierungs- und Abwicklungsgesetz für Banken. Paragraph 86 besagt, dass die Finanzmarktaufsicht bei Banken alle Verbindlichkeiten (Ausnahmen gibt es natürlich zugunsten der öffentlichen Hand) durch einfachen Bescheid ganz oder teilweise streichen kann. Damit soll erreicht werden, dass im möglichen Insolvenzfall statt des Steuerzahlers die Bankgläubiger den Schaden tragen.

Wie zu Zeiten der Inquisition

Das können die Anleihegläubiger sein. Mit dem Hinweis auf dieses Gesetz will man ja auch Anleihegläubiger der Kärntner Hypo enteignen - nur hat man da leider das Problem, dass man Landeshaftungen nicht auch einfach streichen kann. Aber die Betroffenen, denen man ihre Forderungen streicht, können nach diesem Gesetz eben auch die Sparer sein.

Es kommt noch bunter. In einem Rechtsstaat darf man gegen Entscheidungen von Behörden berufen, so auch hier. Aber Paragraph 118 dieses Gesetzes sieht wörtlich folgendes vor: Im Falle einer Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser bei "Überprüfung der Beschlüsse der Abwicklungsbehörde auf die komplexen wirtschaftlichen Tatsachenbewertungen der Abwicklungsbehörde zu stützen". Nun ist es in Österreich üblich, dass sich die Höchstgerichte nicht mehr mit Beweisfragen auseinandersetzen müssen. Das sollen im allgemeinen die Unterinstanzen tun. Aber es ist nirgends vorgesehen, dass einer der Parteien von vornherein Recht zu geben ist. Dieses Prinzip hat es bisher nur in der Zeit der Inquisition gegeben. Die Trennung zwischen Behörde und Richter wird durch dieses Gesetz inhaltlich aufgehoben, Entscheidungsgrundlage der Richter hat die Meinung der Behörde zu sein, was immer die Betroffenen, allenfalls sogar gerade frisch enteignet, vorzubringen haben. Ist für eine solche Änderung einer Grundregelung unserer Rechtsordnung das Wort "ungeheuerlich" nicht durchaus angemessen?

Man kann dem österreichischen Parlament nicht einmal den Vorwurf machen, diese Entwicklung selbst veranlasst zu haben (höchstens, dass da etliche Abgeordnete wegen der Vorbereitung auf Silvester wohl kaum genauer hingeschaut haben dürften). Dieses Gesetz folgt nur den Vorgaben der Europäischen Union. Dort ist zwar ständig von europäischen Werten die Rede, aber das hindert die EU nicht daran, ein fundamentales Prinzip geordneter Rechtsprechung einfach zu übergehen.

Der Grundsatz, ein Richter habe beide Seiten zu hören ("audiatur et altera pars"), ist bereits im alten römischen Recht vor mehr als 2000 Jahren entwickelt worden und war bisher ein selbstverständliches, wesentliches Element rechtsstaatlicher Verhältnisse. Und die darf man so einfach zum Zweck von Bankenrettungen über Bord werfen?

Blase der Staatsverschuldungen

Und zusätzlich ist selbst für den Fall vorgesorgt, dass das Verwaltungsgericht bzw. der Verwaltungsgerichtshof sich trotzdem eine eigene Meinung anmaßt. Die Rechtsfolgen eines angefochtenen Bescheides darf er nach diesem Gesetz auf keinen Fall aufheben. Wenn der Grundsatz der Gewaltentrennung stört, wirft man ihn eben über Bord. Es heißt zwar schon im nächsten Absatz dieses Paragraphen, dass die Rechtsfolgen dann aufgehoben werden können, wenn dadurch "keine schutzwürdigen Interessen Dritter" verletzt werden. Aber das ist nur ein Sich-Drücken vor Entscheidungen. Denn wer oder was ist schutzwürdiger: die Existenz der Bank - oder die Interessen der Gläubiger? Genau das bleibt im Gesetz offen.

Nun ist das Risiko für Bankinsolvenzen in den nächsten Jahren auf den ersten Blick gering. Aber es wird genau dann rasch größer, wenn eintritt, was die EU gerne haben möchte, und wogegen sich - zu Recht -Deutschland und Österreich bisher energisch wehren: dass nämlich alle für alle haften, also auch die deutschen und österreichischen Banken für die griechischen, italienischen, portugiesischen usw. - und für die Ausfälle bei allen Banken, die den entsprechenden Ländern Kredite gewährt oder deren Anleihen gekauft haben.

Noch ist das Dogma aufrecht, dass es bei europäischen Staaten keine Zahlungsausfälle geben darf. Aber nur mehr ganz besonders unverbesserliche Optimisten hoffen, dass beispielsweise Griechenland seine Schulden auf Dauer ohne Schuldenstreichung (und damit ohne Abwertung der Forderungen gegen Griechenland in den Bilanzen der finanzierenden Banken) bewältigen kann. Sollte die Blase der europäischen Staatsverschuldung je platzen, dann sind es nach nunmehriger Rechtslage letzten Endes auch die sogenannten kleinen Sparer, die dafür zu zahlen haben werden.

Der Autor war Bankmanager, ist heute Gesellschafter einer Vermögensverwaltungsgesellschaft und daneben als Publizist tätig

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung