Unangepasstheit ist unleistbar geworden

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Jugendliche kämpfen heute nicht mehr gegen "das Establishment“. Im Fokus steht die Sorge um ihre Zukunft, meint Jugendforscher Manfred Zentner.

Gemeinsam mit über 50 jungen Menschen hat der Jugendkulturforscher Manfred Zentner die Jugendcharta des Jugendrotkreuzes erarbeitet. Zentner spricht von einer sehr pragmatischen Jugend, die es sich nicht leisten kann, unangepasst zu sein.

Die Furche: In der Jugendcharta werden kaum politische Forderungen gestellt.

Manfred Zentner: Viele Jugendliche und auch Erwachsene können keine Beziehung zwischen der Politik und ihrem Leben herstellen. Ihre politischen Wünsche sind diffus, etwa möchten sie sich finanziell mehr leisten können. Dennoch hat jeder Punkt der Charta eine gesellschaftspolitische Dimension: Die Integration von Schülern mit Migrationshintergrund etwa kann nicht durch die Politik allein geschehen, sondern muss von der Gesellschaft gelebt werden.

Die Furche: Stimmt die viel beschworene Politikverdrossenheit der Jugendlichen tatsächlich?

Zentner: Ja, bei Jugendlichen und Erwachsenen: 15 Prozent der Erwachsenen und 12 Prozent der Jugendlichen interessieren sich für Politik. Die Leute lehnen die traditionelle Parteipolitik ab. Sie haben den Glauben verloren, dass Politiker Probleme lösen können.

Die Furche: Warum ist die jugendliche Protestkultur so schwach?

Zentner: "Wir retten die Welt“ glaubt heute kein Mensch mehr. Protestbewegungen wie "Occupy Wall Street“ haben zwar auf sich aufmerksam gemacht, aber nichts verändert. So werden Bewegungen zu reinen Symbolismen. Früher haben Protestbewegungen eine Alternative aufgezeigt. Heute fordern sie eine Alternative von den Entscheidungsträgern.

Die Furche: Die 20- bis 24-Jährigen sind aber oft ehrenamtlich tätig.

Zentner: Ehrenamtliche Arbeit ist vor allem eine Frage der Zeit und Energie. Studierende haben mehr Zeit. Wenn Jugendliche nicht wissen, wie man sich engagiert, ist das eine Folge der Individualisierung.

Die Furche: Wie können Parteien die Sympathien Jugendlicher gewinnen?

Zentner: Ein wichtiges Thema ist die Suche nach Sicherheit. Junge Menschen müssen sich in einer orientierungslosen Zeit orientieren. Je nach Milieu können solche Wegweiser unterschiedlich aussehen. Für bildungsferne Schichten, in denen die Angst um den Arbeitsplatz dominiert, könnte ein Wegweiser lauten: "Österreicher sollen zuerst einen Job erhalten.“

Die Furche: Sind Jugendliche empfänglicher für Populismus?

Zentner: Ob jemand auf populistische Parolen aufspringt, hängt nicht vom Alter ab, sondern vom Bildungsgrad und der sozialen Schicht. H.C. Strache wird nicht nur von Jugendlichen als "der junge, flotte Politiker“ eingestuft, sondern auch von Erwachsenen.

Die Furche: Wieso haben Jugendliche einen Rechtsruck gemacht?

Zentner: Alle Altersgruppen haben einen Rechtsruck mitgemacht. Paradox ist, dass viele jugendliche Rechtswähler mit Migranten befreundet sind. Ihr Wahlverhalten ist kein Ausdruck der Menschenverachtung, sondern ein Versuch, mit der gesellschaftlichen Komplexität zurechtzukommen.

Die Furche: Die Eurobaromter-Untersuchungen zeigen, dass österreichische Jugendliche der EU negativ gegenüberstehen.

Zentner: Sogar auffallend negativ, verglichen mit Jugendlichen aus anderen EU-Ländern. 30 Prozent assoziieren die EU mit Arbeitslosigkeit, zu wenig Schutz an den Grenzen sowie einem Verlust der kulturellen Identität.

Die Furche: Unterscheiden sich 16- und 18-Jährige in ihrem Wahlverhalten?

Zentner: Nein. Seit der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre beobachten wir sogar eine höhere Wahlbeteiligung der Erstwähler. Nun setzen sich die Jugendlichen früher mit Politik auseinander.

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