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Und wie wählt unser Nachbar?

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Es sei auch auf das Beispiel verwiegen, das das Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland bietet:

Die Abgeordneten zum Deutschen Bundestag werden nach den Grundsätzen „einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt“. Von den insgesamt 516 Abgeordneten werden 258, also die Hälfte, nach Kreiswahlvorschlägen und den Grundsätzen der relativen Mehrheitswahl in den Wahlkreisen und die übrigen nach Landeswahlvorschlägen und den Grundsätzen der Verhältniswahl in den Ländern gewählt.

Diese Wahl beruht somit auf einem Kombinationswahlsystem, in dem Elemente der Mehrheitswahl mit solchen der Verhältniswahl verbunden sind.

Ein rechtlicher Unterschied zwischen Wahlkreis- und Listenabgeordneten besteht dagegen nicht.

Jeder Wähler hat zwei Stimmen. Eine Stimme für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten, eine zweite („Zweitstimme“) für die Wahl einer Landesliste (§ 4). Bei der Wahl in den Wahlkreisen wird, wie bereits ausgeführt, in jedem Wahlkreis ein Abgeordneter gewählt. Gewählt ist der Bewerber, der von allen Bewerbern die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte (relative Mehr- heitswahl, § 5).

Die Wahl nach Landeslisten dient dem Verhältnisausgleich. Sie ergänzt die in den Wahlkreisen mit den Erststimmen geschaffenen Wahlergebnisse zu einer die Gesamtwahl umfassenden Verhältniswahl.

Freie Bürger — freie Abgeordnete

Alle diese Gedanken und Vorschläge zur Demokratisierung des Wahlrechtes bedürfen einer Ergänzung, ohne welahe die angestrebte

Verlebendigung der Demokratie wieder gefährdet wäre. Wird nämlich die Person des Kandidaten in einer Wahlrechtsreform in den Vordergrund gestellt und vor der Wahl dem ausschließlichen Willen des Parteisekretariats entzogen, dann darf nicht nach der Wahl der gewählte Kandidat als Abgeordneter dem Parteisekretariat wieder völlig auisgeliefert werden. Gleichgültig, welchen Reformvorsohlag man annimmt, jeder muß auch darauf gerichtet sein, daß in die Nationalratswahlordnung die Erklärung der Unzulässigkeit von blanko abgegebenen Mandatsverzichterklärungen aufgenommen wird. Das Mandat soll auch tatsächlich, wie es der Artikel 56, Bundesverfassungsgesetz 1920, verlangt, ein freies sein. In einem demokratischen Rechtsstaat sollen freien Bürgern freie Abgeordnete entsprechen.

Der Vorschlag der Volkspartei

Einen bemerkenswerten Weg zur Demokratisierung des Wahlrechtes versucht die österreichische Volkspartei mit ihrem Vorschlag zur Wahlrechtsreform. Dieser Vorschlag wurde nicht wie der Vorschlag der Sozialistischen Partei Österreichs als Initiativantrag im Nationalrat eingebracht, sondern wurde vom Bundesparteiobmann Dr. Klaus und Generalsekretär Dr. Withalm am 25. Oktober 1963 in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit mitgeteilt. Wenn zwar von der ÖVP im Unterschied zur SPÖ bis heute noch kein detaillierter Entwurf zur Reform der Nationalratswahlordnung vorliegt, können doch aus den bei der genannten Pressekonferenz gemachten ÖVP- Empfehlungen interessante Möglichkeiten zur Verlebendigung der Demokratie in Österreich erkannt werden.

Die ÖVP spricht sich gegen eine Erhöhung der Zahl der Abgeordneten von 165 auf 180 Mitglieder des Nationalrates aus, zumal eine solche Erhöhung nur mit Mehrausgaben für den Staat verbunden wäre, ohne einen Ansatz für eine echte Demokratisierung des Wahlrechtes zu bieten. Die ÖVP glaubt vielmehr, einen besseren Kontakt zwischen der Wählerschaft und den Mandataren dadurch zu erreichen, daß sie für eine Schaffung von 70 Einmannwahlkreisen eintritt. Es soll zwar die Zahl der Wahlkreise von 25 Wahlkreisen auf 9 Bundesländerwahlkreise unter Beibehaltung der 4 Wahlkreisverbände verringert werden, aber diese 9 Bundeslärtderwahlkreise sol len in insgesamt 70 kleinere Einmannwahlkreise unterteilt werden. Wohl verläßt die ÖVP damit gleich der SPÖ die historische Wahlkreiseinteilung, weiß ihr aber durch die empfohlene Bildung von Einmannwahlkreisen einen entsprechenden Ersatz zu bieten, der im Gegensatz zum SPÖ-Vorschlag die Gewähr bieten könnte, daß die schon jetzt zu lockeren Kontakte zwischen Wählern und Gewählten gefestigt werden könnten.

Der „Einerwahlkreis“

Die Einerwahlkreise sollen für etwa je 100.000 Einwohner gelten, so daß ungefähr auf Burgenland 3, Kärnten 5, Niederösterreich 13, Oberösterreich 11, Salzburg 3, Steiermark 11, Tirol 5, Vorarlberg 2 und Wien 15 solche Wahlkreise entfielen. Der einzelne Mandatar hätte daher nach dieser ÖVP-Empfehlung bloß die Interessen seines Wahlkreises zu betreuen und nicht die des ganzen Bundeslandes, wie es sich aus dem SPÖ-Entwurf ergeben würde. Jeder Wähler hätte einen Stimmzettel, der auf den Namen des Kandidaten des Einwahlkreises und auf die Parteiliste im Landeswahlkreis lauten würde. Maßgebend für die Kandidatur einer Partei ist nach wie vor die Einbringung der Parteiliste. Für jedes der 9 Bundesländer ist eine eigene Parteiliste zu erstellen. Einzelkandidaten können auch nur von einer wahlwerbenden Partei, die eine solche Liste eingebracht hat, namhaft gemacht werden.

Sollte ein Kandidat in einem Einerwahlkreis 4 unterliegen, könnte er unter der Voraussetzung, daß er nicht gestrichen oder an eine schlechtere Stelle gereiht wurde, über die Landesliste in den Nationalrat kommen. Wer aber in einem Einmannwahlkreis siegt, dessen Partei aber weder ein Grundmandat erlangt noch im gesamten Bundesgebiet fünf Prozent der Stimmen erreicht, gilt somit als nicht gewählt.

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