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Ungleichgewicht zwischen alt und jung

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So gut wie alle westeuropäischen Industriestaaten haben durch Überalterung - hohe Lebenserwartung, geringe Geburtenrate -große Probleme mit der Finanzierung des staatlichen Altersvorsorgesystems. Zwar zeigen langfristige Prognosen, die bis ins Jahr 2040 reichen, daß die Überalterung in Europa uneinheitlich ist. Am stärksten sind die Schweiz und Deutschland, am wenigsten Großbritannien und Griechenland betroffen. Doch unabhängig von diesem graduellen Unterschied stellt die demographische Entwicklung ganz allgemein das Umlageverfahren, den sogenannten Generationsvertrag, in Frage. Ohne Alternativlösungen werden die Erwerbstätigen früher oder später nicht bereit sein, die ausschließliche Finanzierung der Altersrenten mit ihren Beiträgen zu übernehmen, ohne zu wissen, ob und in welcher Höhe ihre eigene Rente zum gegebenen Zeitpunkt gesichert ist.

Die Zuverlässigkeit der Altersvorsorge wird von drei wichtigen Faktoren bestimmt: Neben der demographischen Entwicklung sind dies das Wirtschaftswachstum und der soziale Wandel. Ein Vergleich dieser Einflüsse zwischen Österreich und anderen wichtigen europäischen Ländern kommt zu dem Ergebnis, daß die bestehenden Unterschiede nicht so gravierend sind, um grundsätzliche Differenzen bei Problemstellung und Lösungsansätzen von Land zu Land erwarten.

So werden die Möglichkeiten, die demographische Entwicklung durch höheres Wirtschaftswachstum auszugleichen, überall zu optimistisch beurteilt. Erstens ist es fraglich, ob die Zuwachsraten der letzten 30 Jahre angesichts der ökologischen Anforderungen, der politischen Unsicherheiten und der wachsenden internationalen Konkurrenz aufrechterhalten werden können. Die Ausweitung des Bruttoinlandsprodukts lag überdies schon in der Vergangenheit unter den Steigerungsraten der Pensionsansprüche. Zweitens darf nicht vergessen werden, daß diese Ansprüche in Konkurrenz zu Forderungen stehen, die die junge Generation etwa hinsichtlich Ausbildung, Forschung und Entwicklung nicht ohne Berechtigung erhebt.

Jede Reform muß auch den sozialen Wandel der letzten Jahrzehnte berücksichtigen. Eine wichtige Rolle spielt das späte Berufseintrittsalter. Auch ging man bisher bei der Ausgestaltung der Versorgungssysteme vom traditionellen Familienbild aus. Die Frau sollte für die Familie sorgen, der Mann verdient den Lebensunterhalt. Nun haben sich aber die Lebens- und Arbeitsformen in Europa grundlegend geändert, auch wenn ein erstaunlicher Unterschied bei der Erwerbsquote in den einzelnen Ländern festzustellen ist. Bereits im Jahr 1981 waren in Finnland und Dänemark 59 beziehungsweise 63 Prozent aller Frauen berufstätig, in Österreich jedoch nur knapp 35 Prozent. Dieser Satz wird nur von Italien und den Niederlanden (jeweils 27 Prozent) und Großbritannien (29 Prozent) unterboten.

Neben der stärkeren Einbindung von Frauen in den Arbeitsprozeß sowie ihrer deutlich gestiegenen Qualifikation durch verbesserte, lange Zeit vernachlässigte Ausbildungsmöglichkeiten, werden andere Faktoren wie vermehrte Scheidungen, eine größere Anzahl von Single-Haushalten und alleinerziehenden Müttern und Vätern in Rechnung zu stellen sein.

Gefragt sind auch neue Formen der Solidarität. Ein beträchtlicher Teil der Rentner wird in guten finanziellen Verhältnissen leben. Sie werden nicht ausschließlich auf die staatlichen Altersleistungen angewiesen sein. Soweit sie über zusätzliche Einnahmen aus Lebensversicherungen, Zins- und Mieterträgen, sowie Sparkapitalien verfügen, werden sie einen größeren Beitrag leisten müssen, um die aktive Bevölkerung bei ihren Verpflichtungen im Rahmen des Generation^n-vertrages zu entlasten. Umgekehrt muß möglichst verhindert werden, daß Menschen, die zeitlebens durch ein bescheidenes Leben Ersparnisse für ihr Alter angehäuft haben, nicht gegenüber jenen benachteiligt werden, die den Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten vor ihrer Pensionierung voll ausgeschöpft haben.

Von Bedeutung ist auch der Einfluß des Arbeitsmarktes auf die Pensionsbeiträge. Je größer die Beschäftigung, desto mehr Geld steht zur Verfügung. Konjunkturell bedingte Arbeitslosigkeit fällt dabei als temporäres Problem nicht so sehr ins Gewicht. Viel schlimmer ist das Phänomen der strukturellen Arbeitslosigkeit beziehungsweise der Langzeitarbeitslosigkeit, worunter Länder wie Spanien, Frankreich oder Großbritannien, Finnland und neuerdings auch Schweden besonders leiden.

Ebenso belasten Frühpensionen Sozialversicherungssysteme wie auch den Staatshaushalt. Österreich nimmt hier einen unangefochtenen Spitzenplatz ein: Der Anteil der erwerbstätigen 60-bis 64jährigen Bevölkerung beträgt im EU-Durchschnitt 23,3 Prozent, in Österreich 8,8 Prozent, in den Niederlanden 14,6 Prozent, Deutschland 19,1 Prozent, Dänemark 37,9 Prozent, Großbritannien 38 Prozent.

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