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Unglücksjahr für die Familien

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Während es bei den anderen vom „Sparpaket“ betroffenen Bevölkerungsgruppen im wesentlichen um die Dämpfung von Einkommenszuwächsen geht, müssen die Familien mit absoluten Kürzungen rechnen.

Um die Leistungsfähigkeit des Sozialstaates zu erhalten, muß in der kommenden Legislaturperiode das Schwergewicht auf eine Konsolidierung sozialstaatlicher Leistungen und Maßnahmen, verbunden mit einer Verbesserung der Transparenz, der Zielgenauigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit gelegt werden. Dabei ist auch eine stärkere Orientierung an der Ein- kommenssituatioff der Empfänger von bestimmten sozialstaatlichen Leistungen und eine Vermeidung von Doppelförderungen — etwa im Familienbereich — anzustreben.“ — Soweit das soeben erst zwischen SPÖ und ÖVP abgeschlossene Regierungsübereinkommen im Kapitel „Arbeitswelt und Soziales“.

Wenige Seiten weiter, in einer sogenannten „Anlage“, sind dann je-, doch jene „Maßnahmen zur Konsolidierung des Bundeshaushalts in der Periode 1994 bis 1998“ formuliert, die mit den genannten sozialpolitischen Zielen — zumindest was die Familien betrifft - freilich wenig zu tun haben:

Vereinheitlichung der Familienbeihilfen und des Kinderabsetzbetrages auf mittlerem Niveau; im Gegenzug Ausweitung der Bemessungsgrundlage für den Bezug von Stipendien bei gleichzeitiger Über prüfung der Studienerfolgskriterien. Beziffert wird der „Einsparungserfolg“ im Regierungsprogramm mit 1,5 Milliarden Schilling.

Barleistungen im Zusammenhang mit Fahrtbeihilfen und Freifahrten werden abgeschafft. Bei ausbildungsbezogenen Sachleistungen wird ein Selbstbehalt von 10 Prozent eingeführt. Erhoffter Spareffekt: 700 Millionen Schilling.

Abschaffung des erhöhten Karenz- urlausbgeldes; Festlegung einer Unterhaltspflicht für höhere Kosten, die Kinder Alleinerziehern verursachen.

In allen genannten Maßnahmen kann weder eine „Verbesserung der Transparenz, der Zielgenauigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit“ noch eine „stärkere Orientierung an der Einkommenssituation der Empfänger“ entdeckt werden - und schon gar nicht die „soziale Ausgewogenheit“, die die künftige Regierung ihrem Sparprogramm attestiert:

Denn zur Kasse gebeten werden die Familien, während die Gruppe der Kinderlosen keinen Beitrag zur Budgetkonsolidierung leisten muß.

An grundsätzlichen Widersinnigkeiten im Bereich des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) ändert sich nichts: so bezahlt der FLAF für die Schülerfreifahrten an die Verkehrsbetriebe — speziell die ÖBB - auch weiterhin überhöhte Tarife; bloß müssen die Eltern mit einem zehnprozentigen Selbstbehalt rechnen.

Die „Zielgenauigkeit und die Verteilungsgerechtigkeit“ wird verschlechtert statt verbessert: die soeben erst eingeführten, nach Anzahl der Kinder gestaffelten, und von der ÖVP als großartige Errungenschaft gefeierten Kinderabsetzbeträge werden ebenso wie die Familienbeihilfe, die derzeit noch nach dem Alter der Kinder gestaffelt ist, vereinheitlicht: damit wird nicht nur der nach wie vor gültige Spruch des Verfassungs- gerichtshofes ignoriert, der Anlaß zur Einführung der gestaffelten Kinderabsetzbeträge war, es werden Mehr-Kind-Familien, die in der Regel zu jenen Haushalten mit den geringeren Pro-Kopf-Einkommen zählen, direkt benachteiligt. Es ist mehr als fraglich, ob die angestrebte Regelung der Koalitionsregierung einer neuerlichen Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof standhalten würde. Ünd ein Ignorieren des Höchstgerichtes durch einen Zwei- Drittel-Beschluß im Nationalrat erscheint angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse im Parlament nicht gerade als wahrscheinlich.

Einzige Hoffnung für die Familien ist, daß sich zumindest innerhalb der ÖVP bereits der Widerstand gegen die Belastungswelle regt: Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll und ÖAAB-Bundesobmann Josef Höchtl haben erklärt, eine Benachteiligung der Familien nicht akzeptieren zu wollen.

Starke Worte fand auch Familien- Bischof Klaus Küng: er sprach von einer „sozialen Schande“; Familiengründung dürfe nicht zu einem „Privileg der Reichen“ werden.

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