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Unnötig und unnütz

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DIEFURCHE: Wie ist der Stand der Gentechnik in der Nutztierforschung? ALFRED HAIGER: Meines Wissens nach gehen die Bemühungen in folgende Bichtungen: Zunächst wird versucht, die Inhaltsstoffe tierischer Produkte zu verändern, etwa andere Eiweiße in die Milch zu bekommen, als derzeit darin enthalten sind. Eine zweite Stoßrichtung ist die Leistungssteigerung der Tiere. Drittens gibt es Bemühungen, die Besistenz gegen Krankheiten zu steigern. Ein vierter Anwendungsbereich ist schließlich die Diagnose von Erbfehlern. Von diesen vier Bereichen würde ich nur den letzten gelten lassen, wenn das Wissen nur zur Feststellung von Erbschäden und nicht zur Weiterzucht eingesetzt wird.

DIEFURCHE: Was geschieht dabei? HAIGKR: Beim jetzigen Wissensstand hat diese 1 )iagnose für alle Beteiligten positive Folgen: Dem Tier, von dem ich weiß, daß es einen Erbfehler hat, kann man Leiden, an dem es zugrunde gehen würde, ersparen. Außerdem wird man mit Tieren, die den Erbfehler tragen, nicht weiterzüchten und damit wird der Fehler nicht weitergegeben. Und schließlich wird der Bauer vor Schaden bewahrt.

DIEFURCHE: Wie soll man das Erzeugen von Resistenz gegen Krankheiten beurteilen?

HAIGER: Ein Beispiel dafür - an ihm wird praktisch gearbeitet - ist das Bemühen, das MX+-Gen von der Maus auf Schweine zu verpflanzen. Man hat festgestellt, daß Mäuse, die dieses Gen tragen, gegen bestimmte Grippe-Viren weniger empfindlich sind. Diese Eigenschaft versucht man, auf Schweine zu übertragen. Um diesen Ansatz zu beurteilen, ist es sinnvoll zu fragen: Wo tritt diese Grippe überhaupt bei Schweinen auf? Die Antwort: Hauptsächlich bei nicht artgerechter Massentierhaltung ohne Stroh auf Beton und engstem Baum. In Biobetrieben, die den Schweinen nicht 0,6 sondern ein bis 1,5 Quadratmeter geben, tritt die Grippe weitaus seltener auf. Was tut die Gentechnik also in diesem Fall? Sie versucht, das Leben der Schweine an nicht lebenswerte Umstände anzupassen.

Bei Säugetieren befindet sich die Anwendung der Gentechnik noch im Anfangsstadium. Schon jetzt aber bestehen Zweifel an ihrer Sinnhaftigkeit.

DIEFURCHE: Sind gentechnisch veränderte Schweine dann tatsächlich immun gegen die Grippe? H.MGER: Nur die Bäte des Auftretens ist geringer. Ob dieses Gen bei den Schweinen auf Dauer diessel-be Wirkung haben wird wie bei der Maus, weiß man derzeit nicht. Aber allein der Weg, Schweine genetisch an Umstände anzupassen, die wider die Natur sind!

Daß die Erzeugung von Besistenz gegen Krankheiten nicht das erste Interesse der Genforschung ist, haben übrigens die Pflanzenzüchter bewiesen: Die ersten Pflanzen, die zu Patenten angemeldet wurden, waren nicht resistent gegen Krankheiten, sondern gegen Schädlingsbekämpfungsmittel. Auch da eine Anpassung an widernatürliche Zustände.

DIEFURCHE: Können andere Krankheiten genetisch vermieden werden? HAIGER: Meines Wissens nach nicht. An der erwähnten Grippebekämp fung wird gearbeitet. Sie erweist sich anscheinend als nicht so erfolgreich wie erhofft und wird noch nicht breit gestreut angewendet.

DIEFURCHE: Wie sehen Sie die Frage der genetisch erhöhten Leistungssteigerung?

HAIGER: Da ist ganz einfach zu sagen: Wir leiden nicht an Mangel. Im Gegenteil: Wir haben zu viel Milch, zu viel Fleisch ... Wofür brauchen wir mehr? Und schließlich die Veränderung von Produkten, etwa der Milch ...

DIEFURCHE: Was wird da verändert? HAIGER: Man denkt daran, über Kühe Medikamente zu erzeugen, bestimmte Eiweiße, dje dann als Impfstoffe verwendet werden. Theoretisch wäre das eine ideale Vorgangsweise: Die Kuh würde über das Melken auf natürliche Weise das FLiweiß abliefern. Man muß das Tier nicht schlachten, um das Eiweiß zu gewinnen. Wenn man jetzt Wachstumshormone gewinnen will, dann kann man das nur am Schlachthof aus I Iypophysen. So aber würde das Säugetier Bind über die Milch Eiweiße liefern, die für sie körperfremd sind und die man nur extrahieren und reinigen müßte. Das nennt sich „Gene-Farming".

DIEFURCHE: Hat man bei solchen Manipulationen ausreichend viel Wissen über deren sonstige Auswirkungen auf den Tierorganismus? HAIGER: Was man sonst noch tut, darüber weiß man sicher nichts. Da müßte man über viele Generationen Experimente machen. Auch in der Natur passieren Mutationen. Sie werden in der Umwelt über viele Generationen hinweg geprüft, ob sie tauglich sind. Der Wissenschafter aber, der sich einen Punkt aus dem riesigen Muster herausnimmt, den interessiert ja das Umfeld kaum. Er ist an der F'rzeugung eines bestimmten Eiweißes interessiert.

DIEFURCHE: Viele behaupten, mit der Gentechnik mache man eigentlich dasselbe, was in der Natur geschieht, nur eben rascher und gezielter ... FlviGER: Eigentlich wissen wir gar nicht, wie sich die Dinge in der Natur abspielen. Es gibt kein naturwissenschaftlich gesichertes Wissen darüber, wie aus einer Art eine andere entsteht. Der Mechanismus der Veränderungen funktioniert innerhalb der Arten. Aber wie aus Amphibien Beptilien werden, darüber weiß niemand etwas.

Wann, wie, unter welchen Umständen und ob überhaupt so etwas geschieht, das wissen wir einfach nicht. Die Überschreitung der Arten ist naturwissenschaftlich nicht nachgewiesen. Gentechnik ist insofern etwas ganz anderes. Variation und Selektion innerhalb der Arten: Darüber haben wir Wissen.

DIEFURCHE: Wird die Gentechnik bei den Nutztieren überhaupt eine Rolle spielen?

HAIGER: Sollte es gelingen, den Ertrag um 20 Prozent zu steigern und dafür ein Patent zu bekommen, dann hat das

große Perspektiven für die wenigen, die das dann vertreiben.

DIEFURCHE: Wird die Landwirtschaft auf diesen Zug aufspringen? H.MGER: In einem Umfeld, in dem fast alles nur monetär bewertet wird, wo der Ertrag allein zählt, wird das eine große Bolle spielen.

DIEFURCHE: Wie wirkt sich die Technik auf die Artenvielfalt aus? H.MGER: Schon die herkömmliche Hochleistungszucht verringert die Arten und innerhalb der Arten gibt es immer weniger Sorten. Es setzen sich die rentableren durch. In der Pflanzenzucht ist das nicht so gravierend. Die Keime lassen sich gut aufbewahren. Bei Tieren ist das schwieriger. Durch die Gentechnik wird die Formenvielfalt noch einmal um eine Potenz eingeschränkt werden. Das wird die Fähigkeit der Organismen, sich an neue Bedingungen anzupassen, massiv verringern.

DIEFURCHE: Wie lang würde es voraussichtlich dauern, bis gentechnisch veränderte Tiere eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft spielen? H.MGER: Man muß mit ein bis zwei Jahrzehnten rechnen. Bei den Nutztieren funktioniert, derzeit im Sinne der Erfinder noch nichts außer der Erbfehlerdiagnose.

DIEFURCHE: Sind das aufwendige Ver-fahren?

Haiger: Zwischen 200 und 400 Schilling kostet die Diagnose der zwei bis drei Erbfehler, für die man jetzt Verfallren hat. Das zahlt sich aus und wird auch relativ oft eingesetzt, etwa für die Streßanfälligkeit bei Schweinen oder einige Erbkrankheiten beim Rind. Meine bisherigen Becherchen und Beobachtungen ergeben, daß diese Gentechnik nicht deswegen forciert wird, um die Menschen vor Hunger zu schützen, um den Bauern ein höheres Einkommen zu verschaffen, sondern damit einige wenige Konzerne, sich ein Stück Leben patentieren lassen können, um damit ein Geschäft zu machen. Für die Allgemeinheit ist die Technik weder notwendig, noch nützlich.

Das Gespräch mit

Univ. Prof. Alfred Ilaiger, dem Vorstand des Institutes für Nutztierwissen-schaften an der Universität für Bodenkultur in Wien, führte Christof Gaspari

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