Unser Wintergarten in Almeria

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Gurken, Karfiol, Tomaten zu jeder Jahreszeit in den Regalen der Geschäfte: Wie hoch die sozialen und Umwelt-Kosten dieses Luxus sind, zeigt ein Blick in die südspanischen Glashäuser.

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Gurken, Karfiol, Tomaten zu jeder Jahreszeit in den Regalen der Geschäfte: Wie hoch die sozialen und Umwelt-Kosten dieses Luxus sind, zeigt ein Blick in die südspanischen Glashäuser.

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Wenn man mit dem Flugzeug über Almeria fliegt erkennt, man einen riesigen silbrig grau schimmernden Teppich, der als "mar del plastico" (Plastikmeer) bezeichnet wird. Damit ist die weltweit größte Konzentration von Intensivkultur gemeint, die sich zwischen dem kahlen braunen Gebirgszug und dem weiten Meer ausbreitet. Das Plastikmeer bedeckt in der andalusischen Provinz Almeria bereits 350 Quadratkilometer Land und erwirtschaftet 80 Prozent des gesamten spanischen Gemüseexports.

Massive Förderungen der EU waren jedoch notwendig, um die enorme Produktion von Tomaten, Gurken, Paprika, Erdbeeren und anderen Produkten aufbauen zu können. Das produzierte Gemüse wird mitten in den Wintermonaten in unseren Supermärkten günstigst zum Kauf angeboten. Kaum jemand verschwendet beim Einkauf einen Gedanken an die Produktionsbedingungen im Herkunftsland, die diesen Luxus erst ermöglichen.

In 32.000 Gewächshäusern, die sich auf 15.000 landwirtschaftliche Betriebe verteilen, produziert die Region Almeria im Jahr 2,8 Millionen Tonnen Obst und Gemüse für den EU-Binnenmarkt. Dabei müssen "phytosanitäre Erzeugnisse" - so umschreibt man Pestizide und Düngemittel - im Übermaß eingesetzt werden, damit die notwendige Produktivität gewährleistet bleibt. Im Vergleich mit ihren holländischen Kollegen, setzen die "Gemüsebauern" in Südspanien doppelt soviel Düngemittel und drei- bis viermal mehr Pestizide ein.

Im Durchschnitt werden pro Hektar 40 Kilogramm Pestizide eingesetzt (Bodendesinfektionsmittel wie Methylbromid und Chlorpikrin nicht mitgerechnet), obwohl mehrere Studien inzwischen die massiven Gesundheitsschädigungen durch die Pflanzengifte belegen. Von 506 schweren Vergiftungsfällen, die in der Intensivstation von Torrecardenas (Almeria) behandelt wurden, starben 25 an den Folgen einer Organophosphat-Vergiftung. Symptome wie Erbrechen, Kopfschmerzen und Hautentzündungen gehören zum Alltag.

Ob im Fettgewebe der Kinder oder im Anstieg der Brustkrebsraten, überall lässt sich der Zusammenhang mit der Intensivlandwirtschaft herstellen.

"Pro Hektar kannst du eine Ernte von 160 Tonnen Tomaten erzielen", sagt Antonio, einer der Landbesitzer Andalusiens, "pro Hektar brauchst du durchschnittlich einen Moro, sonst schaffst du es nicht." Moro ist der abschätzige Ausdruck für die marokkanischen Immigranten.

Diese leben zu Tausenden in der Provinz und sind mitverantwortlich für das Wirtschaftswunder Andalusien. Ihre Lebenssituation ist jedoch katastrophal: Für umgerechnet 300 Schilling am Tag müssen sie die Strapazen unter den Plastikfolien aushalten. Als Behausung dienen Schuppen neben Pestiziden und Düngemitteln oder alte Gebäude, deren Dach eingestürzt und die nur mit einer Plastikplane überdeckt sind.

"Unter dem Plastik arbeiten 20.000 bis 25.000 Marokkaner. Die soziale Ausbeutung erinnert mehr an die Dritte Welt als an Europa", so das Resümee einer Delegation des Europäischen Bürgerforums. Unter diesen Umständen müsste das "TransFair"-Gütesiegel, das eigentlich nur gerechtere Handelsbedingungen und Löhne in der Dritten Welt garantiert, auch innerhalb der EU zur Anwendung kommen.

Ja nicht per Flugzeug Die Einhaltung der Menschenrechte muss, weltweit und erst recht innerhalb der EU, ein Grundprinzip sein. Die Zukunft können daher nur Tomaten aus Biolandbau sein, die unter sozialgerechten Bedingungen hergestellt wurden.

Auch wenn ein Transport mit dem Lkw notwendig ist, sind Biotomaten, die in klimatisch begünstigten Regionen Südeuropas produziert werden, energetisch immer noch vernünftiger als Tomaten aus beheizten Glashäusern. Denn Tomaten aus Südeuropa weisen, trotz des Energieaufwandes für den Lkw-Transport, mit 0,6 kg CO2 pro Kilo eine günstigere Energiebilanz auf als ein Kilo Tomaten aus dem Treibhaus mit einer Emissionsbilanz von 3,2 Kilo CO2.

Dieser Vergleich zeigt, dass die Gemüseproduktion im Treibhaus im Schnitt fünf bis zehn mal umweltschädlicher ist als ein entsprechendes Freilandprodukt. Die schlimmste Energiebilanz haben natürlich Tomaten, die per Flugzeug geliefert werden: Da werden nämlich beachtliche 7,2 Kilo CO2 für jedes Kilo Tomaten, das per Flugzeug von den Kanarischen Inseln nach Österreich geschafft wird, in die Luft geblasen. Im Gegensatz dazu erfordern Sommer-Tomaten aus der eigenen Region fast keine Energiezufuhr, bis sie in unseren Regalen landen.

Der Autor ist Mitarbeiter von Klimabündnis Kärnten.

Produktionskosten in Schilling von 100 Kilogramm Tomaten in Holland und in Almeria/Spanien (1997) Holland Spanien/Almeria Pestizide 12,70 50,40 Dünger 12,70 31,50 Wasser 6,30 12,70 Bodenpreis 19,00 37,80 Heizung 119,60 0,00 Arbeitskraft 214,00 60,30 gesamt 384,30 192,70

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