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Unter dem Druck des Plansolls

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Die Problematik ist, kurz gesagt, folgende: die übermäßige Konzentration der wirtschaftlichen Willensbildung in der Führungsspitze und die Beseitigung des Privateigentums sowie des privaten Gewinnes haben im Osten die Initiative und den Leistungswillen des einzelnen Betriebes und des einzelnen Menschen zerstört. Dazu kommt noch, daß eine starre Gesamtplanung bis ins Detail der Differenziertheit der modernen Wirtschaft nicht gerecht wird und ständig zu Stauungen und Engpässen führt. Marxistisch ausgedrückt, ruht ein kolossaler organisatorischer Überbau auf einer nicht tragfähigen produzierenden Basis, die aus nicht genügend leistungswilligen Betrieben besteht.

Der Versuch, durch Vorschreibung von Planzielen und durch Gewährung von Prämien für die Überfüllung von Normen einen Leistungsansporn zu schaffen, der die Privatinitiative ersetzen kann, ist fehlgeschlagen. Die Betriebe sind bestrebt, den Weg des geringen Kraftaufwandes zu gehen, indem sie versuchen, nicht durch erhöhte Leistungen, sondern durch die Ansetzung niedriger Normen zu Prämien zu kommen. Das kann auf fol-gende-Weise geschehen: <&#171;b nl Im &#187;&#171;a

• Da die Planziele meist in T o n-n e n angegeben sind, bemühen sich die Fabriken — ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Marktbedarf —, möglichst große und schwere Produkte herzustellen, da ihnen auch dies die Normerfüllung erleichtert. Oft behilft man sich auch damit, daß man Rohstoffe einkauft, sie einer ersten Bearbeitung unterzieht und sie kurzerhand dem Plansoll zurechnet.

• Außerdem liegt einseitig das Schwergewicht der Bemühungen auf der Produktions menge, während Produktivität und Rentabilität außer acht gelassen werden, so daß der Produktionsvorgang meist schwerfällig und kostspielig ist.

• Die zentrale Festsetzung der Pro-Üuktionsziele im Detail führt außerdem zu häufigen Fehlplanungen und zu ständigen partiellen Planänderungen, die einen wirtschaftshemmenden Unsicherheits-faktor darstellen, im Einzelbetrieb jede vernünftige Produktionsplanung unterbinden und auch noch die Reste des Leistungswillens im einzelnen Betriebsangehörigen zerstören.

Freie Initiative — auf Betriebsebene?

Hier haken nun die Reformvorschläge des Charkower Nationalökonomen Prof. E. Libermann ein, der an Stelle der detaillierten Produktionsvorschriften für den Einzelbetrieb eine einzige Kennziffer setzen möchte, die Rentabilitätsrate, also — nach westlicher Terminologie — das Verhältnis des betrieblichen Gewinns zum Werte des betriebsnotwendigen Vermögens. Die Rentabilitätsrate soll nicht von oben festgesetzt, sondern von den Unternehmern erarbeitet werden, wobei der erzielte Gewinn weitgehend dem Unternehmen verbleiben soll. Es soll also, anders ausgedrückt — getreu dem Chruschtschow-Wort, man müsse von den Kapitalisten das lernen, was bei ihnen gut sei — die freie Initiative auf Betriebsebene in das gesamtwirtschaftliche Planungssystem eingebaut werden.

Ob dies durchführbar ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Schon die sowjetische Kritik hebt hervor, daß die „Zufälligkeit“ der Preise das Bild von der jeweiligen betrieblichen Rentabilität verzerren würde. Es zeigt sich also, daß sich das Rentabilitätsprinzip nur dort bewähren kann, wo es einen freien Markt und eine freie Preisbildung gibt und wo ferner der private Unternehmer das volle Risiko für seine Entschlüsse zu tragen hat.

Nach Libermanns Plan sollen aber weiterhin Produktionssortiment und -umfang, Lieferfristen, Preise für die verwendeten Materialien und Löhne vom Staat festgesetzt werden. Damit besteht nach wie vor die Gefahr zentraler Fehlplanung und die Möglichkeit, nicht durch Leistung, sondern durch das Aushandeln günstiger Startbedingungen Gewinne zu erzielen.

Chruschtschow ist außerdem nicht den Weg Libermanns gegangen. Seine jüngsten Wirtschaftsreformen zielen nicht auf Lockerung, sondern auf S t r a f f u n g ab. An Stelle der regionalen Wirtschaftsgliederung wurde die branchenweise Gliederung mit zentraler Lenkung, von Moskau aus, gesetzt, an die Stelle einer größeren Freiheit für die Betriebsleitung tritt deren verschärfte Kontrolle der Parteiorgane. Genau das Gegenteil einer Liberalisierung wird in der Praxis durchgeführt.

Das Problem des Westens ist dem des Ostens diametral entgegengesetzt. Dort haben wir in den meisten Ländern eine starke, gesunde privatwirtschaftliche Basis in Gestalt der einzelnen Betriebe, die in den großen entwickelten Industrieländern leistungsfähig sind, rentabel geführt werden und marktkonform arbeiten. Mangelhaft ist hingegen die Koordination.

Seit sich der Westen vom reinen Laissez-faire, dessen Härten allzu große soziale Erschütterungen nach sich gezogen haben, abgewandt hat, sind wir in das „Zeitalter der Experimente“ getreten, wie Walter Eucken, der Begründer der Freiburger nationalökonomischen Schule, die wirtschaftlichen Erscheinungsformen der letzten Jahrzehnte genannt hat. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, könnte man hier am besten vom Interventionismus sprechen. An sich ist die Entscheidung des Einzelbetriebes frei, sie wird aber durch die Wirtschaftsund Sozialpolitik — durch Eingriffe des Staates und der Institutionen — modifiziert.

Der Grundgedanke ist zweifellos richtig. Das Unglück besteht nur darin, daß sämtliche Instanzen — der Staat, die Gebietskörperschaften, die politischen Parteien, die Interessenverbände und schließlich die Betriebe selbst — ihre jeweils eigene Wirtschaftspolitik führen, sie nicht abstimmen, sondern oftmals sogar gegeneinander arbeiten.

Auch über die Formen der staatlichen Wirtschaftspolitik allein herrscht eine Einigkeit. Derzeit am stärksten im Blickpunkt stehen einerseits das deutsche System des punktuellen Eingriffes und der Einengung der Entscheidungsfreiheit des Einzelbetriebes bloß durch soziale Spielregeln und anderseits das französische der „Planification“, der Rahmenplanung. Natürlich sind diese Systeme in keinem Land rein ausgebildet, in jedem findet man Elemente beider und auch dritter Systeme, aber die Schwerpunktbildung ist eindeutig.

Der deutsche Wirtschaftsminister Erhard, der erbittert gegen die Übernahme französischer Planungsmethoden durch die EWG kämpft, kann sich zweifellos darauf .berufen, daß sein System in (der, Vergangenheit die größeren Erfolge erzielt hat.

• Es fragt sich allerdings, ob nicht gerade die Umwälzungen, wie sie die Umstellung der nationalen Wirtschaften auf den europäischen Markt darstellen, einer stärkeren „Planhaftigkeit“, eines systematischeren Interventionismus, bedürfen.

• Dazu kommt, daß die Interessengruppen, durch den langen Wohlstand verwöhnt, nicht mehr die Nachkriegsbereitschaft zur Selbstdisziplin zeigen und die Wirtschaft immer härteren Belastungsproben aussetzen. Auch deren ständige Eingriffe in das Wirtschafts-, Sozial- und Finanzgefüge müssen in geregelte Bahnen gelenkt werden.

Langfristige Wirtschaftspolitik statt Planwirtschaft

Daß allerdings hier die Gefahr groß ist, dem Dirigismus zu verfallen und die Planung auf Kosten der gesunden einzelbetrieblichen Wirtschaftsbasis zu betreiben, somit einen kleinen Vorteil für einen großen Nachteil einzuhandeln, ist nicht von der Hand zu weisen. Ob diese Gefahren wirksam werden oder nicht, hängt davon ab, was die Wirtschaftspolitik aus den gegebenen Möglichkeiten macht. Noch ist es eigentlich verfrüht, bei den französischen und deutschen Methoden von einem „System“ zu sprechen. Die Dinge sind noch unausgereift, alles, was wir finden, sind Ansätze, an deren vernünftiger und realistischer Weiterentwicklung mitzuarbeiten eine Aufgabe ist, die allen westlichen Ländern in gleichem Maße gestellt ist. Es wird jedoch sehr behutsam vorgegangen werden müssen, wobei eine vorurteilslose Klärung des Grundsätzlichen unerläßlich ist.

Was wir brauchen, ist ein Wirtschaftskonzept, eine vorausschauende, langfristige Wirtschaftspolitik, keine Planwirtschaft. Dies mag auf den ersten Blick als ein Spiel mit Worten, als ein terminologisches Rückzugsgefecht gescheiterter Freiwirtschaftler in die Auffangstellungen ihrer eigenen Verlegenheit erscheinen. Das Mißtrauen der Liberalen und das schadenfrohe „Wir haben es ja schon immer gesagt“ der Dirigisten scheinen das zu bestätigen. In Wirklichkeit geht es hier aber um Grundsätzliches, um Substanz und nicht um bloße Worte.

Hier Klarheit zu schaffen, ist deswegen besonders wichtig, weil heute Vertreter des Dirigismus stärker denn je versuchen, unter dem Vorwand, für bessere wirtschaftliche Koordination einzutreten, Elemente einer östlichen Kommandowirtschaft in das demokratische System einzuschmuggeln und dieses dadurch von innen auszuhöhlen.

Wir bedürfen klarer Richtlinien, brauchbarer statistischer Unterlagen, wissenschaftlicher Voraussagen und besserer Koordination — Koordination nicht nur innerhalb der Wirtschaft im engeren Sinn, sondern auch zwischen den Sozialpartnern und zwischen staatlicher Finanz- und Sozialpolitik. Was wir aber nicht brauchen, ist eine zentrale Lenkung, die das größte, vom Osten so beneidete Plus der westlichen Wirtschaft — die private Initiative —' zerstören würde.

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