Urin gegen Globalisierung

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Vom 10. bis 14. September werden im mexikanischen Cancun die Mitglieder der WTO über eine weitere Liberalisierungdes Welthandels beraten. Doch die Bauern Oaxacas kämpfen gegen McDonald's & Co.

Es war eine hübsche Prozession, die da durch die Hauptstadt Oaxaca zog. Gerade rechtzeitig zum Einbruch der Dunkelheit hatte sich die Gruppe von Indios mit ihren bunten Laternen auf den Weg gemacht. Lieder klangen durch die Straßen: Von Hunger und Ausbeutung sangen sie, von den großen Unternehmen, die mit Betrug und Täuschung arbeiteten und den Boden vergifteten. Und es erklang ein Aufruf zum Kampf für mehr Gerechtigkeit. Vor dem von hohen Mauern umgebenen Haus des Gouverneurs machten die Demonstranten halt, um ihm ein Ständchen darzubringen, das ihm gewiss nicht gefiel. Der Provinzchef ließ sich jedenfalls nicht blicken. Was auch hätte er den Campesinos sagen sollen? Dass es ihm unmöglich war, gegen das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko vorzugehen, das seit 1994 in Kraft ist und dessen Übergangsfrist für Grundnahrungsmittel wie Zucker, Bohnen, Mais und Milchpulver mit Stichtag 1. Jänner 2003 endete? Dass sich die Bauern deshalb mit der Abschaffung von Zöllen auf 80 amerikanische Agrarprodukte abfinden müssten - und mit der Tatsache, dass der Einfuhr amerikanischer Produkte nach Mexiko nunmehr Tür und Tor geöffnet ist?

Ziegenurin als Waffe

Organisiert wurde der Protestzug von CIPO, dem consejo indigena popular de oaxaca, einer der Organisationen, die sich für die Rechte und Anliegen der indigenen Bevölkerung einsetzt. Schon deshalb blieb der Gouverneur wohl auch hinter dicken Mauern verschanzt, ist CIPO doch auf Grund seiner spektakulären Aktionen in Oaxaca bekannt. Gewaltfreier Widerstand, wie Raoul Gatica, der Wortführer und Leiter der Organisation, betont.

An einen Fall erinnert sich Gatica besonders gern: als einmal die Feuerwehr mit Wasserwerfern gegen eine Demonstration seiner Gruppe eingesetzt wurde: "Als die Feuerwehr die Schläuche auf uns richtete, antworteten wir mit Luftballons, die wir zuvor mit Urin von Kühen, Ziegen und von uns selbst angefüllt hatten. Sie konnten uns nicht vertreiben, sondern mussten selbst gehen - stinkend!"

Nicht nur in Oaxaca, sondern in ganz Mexiko kommt es regelmäßig zu Protestmärschen. Erst im April waren anlässlich des 84. Todestags von Freiheitsheld Emiliano Zapata Tausende auch nach Mexiko Stadt gezogen, um gegen die negativen Folgen des NAFTA und die Politik von Präsident Vicente Fox zu protestieren.

Doch der nächste Schritt zur weiteren Liberalisierung des Welthandels steht möglicherweise schon bevor - und das im eigenen Land: Vom 10. bis 14. September werden die 146 Handelsminister der World Trade Organization (WTO) im mexikanischen Badeort Cancun über die weitere Beseitigung von Handelsbarrieren beraten. Auch die GATS-Verträge, die eine Privatisierung des Gesundheits- und Bildungswesens und der natürlichen Ressourcen wie Wasser vorsehen können, stehen am Programm.

Zwar konnten sich erst am Mittwoch vergangener Woche EU und USA nach langwierigen Streitigkeiten darauf einigen, ihre Agrar-Subventionen auf fünf Prozent des Wertes der gesamten landwirtschaftlichen Produktion zu begrenzen. Daneben sollten Importzölle und Exporthilfen gesenkt werden. Doch das geht vielen Ländern nicht weit genug: So warf etwa der WTO-Botschafter Indiens Brüssel und Washington vor, einen Marktzugang von Bauern aus Entwicklungsstaaten zu ihren eigenen Märkten nach wie vor verhindern zu wollen.

Auch bei den Bauern von Oaxaca überwiegen Misstrauen und Frust. Die kleinen Campesinos können mit den großen Agrarbetrieben der USA nicht mithalten. Ohne den Schutz der Zölle vor der übergroßen Konkurrenz befürchten sie einen totalen Zusammenbruch der Landwirtschaft.

Schon jetzt ist die Situation prekär: Mit einer Armutsrate von rund 70 Prozent gehört Oaxaca gehört zu den ärmsten Bundesstaaten Mexikos. Analphabetenrate und Arbeitslosigkeit sind hoch. Oaxaca hat eine der höchsten Migrationsraten - die Menschen ziehen vom Land in die Städte, von den Städten in die USA oder nach Kanada, um dort ein zweifelhaftes Glück zu versuchen. Und Oaxaca ist Indigena-Land: Neben den Hauptgruppen der Zapoteken und Mixteken leben hier noch zahlreiche weitere Ethnien.

Im Schatten der Zapatisten

Immer wieder haben wirtschaftspolitische Entwicklungen Zündstoff für die ohnedies nicht friktionsfreien Beziehung zwischen Staat und Indianern geliefert. Der bewaffnete Kampf der Indigenas in Chiapas ist ein Beispiel: Am 1. Jänner 1994 hatten Kämpfer der zapatistischen Befreiungsbewegung EZLN mehrere Tage die Rathäuser von San Cristobal und anderer Orte im Bundesstaat Chiapas übernommen - Anlass für den Aufstand war die Einrichtung des NAFTA.

Heute ist der Aufstand der Zapatisten in Chiapas weltweit bekannt, was vor allem am charismatischen Führer Subkommandante Marcos liegt. Im Gegensatz dazu ist über die Situation der indigenen Bevölkerung in anderen Bundesstaaten, wie etwa in Oaxaca, nur wenig bekannt. "Die Regierung ist durchaus daran interessiert, den Konflikt in der Darstellung nach außen auf Chiapas zu beschränken - um nicht zugeben zu müssen, dass auch anderswo Probleme bestehen", analysiert Vera Weinzettel von der österreichischen NGO Mexikoplattform.

Gewaltloser Widerstand

Hier in Oaxaca existierten zwar einzelne Guerillagruppen, jedoch keine vergleichbare Armee wie die EZLN in Chiapas, erklärt auch Raoul Gatica. Es gebe nur eine versteckte Militarisierung. Völlig zu Unrecht werde auch ihm und seiner Organisation immer wieder Gewalttätigkeit unterstellt: "Immer wieder wird fälschlich behauptet, ich sei der Kommandant all dieser Guerillagruppen hier in Oaxaca. Unter diesem Vorwurf nehmen sie mich immer wieder fest. Und den Mitgliedern von CIPO geht es genauso."

Trotzdem werden Gatica und seine Leute nicht müde, durch Aktionen, Demonstrationen oder Hungerstreiks auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Bevorzugter Platz dafür ist der Zocalo, der Hauptplatz im Zentrum der Weltkulturerbe-Stadt Oaxaca. Dort ist den Indianern in- und ausländische Aufmerksamkeit sicher. Ist doch der Platz, der als einer der schönsten in ganz Mexiko gilt, der Treffpunkt von Touristen. Der ganze Platz ist Fußgängerzone, in der Mitte stehen hohe Lorbeerbäume, ringsum ein unzerstörtes Ensemble kolonialer Architektur. Touristen sitzen in den Arkadencafes, Indianer bieten auf kleinen Ständen im Park ihre Waren feil.

Anti-Fast-Food-Manifest

Und seit Dezember des Vorjahres mag der Platz auch als Symbol für den Kampf gegen die negativen Folgen der Globalisierung angesehen werden. Denn ausgerechnet in diesem mexikanischen Ambiente wollte McDonald's eine Filiale seiner Fast-Food Lokale errichten. Doch Francisco Toledo, einem der berühmtesten zeitgenössischen Maler Mexikos und seiner Kulturgruppe "pro oax" ging das zu weit. Noch dazu, wo es in der modernen Zone von Oaxaca bereits zwei Filialen gibt. Mit Toledo an der Spitze startete "pro oax" eine auch international vielbeachtete Kampagne gegen die Präsenz von McDonald's in diesem historischen Ambiente. Mit Erfolg: Tausende Menschen unterschrieben ein Manifest, Tausende wandten sich via Internet an den Bürgermeister. Zuletzt entstand eine Art Anti-McDonald's Bewegung: Sogar die Regierung des Bundesstaats Oaxaca und die Abgeordneten des Landtages gesellten sich zu den McDonald's Gegnern. Schließlich wurde ein Spezialgesetz zum Schutz des historischen Stadtzentrums beschlossen.

Ein kleiner Schritt gegen die schwer wiegenden Folgen der Globalisierung. Ob das die 146 Handelsminister im schmucken Badeort Cancun beeindrucken wird?

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