Venezuelas Talfahrt

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Zwei Jahre nach dem Tod des charismatischen Führers Hugo Chávez kämpft dessen glückloser Nachfolger Nicolás Maduro ums politische Überleben. Und wittert überall Verschwörungen, im In-und Ausland.

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Zwei Jahre nach dem Tod des charismatischen Führers Hugo Chávez kämpft dessen glückloser Nachfolger Nicolás Maduro ums politische Überleben. Und wittert überall Verschwörungen, im In-und Ausland.

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Man kann wohl ohne Übertreibung den Präsidenten eines der ölreichsten Länder der Welt als einen Pechvogel bezeichnen. Nicolás Maduros erste Amtsjahre sind von einem dramatischen Ölpreisverfall gekennzeichnet. Der Preis für venezolanisches Öl ging 2014 auf umgerechnet 39,40 Euro je Barrel zurück. Etwa 96 Prozent der Staatseinnahmen Venezuelas kommen aber aus dem Ölexport. Der Verantwortliche für den dramatischen Preisverfall sitzt im Norden und ist Maduros Lieblingsfeind: Die USA überfluten den Markt mit billigem Schieferöl, so die Erklärung von Präsident Maduro, "um unsere Revolution zu zerstören und einen Zusammenbruch der Wirtschaft herbeizuführen".

Doch ganz so mächtig sind die USA denn auch nicht - der weltweite Ölpreisverfall ist nur ein Faktor, der die Staatskassen belastet und wäre leicht über eine Erhöhung der Benzinpreise regulierbar. Die Benzinpreise in Venezuela zählen immerhin zu den billigsten der Welt und werden jährlich mit über zehn Milliarden Dollar subventioniert. Doch an dieses Tabu wagt die Regierung derzeit nicht zu rühren.

Tatsächlich ist die Krise des einstigen Vorzeigelandes des revolutionären Lateinamerikas wesentlich weitgespannter. Für die Bevölkerung am Schlimmsten sind wohl die seit Jahren andauernden Engpässe bei der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs. Die Knappheit und stundenlanges Schlangenstehen gehören heute zum Alltag in Venezuela. Auch hier hat die staatliche Subvention vieler Güter einen gegenteiligen Effekt. Denn sie hat kriminelle Geschäftemacher auf den Plan gerufen. Schätzungsweise 40 Prozent der für den venezolanischen Markt bestimmten subventionierten Lebensmittel werden ins Nachbarland Kolumbien geschmuggelt und dort teuer verkauft.

Der "Wirtschaftskrieg"

Der Pechvogel am Präsidentenstuhl versuchte nun, die chaotische Situation durch eine Militarisierung der Wirtschaft in den Griff zu bekommen. Ernährungsminister General Carlos Osorio prägte bei einer öffentlichen Ansprache in der Hauptstadt den Slogan vom "Wirtschaftskrieg". In Caracas wurde ein "Generalstab der Wirtschaftsschlacht" eingerichtet, der planmäßig die Versorgungsrouten des privaten Handels verfolgt, Lagerbestände überprüft, bei Razzien tausende Tonnen angeblich oder tatsächlich gehorteter Güter beschlagnahmt. Mit Stand Jänner wurde gegen 2.584 Personen wegen Schmuggels ermittelt, über 1000 von ihnen wurden in Haft genommen. Das Schlangestehen wurde verboten, Einheiten der Nationalgarde überwachen und kontrollieren die Supermärkte, zivilgesellschaftliche Gruppen ("Netzwerke zur Verteidigung der Lebensmittelsouveränität") haben die Aufgabe, Spekulanten und Hamsterer zu denunzieren.

Die Regierung versucht, diese Situation durch Verstaatlichung von allen möglichen Unternehmen -von Hühnerfarmen und Zuckerfabriken bis Molkereien und Zementwerken - in den Griff zu bekommen. Doch dabei konkurriert sie sich selbst durch die Subventionierung von Importgütern, um die Versorgungsengpässe zu vermeiden. Die meisten der verstaatlichten Betriebe gingen dadurch bald pleite, da sie nicht kostendeckend produzieren konnten. Venezuela hat es in sechzehn Jahren der "Bolivarischen Revolution" nicht geschafft, eine tragfähige Binnenproduktion aufzubauen; ein Großteil der verbrauchten Güter muss immer noch importiert werden. Im vergangenen Februar lag die Mangelquote bei Öl, Milch, Zucker, Maismehl und Toilettenpapier bei mehr als 90 Prozent des eigentlichen Bedarfs.

Die globale Verschwörung

Nach dem Tod des Langzeitpräsidenten Hugo Chávez 2013 versuchte Nachfolger Nicolás Maduro durch Engelsvisionen und telepathische Kommunikation mit seinem Amtsvorgänger in den Genuss von dessen Charisma zu kommen. Doch dieser Versuch schlug fehl. Chávez hatte in seiner 14-jährigen Amtszeit bei jeder Wahl die bürgerliche Opposition deklassiert; Maduro hat seine erste Präsidentschaftswahl am 14. April 2013 mit einem knappen Vorsprung von 1,5 Prozent auf seinen Herausforderer Henrique Capriles gewonnen. Die Zeit der Verschwörungen begann.

Nachdem der populäre Oppositionspolitiker Leopoldo López Anfang des Vorjahres zu Protesten gegen Maduro aufgerufen hatte, wurde er am 18. Februar unter der Anklage von Mord und Terrorismus festgenommen; der Prozess gegen ihn ist heute noch im Gang. Kurz vor seinem ersten Jahrestag in der Haft, am 11. Februar, veröffentlichten López, der Bürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, und die Ex-Abgeordnete María Corina Machado, in der Oppositionszeitung El Nacional einen "Aufruf zur Bildung einer Übergangsregierung". Nach Maduros Lesart erfüllte dieser Aufruf den Tatbestand des Putschversuchs. Eine Woche später wurde der Bürgermeister von Beamten des "Bolivarischen Geheimdienstes" an seinem Amtssitz festgenommen und ebenfalls inhaftiert. Mittlerweile hat der ehemalige sozialistische Ministerpräsident Spaniens und promovierte Rechtswissenschaftler Felipe González erklärt, er werde die Verteidigung der beiden Oppositionspolitiker übernehmen.

Zeitgleich zur Entdeckung der "Verschwörung" der zivilen Opposition gab Maduro die Enttarnung eines Putschversuchs von sieben Angehörigen der Luftwaffe bekannt. Diese wollten angeblich den Präsidentenpalast Miraflores und andere Schlüsseleinrichtungen wie den Fernsehsender Telesur bombardieren. Der Staatschef nahm das zum Anlass für eine unverhüllte Drohung: "Ihr werdet sehen, dass ich mich nun mit noch mehr Entschlossenheit gegen die parasitäre Oligarchie radikalisieren werde".

Misstrauensvotum gegen Obama

Kenner der venezolanischen Innenpolitik führen die verstärkte Umsturzrhetorik auf die sinkende Popularität des Präsidenten zurück. Kein Wunder: Zum Jahresende war die Inflation auf 60 Prozent gestiegen, im Februar bereits auf 63,8 Prozent; nach einer Mitte März veröffentlichten Meinungsumfrage war der Zustimmungsgrad zur Politik des Staatschefs auf 23 Prozent gesunken. Da kam die Einstufung Venezuelas durch US-Präsident Obama als Bedrohung für die Nationale Sicherheit der USA gerade recht.

Maduro ersuchte daraufhin das Parlament, ihn mit "anti-imperialistischen" Vollmachten auszustatten, um jederzeit mögliche Putschversuche zu zerschmettern. Das am 15. März erlassene Gesetz, das mit der Bedrohung durch die USA begründet wurde, ermächtigt den Staatschef, bis zum Jahresende 2015 mit Sondervollmachten zu regieren, d.h. ohne parlamentarische Kontrolle. Diese Vollmacht hat wohl mit den im Herbst stattfindenden Parlamentswahlen zu tun. Zwar kann nach derzeitigem Stimmungsbild die regierende Vereinigte Sozialistische Partei (PSUV) mit 43,6 Prozent der Stimmen rechnen bei nur 31,6 Prozent für die Opposition. Angesichts der sich ständig verschlechternden Wirtschaftslage können sich diese Zahlen aber rasch verändern. Es ist nicht anzunehmen, dass Präsident Maduro im kommenden Halbjahr bei seiner Politik mit mehr Glück gesegnet sein wird. Also versucht er es nun mit der Macht des Volkes. Mittlerweile werden in Venezuela fleißig Unterschriften gegen die US-Politik gesammelt. Staatschef Maduro will Barack Obama beim Amerika-Gipfel in Panama am 10. und 11. April 10 Millionen Protestunterschriften übergeben.

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