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Verlagerung des Wohnungselends?

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Es gibt kaum eine Frage, bei der die zuweilen nicht zu vermeidende Vermengung sozialer und ökonomischer Gesichtspunkte stärker sichtbar ist als beim Problem der Mietzihsgestaltung. Ein konkreter Lösungsvorschlag hat die Diskussion in der Mietzinsfrage aufs neue angefacht. Der von der Parteikorrespondenz der österreichischen Volkspartei veröffentlichte „Plan einer neuen Wohnungswirtschaft“ sieht in seinen Grundzügen folgendes vor: a) Schaffung eines einheitlichen Pau-schalmietzinses, gerechnet nach Quadratmeternutzfläche. b) Progressive Steigerung des Pauschalmietzinses, ausgehend von einem Grundbetrag von S 1.63, bis 1959 auf S 5.96 pro Quadratmeter. c) Mit dem Pauschalmietzins werden sämtliche Kosten abgegolten, welche gerechtfertigt sind. Kapitaltilgung und Verzinsung werden als Kostenbestandteile mitverrechnet. Die Sätze sollen noch gewisse Korrekturen nach oben und nach unten erfahren. d) Mietzinse, die „bisher“ höher lagen als die vorgeschlagenen Sätze, können weiterhin in der alten Höhe eingehoben werden. Das heißt, wo Kostenunterdeckung, da Mietzinserhöhung, wo Kostenüberdeckung, da Belassung des bisherigen Zustandes. e) Von den (erhöhten) Mietzinseinnahmen werden 20 bis 50 Prozent als „W ohnbaubeitrag“ abgeschöpft und einem Wohnbaufonds zugeführt. Im ersten Jahr seines Bestehens würde der Fonds dadurch eine Dotation in Höhe von 383 Millionen Schilling erfahren. f) Jene Erlöse, welche dem Hauseigentümer nach Abzug der Kosten und der Wohnbausteuer verbleiben, werden einer ebenfalls dem Fonds zuzuführenden Miet-ertragssteuer unterworfen. g) Die Fondsmittel werden im Kreditwege für den Bau von Wohnhäusern verwendet und bei einer Verzinsung bis zu 3 Prozent und einer Laufzeit von hundert Jahren gegen nicht näher bezeichnete Sicherheiten abgegeben.

Dies in Kürze der Vorschlag.

Die Durchführung des Planes hätte volkswirtschaftlich bedenkliche Folgen:

Die mühselig erhaltene Balance zwischen Löhnen und Preisen (Geldeinkommen und Realeinkommen).würde beträchtlich gestört. Lohnbewegungen bis zu Währungsverschlechterungen hin wären unvermeidbar. Nach den Angaben des Planes würde im ersten Jahr der neue Mietzins (bei S 1.63) bereits eine Mehrbelastung der Mieter in Höhe von 262 Millionen Schilling bringen. Wie denkt man diesen Uberhang auf der Preisseite auf Seite der Löhne aufzuwiegen? Den Brotpreis kann man nicht um einen Groschen erhöhen. Bei der Miete, mit einer gedachten Mehrbelastung, die mehrere tausend Schilling je Jahr betragen kann, ist dagegen eine solche Erhöhung möglich? Der Plan geht beim Vorschlag eines Ansteigens der Mietzinse nicht einmal von der Annahme einer zu erwartenden Reallohnsteigerung aus, läßt aber die Mietzinse von 1950 bis 1959 um 284 Prozent ansteigen. Dazu kommt die willkürliche Ansetzung von Preiserhöhungen für die Massen auf nicht weniger als neun Jahre im voraus. Während die Wirtschaft es nicht wagt, Preisprognosen für einen Monat zu stellen, legt man auf der anderen Seite Preise für 1959 fest, scheinbar in der Ansicht, daß die Mietzinshöhe die Kaufkraft bestimme.

Der Substanzverlust, den wir durch den Krieg erlitten haben, ist sicherlich unter anderem deswegen nicht voll bloßgelegt worden, weil durch die Erstarrung der Mietzinse viele Haushalte auf Kosten der Hauseigentümer eine (Altmieter-) Rente bezogen haben. Mietzinse von S 12.— für eine Kleinwohnung sind nicht kostendeckend. Andererseits kann man aber Mieten von S 180.— für eine Kleinwohnung nach dem derzeitigen Stand des Realeinkommens auch nicht als sachlich und sozial richtig bezeichnen. Das Existenzminimum an Wohnraum wächst mit derFamiliengröße. Die vorgeschlagene Wohnbausteuer — als „Wohnbaubeitrag“ bezeichnet — ist demzufolge eine „Kindersteuer“ wie fast alle Verbrauchssteuern. Der Familienerhalter, der auf Grund der Größe seiner Familie gezwungen ist, eine größere Wohnung zu halten, ist mehr getroffen als etwa ein Lediger, da er einen größeren Teil seines Einkommens der Deckung eines Existenzbedarfes an Wohnraum (Zwangsbedarfes) widmen muß als der Ledige. Wenn der kinderreiche Haushalt schon durch die Ansetzung kostendeckender Mietzinse eine in unserem verarmten Vaterland besonders spürbare Last auf sich nehmen muß, die Tragung einer solchen Wohnbausteuer, die ihn relativ mehr trifft, wird ihm untragbare Lasten aufbürden. Der tröstliche Hinweis auf Subventionen für die „wirtschaftlich Schwachen“ läßt die Frage entstehen, ob die Abgeltung der Mehrlasten zur Gänze oder zu einem Teil erfolgen soll. Wenn auch nur ein Teil der Mietzinsmehrbelastung im Zuschußwege abgegolten werden soll — es könnte sich ja nur um eine wirksame Unterstützung handeln —, erhebt sich wieder die Frage, warum nicht diese Unterstützungen unmittelbar dem Wohnbaufonds zugeführt werden und dafür die Steuereinhebung unterbleibt. Sollte aber nur an Anerkennungsbeiträge für die -„wirtschaftlich Schwachen“ gedacht sein, so enthüllt sich das Unsoziale des Planes um so mehr.

Doch wäre dagegen nichts einzuwenden, daß gewisse Luxuswohnungen aus jeder

Preisbindung entlassen und in der Mietzinsbildung den Preisgesetzen des freien Marktes überlassen werden würden. Die Not der geistigen Arbeiter — erinnert sei hier an die Ausführungen von Prof. Dr. Kerschagl in Nr. 7/1950 der „Furche“ — ist heute ein internationales Problem. Das „Arbeitszimmer“ ist die Werkstatt des geistig Tätigen. Da den Geistesarbeitern bei der derzeitigen Haltung der Vertreter aller Parteien kaum eine Lohngerechtigkeit, zumindest nicht in der nächsten Zeit, widerfahren wird, wären sie wohl bei Durchsetzung des Planes zu einem großen Teil gezwungen, Wohnungen zu nehmen, die den „Luxus“ eines. Arbeitszimmers nicht mehr enthalten.

Im Zusammenhang mit der Publikation des besprochenen Reformplanes wurde auch vom allgemeinen Opfer gesprochen. Beim Opfer ist aber nicht seine absolute Größe entscheidend, sondern seine relative, die Opferintensität. Das Opfer, welches die Minderbemittelten zu bringen hätten, wäre daher ungleich drückender als jenes der wohlhabenden oder kinderlosen Mieter. Von einer

Steuergerechtigkeit, welche die Einkommensteuer noch einigermaßen erstrebt, ist bei der Wohnbausteuer keine Rede. Der Sdiilling, den der Reiche abgibt, hat für ihn eine andere subjektive Bedeutung, als der Schilling, den der wirtschaftlich Schwache auszugeben gezwungen ist. Wenn man den Vorschlag oberflächlich betrachtet, kann man sich zudem des Eindruckes nicht erwehren, daß die Masse der Mieter die Bauwilligen zu unterstützen gezwungen wäre.

Wie ist es nun mit den Bewohnern von Eigenheimen? Soll es der Zweck der Steuer sein, nicht nur jene zu bestrafen, welche die fiskalisch zugelassene „Norm“ in der Familiengröße überschritten haben, oder ist es die Absicht, darüber hinaus diejenigen allein zu belasten, die bisher nicht in der Lage waren, sich ein Eigenheim anzuschaffen? Daher die Frage: Wie werden die im eigenen Heim Wohnenden herangezogen, besonders jene, welche sich später mit Mitteln des Wohnbaufonds eigene Häuser erbauen konnten und daher von der Steuer befreit werden?

Der Plan geht nicht einmal von einer fiktiven Reallohnsteigerung aus. Auch nicht von einer zu erwartenden und für die Sache ohnedies ziemlich bedeutungslosen Neuverteilung des Sozialprodukts. Die Gesetzwerdung des Planes würde daher die Häushaltsrechnungen im Durchschnitt erheblich beeinflussen und nachhaltige Wirkungen auf die Haushaltsführung ausüben:

Entweder käme es a) zu einer Konsumreduktion beim Wohnraum. Die Nachfrage nach Wohnraum wird zwar als relativ starr angesehen, das Zurückziehen auf kleinere Wohngrößen oder das Verbleiben in solchen trotz Mehrbedarf wäre aber wohl die häufigste Reaktion auf die Mietzinssteigerungen. Die Folge: Menschenanhäufung auf kleinstem Wohnraum. (Stockbetten, mehrere Haushalte in der gleichen Wohnung.) Der Konsumstandard bei anderen Gütern könnte dann einigermaßen aufrechterhalten werden, b) Als ein Ausweg bliebe die systematische Untervermietung bis zur Wiedereinführung des „E-ett-geher“-Systems. c) Ersatz besseren Wohnraumes durch gleich großen, aber schlechteren, d) Konsumverlagerung: Der bisherige Wohnraum wird nicht aufgegeben. Der Mehraufwand wird kompensiert durch Einsparung bei anderen Gütern, zuerst des elastischen Bedarfes (Luxusgütern), später auch des Elementarbedarfes (Wohnraum statt Fleisch).

Bei stabiler Kaufkraft befinden sich die Preise eines Wirtschaftsraumes in einer gegenseitigen Abhängigkeit. Wird die Nachfrage nach Gütern vermindert, so sinken ihre Preise im Sinne des Gleichgewichtsmodells. Die zu erwartende Ver-billigung gewisser mindergefragter Güter _ kann aber auch nicht einigermaßen die Reallohnschmälerungen durch die angestrebten Mietzinssteigerungen wettmachen.

Niemand kann leugnen, will er nicht unsachlich sein, daß das Nebeneinanderbestehen von verschiedenen, weit von einander entfernten Preisen für eine Ware (ohne Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse der Käufer) ebenso wie die Abgeltung des gemieteten Wohnraumes mit einem Bettel nicht nur unsozial, sondern wider jedes ökonomisches Gesetz ist. Ebenso bleibt die Notwendigkeit, den Wohnungsbau mit zusätzlichen öffentlichen (Kredit) Mitteln zu finanzieren, unbestritten.

Wogegen man jedoch Stellung nehmen muß, ist die V e r q u i c k u n g des Prinzips der kostendeckenden Mietzinse mit dem Problem der Finanzierung des Wohnungsbaues. In gleicher Weise ist es abzulehnen, daß man die Baufinanzierung aus den Erträgnissen einer Steuer vornehmen will, die in ihrer Art leistungshemmend und unsozial ist. Die Durchsetzung nurökonomischer Gedankengänge ohne Bezug auf das Soziale wäre eine Rückkehr zum Denken des Manchesterliberalismus. Die Forderung nach einer kostendeckenden Miete begründet man richtig mit ökonomischen Grundsätzen. Will man eine Miete von sechs Schilling für den Quadratmeter bei der gegebenen Subsi-stenzmittelausstattung in Österreich auch vom ökonomischen her rechtfertigen? Oder gelten die ökonomischen Grundsätze nur so lange, bis die Gewinnschwelle erreicht ist? Ist der Mietzins .bisher zu einem großen Teil wirtschaftlich falsch gewesen, so ist es der vorgeschlagene zumindest in sozialer Hinsicht.

Hinweise auf die „gute alte Zeit“, in der für Zimmer und Küche („alles auf den Gang“) ein Drittel des Einkommens eines Arbeiters aufgewendet werden mußte, sind wohl'als Argument nicht zu verwenden, da damals der Mietzins oft ein sozial ungerechter und kostenüberdeckender Preis war. Die soziale Struktur ist eine andere geworden. Die Hausherrenrente in der seinerzeitigen Höhe ist und bleibt Vergangenheit. Aber nicht nur die Sozialstruktur ist eine andere, auch die Bedarfsstruktur hat sich gewandelt. Was früher noch unbestritten Luxus war (Theater, Urlaub, ausreichender Wohnraum) ist heute Normal- (Existenz-) Bedarf. Wenn schon seinerzeit ein Großteil der Stadtbevölkerung wie Fellachen hausen mußte, ist nicht einzusehen, warum dies ab 1959 oder schon früher wieder so sein sollte. Wird aber die Miete so hoch angesetzt, wie vorgeschlagen, so verliert jedenfalls die Preistaxe ihre Rechtfertigung als Element der Sozialpolitik. Bei einem Pauschalzins von 6 S würde die Nachfrage nach Wohnraum derart gering sein, daß sich jedes weitere Bauen erübrigen könnte. Auch eine Lösung des Wohnungsproblems! jj.

Eine Ablehnung des Planes ohne gleichzeitige Vorlage von konkreten Gegenvorschlägen mag vielleicht den Eindruck einer unsachlichen Kritik erwecken. Es war aber mit der vorliegenden Arbeit nicht beabsichtigt, das Problem der Baufinanzierung aufzurollen, sondern darauf hinzuweisen, daß der vorgelegte Entwurf, so gerechtfertigt die Motive seiner Vorlage sein mögen, ein Irrweg ist. Was ist damit getan, wenn man an die Stelle der Schichtung der Bevölkerung in Alt- und Neumieter, in Haupt- und in Untermieter eine Schichtung in solche Mieter setzt, die sich in der Lage befinden, den Wohnungsexistenzbedarf zu decken, und solche, welche mangels Kaufkraft auf engstem Wohnraum zu leben gezwungen sind. Was ist getan mit einer Verlagerung des Elends? Diese Frage müßten sich die Befürworter des „Planes einer neuen Wohnungswirtschaft“ stellen, die wohl zusehr auf die Frage der Finanzierung ihre Aufmerksamkeit konzentriert zu haben. In der vorgelegten Form ist der Plan, im System der Bedarfsdeckungswirtschaft, ein Anachronismus.

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