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Verlangen die Bauern zuviel?

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„Alle Jahre wieder“ — wenn während der Budgetverhandlungen Meldungen über die „Wünsche der Agrarier“ nach einer „Aufstockung des Grünen Planes“ durch den Blätterwald rauschen, sind breite Kreise der nichtbäuerlichen Bevölkerung nur zu gerne bereit, mit der verärgerten Mahnung an die Bauernschaft zu reagieren, sie möge sich doch ihrer staatspolitischen Verantwortung bewußt sein und nicht durch Forderungen Stabilität und Staatshaushalt gefährden. Ähnlich war auch die Reaktion auf die Berichte von der letzten Semmeringtagung der Österreichischen Volkspartei, bei der die Bauernvertreter in Wahrheit weder neue, noch uner- wartete und keineswegs unbillige Wünsche vorgebracht hatten. Diese Wünsche waren vielmehr längst bekannt, durch den „Grünen Bericht“ und den „Grünen Plan“ bestens untermauert und auch für das Budget rechtzeitig angemeldet.

In die Klemme geraten

Die österreichische Land- und Forstwirtschaft kann in ihren „Grünen Berichten“, die seit 1960 alljährlich im Einvernehmen mit den Vertretern der anderen großen Wirtschafts- und Berufsgruppen auf sachlicher Basis erstellt werden, eindeutig nachweisen, daß sie durch erhebliche Leistungssteigerungen und Produktivitätserfolge zwar einen maßgeblichen Beitrag zur Stabilisierung des allgemeinen Preisgefüges leistet, selbst aber durch die stän-i dige Kostenvermehrung in eine Klemme geraten ist, die ihr die Verwirklichung der weiterhin dringend notwendigen Investitionen außerordentlich erschwert. Diese unbestrittene Tatsache und die speziellen Schwierigkeiten, mit denen die Land- und Forstwirtschaft zu kämpfen hat, machen eine erhöhte Bereitstellung öffentlicher Mittel zur Intensivierung der bäuerlichen Selbsthilfe im Allgemeininteresse unerläßlich. Niemand kann behaupten, die im „Grünen Plan“ vorgesehenen Maßnahmen für die Verkehrserschließung, die Restelektrifl- zierung, die Strukturverbesserung, die Aufforstung usw. — um nur einige zu nennen —, wären ungerechtfertigt, stellten ein Geschenk an die Landwirtschaft dar und kämen nicht der gesamten Volkswirtschaft zugute.

Schwierigkeiten besonderer Art

Man kann der Bauernvertretung und der Agrarpolitik in Österreich kaum den Vorwurf machen, sie hätten es verabsäumt, die Bemühungen der Bauernschaft um Leistungssteigerung, Produktivitäts- und Qualitätsverbesserung, erweitertes Fachwissen und erhöhte Konkurrenzfähigkeit anzuregen und zu fördern. Die Erfolge dieser Bestrebungen sind nicht ausgeblieben und werden im „Grünen Bericht“ eindrucksvoll nachgewiesen. Die Anstrengungen der Landwirtschaft begegnen jedoch vielfältigen Schwierigkeiten, die sie allein aus eigener Kraft unmöglich bewältigen kann.

Die Richtigkeit dieser Behauptung sei an einem einfachen Beispiel nachgewiesen: Den Erfordernissen der Zeit entsprechend, stellt ein leistungsfähiger bäuerlicher Familienbetrieb ohne Scheu vor persönlichen Opfern seine Wirtschaftsweise um, ist bemüht in seiner Produktion den Marktverhältnissen Rechnung zu tragen, möchte durch

Grundzusammenlegung eine rationellere Maschinenverwendung erreichen und den ertragsschwachen Teil seines Bodenbesitzes aufforsten. Er ist also durchaus bereit und von sich aus auch befähigt, den Konkurrenzbedingungen des Europamarktes gerecht zu werden. Gleichzeitig muß er aber zur Kenntnis nehmen, daß es noch 15 bis 20 Jahre dauern kann, bis ihm endlich ein mit einem Lastkraftwagen befahrbarer Weg zum allgemeinen Verkehrsnetz und damit zum Markt zur Verfügung steht; daß er vielleicht noch 30 Jahre warten muß, bis sich für sein Ge-

biet die Möglichkeit zur Grundzusammenlegung ergibt und daß er schließlich für die Neuaufforstung, für die er im Interesse kommender Generationen und allgemeiner Wohlfahrtswirkung bereit ist, große Lasten auf sich zu nehmen, vielleicht in 70 oder 80 Jahren mit entsprechenden Förderungsmaßnahmen rechnen kann. Die gegenwärtig im „Grünen Plan“ für diese dringlichen Maßnahmen vorgesehenen Mitteln erlauben keine raschere Erledigung.

Dieses wohl etwas drastische Beispiel ist keineswegs an den Haaren herbeigezogen, sondern bezieht sich auf Tatsachen, die Landwirtschafts- minister Dipl.-Ing. Dr. Schleinzer erst kürzlich wieder bei der Vorlage des jüngsten „Grünen Berichtes“ und des neuen „Grünen Planes“ der Öffentlichkeit bekanntgegeben hat. Darnach gibt es in Österreich gegenwärtig noch rund 48.000 land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die keine mit einem Lastkraftwagen befahrbare Zufahrt besitzen. Bei den derzeit dafür verfügbaren Mitteln könnte die Verkehrserschließung dieser Betriebe erst in zwanzig Jahren abgeschlossen werden. Wenn das Tempo der Grundzusammen- legung nicht durch eine vermehrte Bereitstellung von Fachkräften und durch erhöhte Forderungsbeträge beschleunigt werden kann, wird man zur Bereinigung der Grund- stückzerspiitterung noch rund dreißig Jahre brauchen. Das Ausmaß der notwendigen Neuaufforstungen im Einzugsbereich der Wildbäche und Lawinengänge einschließlich der Aufforstung landwirtschaftlicher Grenzertragsböden hat der Landwirtschaftsminister mit rund 450.000 Hektar beziffert. Mit den gegenwärtig dafür zur Verfügung stehenden Mitteln können aber jährlich durchschnittlich nur 4800 Hektar aufgeforstet werden.

Es ist also weder verwunderlich noch ungerechtfertigt, wenn die Vertreter der Bauernschaft mit großem Nachdruck eine Erhöhung der Mittel für den „Grünen Plan“ fordern und dafür das Verständnis der Allgemeinheit suchen und erhoffen. Für die nutzbringende Verwendung der 700 Millionen Schilling, die die Landwirtschaft für den „Grünen Plan 1965“ verlangt, liegt ein detailliertes Programm vor, dessen Zweckmäßigkeit und Weitb1!ck bisher von niemandem bestritten würde. Seine Verwirklichung und weitere Intensivierung ist vorzüglich geeignet, eine Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Basis Österreichs zu gewährleisten. In Erkenntnis dieser Tatsache hat Bundeskanzler Dr. Klaus, dem bestimmt niemand Verschwendungss ‘ ‘ vorwerfen wird, schon vor längerer Zeit die Aufstockung der Mittel für den „Grünen Plan“ auf eine Milliarde Schilling für wünschenswert erklärt.

Daß die Bauernschaft selbst alle Anstrengungen unternimmt, um sich wirtschaftlich behaupten zu können, geht eindeutig aus der Tatsache hervor, daß im Vergleich zum’ Durchschnitt der Jahre 1952 bis 1956 im Jahre 1963 die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte um 20 Prozent geringer, der Rohertrag dagegen um 35 Prozent und die Produktivität der Land- und Forstwirtschaft um 70 Prozent größer waren. Trotzdem ist infolge erhöhter Produktionskosten der Index der Gesamtausgaben der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe 1963 im Vergleich zu 1958 um 19,3 Prozent gestiegen, jener der Betriebseinnahmen aber nur um 10,9 Prozent. Der Ruf der Bauern nach gerechtem Lohn für ihre schwere Arbeit ist also keineswegs ungerechtfertigt. Bleibt er allzu lange ungehört, kann das zu Produktionsumstellungen führen, die der Markt früher oder später zu spüren bekommt. Der Engpaß in der Rindfleischversorgung war in den vergangenen Wochen ein bezeichnendes Beispiel dafür.

Pflichtkrankenversicherung

Die Bauern verlangen auch nicht zuviel, wenn sie als letzte große Berufsgruppe den Wunsch nach Einführung einer bäuerlichen Pflichtkrankenversicherung angemeldet haben und einen entsprechenden Staatsbeitrag dafür fordern. Der Gesundheitszustand in der bäuerlichen Bevölkerung ist beängstigend und auf die Dauer kann die Bauernschaft auch sozialpolitisch nicht schlechter gestellt bleiben als die gesamte übrige Bevölkerung. Für die besonders gesundheitsgefährdeten Altbauern und Rentner ist der Abschluß einer freiwilligen Krankenversicherung unmöglich. Sie können nur durch die Solidaritätsleistung einer großen Riskengemein- schaft in eine Pflichtkrankenversicherung miteinbezogen werden. Erfreulicherweise hat sich die gesamte österreichische Volkspartei anläßlich ihrer Semmeringtagung geschlossen zu diesem Wunsch der Bauernschaft bekannt und seine Erfüllung gefordert. Diese erscheint um so dringlicher, als erst vor wenigen Wochen auch der Verband der Europäischen Landwirtschaft bei seiner diesjährigen Generalversammlung in der Schweiz die Einführung einer Pflichtkrankenversicherung für die Bauern aller europäischen Staaten für notwendig erachtet und dringend empfohlen hat.

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