Veronika Spielbichler … und das Freigeld

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Das aktuelle System der Geldwirtschaft führt zu massiven Ungerechtigkeiten und Ausbeutung, sagt Veronika Spielbichler, die in Wörgl ein Freigeld-Experiment gewagt hat.

Sie beschreibt sich selbst als aufgeschlossen, neugierig und wissbegierig. Vermutlich hat das mit ihrer Ursprungsprofession zu tun. Über zwanzig Jahre war sie als Journalistin für kleine Regionalzeitungen tätig. Vor wenigen Jahren hat sich jedoch ihre wirkliche Leidenschaft entdeckt: Geld.

Für die 45-jährige Tirolerin Veronika Spielbichler ist Geld aber sehr viel mehr als nur ein Zahlungsmittel. Es ist für sie das Instrument für wirkliche Gesellschaftsveränderungen. Wobei es nicht nur um Fragen wie arm oder reich und der Umverteilung geht. Geld ist für Spielbichler eine Frage der Demokratie und der Weltgestaltung. "Die Geldwirtschaft ist eine der letzten Bereiche der Gesellschaft, die nicht demokratisch geregelt sind. Beim Geld kann ich nicht wählen, ich bin in ein einziges System gezwungen." Dieses System führe zu gravierenden Fehlentwicklungen und beschleunige negative Tendenzen wie Ausbeutung von Mensch und Umwelt. Dem setzt Spielbichler die Idee des Freigeldes beziehungsweise der regionalen Komplementärwährungen entgegen.

Dieses Modell hat schon einmal in einer Wirtschaftskrise funktioniert. In der Tiroler Gemeinde wurde 1932/33 ein dreizehneinhalb Monate dauerndes Freigeldexperiment mit Erfolg durchgeführt. Der damalige Bürgermeister Michael Unterguggenberger führte eine regional gültige Zweitwährung in Wörgl ein und bekämpfte damit wirkungsvoll die Arbeitslosigkeit in seiner Gemeinde. Basierend auf dem Freigeldgedanken des Deutsch-Argentiniers Silvio Gesell erarbeitet Unterguggenberger ein Nothilfe-Programm aus, an dessen Spitze ein Wohlfahrtsausschuss stand.

Historische Erfolge in Wörgl

Die Grundidee war einfach: Da genügend Arbeit in der Region vorhanden war, aber das Geld fehlte, um sie zu bezahlen, druckten sich die Wörgler ihr eigens Geld. Zur Durchführung der Wörgler Nothilfe gab der Wohlfahrtsausschuss Arbeitswertbestätigungen im Wert von einem, fünf und zehn Schilling heraus. Nach der Idee des Schwundgeldes von Silvio Gesell diente eine monatliche Abwertung um ein Prozent als Umlaufsicherung. Durch Aufkleben von Stempelmarken behielt der Schein seinen vollen Wert. Die einprozentige Abgabe kam in den Armenfond. Als Deckung hinterlegte der Wohlfahrtsausschuss den Wert der ausgegebenen Arbeitswertscheine in Schilling bei der örtlichen Raiffeisenkasse, die in die Abwicklung der Aktion eng eingebunden war. Eine Umwechselgebühr von zwei Prozent verhinderte, dass die Arbeitswertscheine sofort wieder in Schilling rückgetauscht wurden. Mit Hilfe des Notprogramms wurden zahlreiche Vorhaben in Wörgl realisierte wie z. B. ein Straßenbauprogramm, die Errichtung des Kanalnetzes, Investitionen in Tourismus und Bildung. Das Wörgler Freigeld-Experiment war eindurchschlagender Erfolg. Während in Österreich die Arbeitslosigkeit um 19 Prozent stieg, ging sie in Wörgl um 16 Prozent zurück. Als nach nur einem Jahr immer mehr Gemeinden in Tirol dem Freigeld-Experiment folgen wollten, kam es zur Klage der österreichischen Nationalbank und in der Folge verboten die Behörden das Währungsexperiment.

Neue Freigeld-Idee

Das Wörgler Experiment wurde vor wenigen Jahren aus der Mottenkiste der Geschichte geholt. Veronika Spielbichler gründete 2003 in Wörgl das Unterguggenberger-Institut, das sich die Förderung und Umsetzung der Freigeld-Idee zum Ziel gesetzt hat. Seit Ausbruch der internationalen Finanzkrise wird dieses Thema auch von international anerkannten Ökonomen ernstgenommen und in immer mehr Regionen schließen sich Initiativen zusammen, um Komplementärwährungssysteme umzusetzen. So etwa entstanden in Wien, Vorarlberg und Niederösterreich Talente-Tauschkreise. Es handelt sich dabei um ein Tauschsystem von Waren und Dienstleistungen, die sich nicht an dem zinsgebundenen Euro orientieren. Der Austausch der Waren und Dienstleistungen wird in "Talent" (Tt) verbucht, dem eine Arbeitszeiteinheit zugrundeliegt. Die Angebote im Talente-Tauschkreis sind umfassend und mit ihnen lassen sich fast alle Lebensbereiche - angefangen vom Putzen, übers Bauen und Wohnen bis hin zur Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen organisieren.

In der Schweiz werden seit 1936 erfolgreich mit Hilfe der Komplementärwährung WIR Geschäfte gemacht. Ähnlich wie heute war in den 1930er Jahren während der Weltwirtschaftskrise Geld knapp. Die Firmen horteten ihr Geld, anstatt es zu investieren, was die Knappheit der Geldmenge weiter verstärkte. Mit der Gründung der Wirtschaftsring-Genossenschaft reagierten Gewerbetreibende auf diese Krise mit Selbsthilfe. Um etwas gegen die Geldhortung zu unternehmen, wurde die Komplementärwährung WIR geschaffen, die auf der Freigeld-Theorie von Gesell basiert. Der Wert des WIR ist an den Schweizer Franken gebunden (1 WIR = 1 CHF). Ein Hauptmerkmal ist die Zinsfreiheit. Die Guthaben auf den Konten werden nicht verzinst. Dies ist ein Anreiz, das Geld schnell wieder auszugeben und unter den Teilnehmern - kleine und mittlere Unternehmen in der Schweiz - für Umsatz zu sorgen. In den Anfangszeiten wurde auf die Guthaben nicht nur kein Zins bezahlt, sondern eine Rückhaltegebühr verlangt. Diese sollte den Anreiz noch zusätzlich verstärken, das Geld schnell wieder in Umlauf zu bringen. Diese Umlaufsicherung wurde 1948 aufgegeben, aber WIR-Guthaben werden noch heute nicht verzinst. Rund 60.000 Klein- und Mittelunternehmen beteiligen sich derzeit an diesem System.

Jugendbeschäftigung als Ziel

In Wörgl, der einstigen Hochburg des Freigeld-Experiments, arbeitet Veronika Spielbichler zur Zeit an einem Konzept, um die Jugendbeschäftigung wieder in Schwung zu bringen. Die 2005 etablierte Jugendkomplementärwährung (Jugendliche ab 12 erbringen Dienstleistungen und erhalten dafür im Gegenzug Gutscheine für Einkauf oder für die Benützung kommunaler Einrichtungen wie z. B. Bäder) soll in Wörgl erweitert werden, um die Jugendarbeitslosigkeit in der Region zu bekämpfen. Geplant ist die Einbindung der ortsansässigen Unternehmen, für die Leistungen in Form der Komplementärwährung erbracht werden können. Spielbichler hofft, dass das Konzept noch heuer realisiert werden kann.

Mit ihrem Kampf für alternative Konzepte zum derzeitigen Finanzsystem will Spielbichler einen Wertewandel einleiten. "Das derzeitige System führt zu Ausbeutung und Vernichtung. Menschen arbeiten für das Geld und nicht mehr für reale Werte. Das führt zu einer Scheinwelt, in der letztlich nichts mehr funktionieren kann." Die streitbare Tirolerin weiß, dass die Freigeldidee nur auf regionaler Eben funktioniert, aber schließlich spielt sich das Leben der Menschen großteils ebenfalls in ihren jeweiligen Regionen ab. Zumindest zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse, so die tiefe Überzeugung der Freigelddenkerin, reichen Komplementärwährungen aus.

* Die Autorin ist Publizistin und Unternehmensberaterin in Salzburg.

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