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Verstndnis fur die Landwirtschaft!

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Die Schwierigkeiten, die anfangs 1968 durch die rasch ansteigende Milchanlieferung hervorgerufen wurden, sind sicherlich noch in Erinnerung. Eine Ursache dieser Entwicklung ist der wissenschaftliche und technische Fortschritt, den sich immer mehr Bauern zunutze machen. Die Produktionsausweitung bot zugleich die Chance, wenigstens in einem gewissen Ausmaß an der gesamtwirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung teilzunehmen. Das weitere Ansteigen der Produktion machte eine Übernahme von Verwertungskosten im Staatshaushalt und durch die Bauern notwendig. Nur auf diese Art konnten die erforderlichen Mittel für die Ausfuhr aufgebracht werden. Die Exporte wurden auch kostspieliger, weil seit Inkrafttreten der EWO-Agrar-marktordnungen traditionelle Auslandsmärkte verlorengingen und außerdem die EWG mit ihren zunehmenden Überschüssen auf Drittmärkten als mächtiger Konkurrent auftritt.

Die verantwortlichen Agrarpolitiker sind deshalb um eine Anpassung der Produktion an die Absatzmöglichkeiten bemüht. Da eine ähnliche Situation, wie sie eben für die Milch dargelegt wurde, nahezu bei allen wichtigen Agrarprodukten besteht, sieht sich die Landwirtschaft vor dem noch ernsteren Problem, über das Produktionsvolumen auf absehbare Zeit mit keinen spürbaren Einnahmesteigerungen rechnen zu können.

Nun ist es richtig, daß das Einkommen nicht nur von den Einnahmen, sondern auch von den Aufwendungen bestimmt wird. Hier, bei der Senkung dar Produktionskosten, dürften tatsächlich noch gewisse Chancen bestehen. Doch kann nicht übersehen werden, daß die Landwirtschaft einen Großteil ihrer Produktionsmittel über den Markt bezieht und die Hersteller und Vermittler dieser Erzeugnisse — soweit sie sich am Markt zu behaupten vermögen — ihre steigenden Lohn- und Materiaikosten fortlaufend überwälzen. Insofern ist die Landwirtschaft einem ununterbrochenen Kostenauftrieb ausgesetzt, und es läßt sich kaum beurteilen, wieweit eine bessere Kalkulation und Rationalisierung diese Kostensteigerung aufzufangen imstande ist

Diese Tatsachen haben die agrarische Führung schon vor geraumer Zeit dazu veranlaßt, ihr Augenmerk auf die Schaffung zusätzlicher Einkommensmöglichkeiten zu richten. Die Errichtung neuer Arbeitsplätze und der Ausbau des Fremdenverkehrs sind allerdings an Voraussetzungen gebunden, die sich nicht in allen Agrarzonen verwirklichen lassen.

Es werden deshalb auch in Zukunft Angehörige des Bauernstandes die Einikommensmög-lichkeiten in der Landwirtschaft als unzureichend beurteilen und sich anderen Berufen zuwenden. Dem Bauernbund wurde und wird verschiedentlich der Vorwurf gemacht, diese Entwicklung bewußt zu verzögern. Nun ist wohl unibestritten, daß auch in anderen Wirtschaftssparten Strukturanpassungen — im Sinne eines Arbeitsplatzwechsels — notwendig sind und tatsächlich erfolgen. Umstritten oder zumindest weit weniger ersichtlich ist hingegen, in welchem Umlang und mit welcher Geschwindigkeit sich diese Änderungen vollziehen. Wenn man bedenkt, daß kein gewählter Mandatar seine Aufgabe darin sehen wird, die von ihm vertretene Gruppe besonders rasch und radikal mit den Problemen und Schwierigkeiten eines Berufswechsels zu konfrontieren, dann wird man auch für die Politik des Bauernbundes Verständnis aufbringen können.

Vor allem müßten tatsächlich für die bei dem Anpassungsprozeß auftretenden Härten Erleichterungen geschaffen werden. DasArbeits-marktförderungsgesetz das unter der ÖVP-Alleinregierung endlich verabschiedet werden konnte, stellt in dieser Hinsicht einen bedeutsamen Fortschritt dar.

Die Altersversorgung harrt dagegen nach wie vor einer Lösung, die gerade wegen der gesamtwirtschaftlichen Strukturänderungen immer dringlicher wird. Ursprünglich hatte ein Hofübernehmer für den Hofübergeber durch das sogenannte Ausgedinge vorgesorgt. Diese Leistungen werden aber in Anbetracht der ungünstigen landwirtschaftlichen Einkommensentwicklung immer problematischer. Ein Betrieb, dessen Ertrag nur noch für ein Nebeneinkommen ausreicht, stellt auch keine geeignete Basis für eine befriedigende Altersversorgung dar. Anderseits kann einem alten Bauern doch schwerlich zugemutet werden, sich um ein zusätzliches Einkommen umzusehen oder gar einen Berufswechsel vorzuneh-nehmen. Ein ausschlaggebendes Moment ist schließlich noch, daß die ungleiche soziale Behandlung von der Bauernschaft in zunehmendem Maße als eine ausgesprochene Diskriminierung empfunden wird.

Leider erschöpft sich die agrarische Diskussion vielfach mit dem Thema der Preisstützungen und den staatlichen Beihilfen für die Modernisierung bäuerlicher Betriebe. Es wird aber gerne übersehen, daß wesentliche Teile der Anpassung, wie beispielsweise die Eingliederung in andere Wirtschaftszweige, durch die Betroffenen allein bewältigt werden mußten und daß die Landwirschaft an manchen staatlichen Leistungen, die für andere Gruppen eine Selbstverständlichkeit sind (Bildungspolitik, Sozialpolitik), kaum oder nur in wesentlich geringerem Umfang partizipieren kann.

Verständnis für diese Aspekte zu wecken, ist ebenfalls eine Chance der Landwirtschaft, die nicht ungenützt bleiben soll.

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