7105917-1995_31_05.jpg
Digital In Arbeit

Verzichtet öfter auf das Auto!

19451960198020002020

Unsere Mobilität hat sich in den letzten Jahrzehnten nur teilweise verändert. Verkehrswissenschaftliche Untersuchungen zeigen, daß im Durchschnitt die Anzahl der Wege und die dafür verbrauchte Zeit im wesentlichen gleich geblieben sind.

19451960198020002020

Unsere Mobilität hat sich in den letzten Jahrzehnten nur teilweise verändert. Verkehrswissenschaftliche Untersuchungen zeigen, daß im Durchschnitt die Anzahl der Wege und die dafür verbrauchte Zeit im wesentlichen gleich geblieben sind.

Werbung
Werbung
Werbung

Da aber die Anzahl der zurückgelegten Kilometer angestiegen ist, bedeutet das:

■ Wir sind heute schneller unterwegs: mit dem Auto statt zu Fuß oder mit dem Rad; mit der U- oder S-Bahn statt mit der Straßenbahn; mit schnelleren Autos (mehr PS, höhere Spitzengeschwindigkeit).

■ Wir legen weitere Strecken zurück, um Ziele zu erreichen, die früher näher lagen: wir kaufen öfter im Supermarkt mit dem Auto statt zu Fuß beim Greißler ein: wir haben weitere Schul- und Arbeitswege, die wir oft im Stau oder in überfüllten Verkehrsmitteln zurücklegen.

Die immer weiter verbreitete Au-tonutzung hat viele unerwünschte Nebeneffekte, unter denen bereits jeder einzelne von und - mehr oder weniger bewußt - leidet: Verkehrslärm und Abgase stören in den Wohnungen, machen den Aufenthalt auf der Straße für Menschen zu Fuß und mit dem Fahrrad zu einer Belastung. Kinder und ältere Menschen können sich nicht mehr vor dem Haus aufhalten, die meisten müssen erst fortfahren, um ein ruhiges und ungefährliches Plätzchen zum Spielen oder Plaudern zu finden. Dabei wären allein aufgrund der Entfernung einige Autofahrten leicht durch nicht motorisierten Individualverkehr zu ersetzen.

Derzeit werden zum Beispiel in Wien etwa sieben Prozent aller Autofahrten innerhalb einer Entfernung bis zu einem Kilometer zurückgelegt (d.h. je nach Tempo Fußwege zwischen 10 und 15 Minuten). Nur 38

Prozent aller Wiener Autofahrten sind weiter als sieben Kilometer. Vergleichbare Zahlen gibt es auch in anderen Großstädten...

Der Soziologe Wolfgang Sachs (1984) hat in seinem Buch: „Die Liebe zum Automobil: Ein Bückblick in die Geschichte unserer Wünsche” anschaulich dargestellt, daß das Automobil weit mehr ist als ein bloßes Transportmittel. Geschwindigkeit, Komfort und Zeitsparen sind einige der Bedürfnisse, die das Auto geweckt und gefördert hat. Wie oft diese Bedürfnisse im heutigen Verkehrsalltag gerade bei der Fortbewegung mit dem Auto frustriert werden, und angesichts verfügbarer Bessourcen an Energie, Luft, Wasser, Boden und Platz auch künftig nicht erfüllbar sind, ist nur wenigen bewußt.

Die Autowerbung spricht die Sehnsucht nach Freiheit und das Imponiergehabe an

Automobilindustrie und Mineralölwirtschaft haben längst erkannt, wie wesentlich ein Eingehen auf Wünsche und Bedürfnisse ihrer Zielgruppen ist. Sie investieren in qualitative Sozialforschung und Werbeagenturen, um Produkte und Werbebotschaften so zu gestalten, daß die gegenwärtig alltäglich erlebten Zwänge beim Autofahren gegenüber Wünschen nach Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstdarstellung und Prestige in den Hintergrund treten. Dementsprechend sind in den meisten Köpfen Autos immer noch das, was sie einst waren, nicht das, was sie heute sind.

Wer will, daß weniger Auto gefahren werden, muß einerseits eine realistische Wahrnehmung des Autofahrens heute fördern und andererseits die mit Mobilität verbundenen Bedürfnissen ernstnehmen, um sich zu überlegen, auf welche Weise sie bei anderen Fortbewegungsformen befriedigt werden können.

Kostenwahrheit im Verkehr ist ein oft gehörtes Schlagwort, dabei ist man sich nicht einmal einig, ob derzeit Autofahrer eher als „Melkkühe” oder als „Schmarotzer” einzuschätzen sind. Wie unterschiedlich eine Bewertung der Kosten des Verkehrs ausfallen kann, wird deutlich, wenn man sich die bei der Kostenrechnung berücksichtigten Faktoren vor Augen hält.

So beklagen die einen, daß die Automobilisten 37,7 Milliarden zahlen (Automobilimporteure Österreichs 1994), weil sie indirekte und langfristige Folgekosten des Autoverkehrs ausblenden. Die anderen, die in größeren Systemen und weiteren Zeiträumen denken, sehen die Autofahrer als Umweltsünder und verlangen eine Berücksichtigung der Folgekosten. Sie weisen darauf hin, welchen Preis unsere heutige vom Kraftfahrzeug dominierte Mobilität hinsichtlich Verbrauch von Primärenergie, Kohlendioxid-, Kohlenwasserstoff- und Stickoxid-Emissionen zusätzlich zum Unfallgeschehen noch fordert (z. B.Teufel et al. 1989)

Wenn so große Meinungsunterschiede in der öffentlichen Diskussion über die Kosten des Verkehrs bestehen, so liegt das daran, daß auch nicht unmittelbar in Geld umrechen-bare, erst langfristig bzw. indirekt wirksame unerwünschte Folgen selten mitbedacht werden. Die Notwendigkeit vernetzten Denkens für verantwortliches Handeln wird hier deutlich.

Inzwischen unbestritten - selbst in der Kostenaufstellung der Automobilimporteure - sind die mit dem Unfallgeschehen verbundenen Folgekosten des Straßenverkehrs, die sich in Österreich auf jährlich rund 38,5 Milliarden (gegenüber etwa 507 Millionen beim Schienenverkehr) belaufen (Faller & Metelka 1987 zit. nach Kuratorium für Verkehrssicherheit 1994, S.157)

Autos gefährden vor allem auch jene, die zu Fuß oder per Rad unterwegs sind Allerdings wird die Gesundheitsbedrohung durch Verkehrsunfälle in Österreich verzerrt wahrgenommen. Das Autofahren wird in seinem Bisi-ko auch für die, die selbst im Auto sitzen, unterschätzt, das Bisiko für Personen zu Fuß und auf dem Bad wird überschätzt. Für das Jahr 1993 läßt sich das an folgenden Zahlen verdeutlichen (Kuratorium für Verkehrssicherheit 1994, S.69): ■ Verletzungsrisiko im Straßenverkehr: alle 10 Minuten einen Verunglückten, alle 16 Minuten einen verunglückten Pkw-Insassen, alle 1,4 Stunden einen verunglückten Fußgänger, alle 1,7 Stunden einen verunglückten Badfahrerund alle 1,9 Stunden ein verunglücktes Kind.

■ Todesrisiko im Straßenverkehr: innerhalb von 6,8 Stunden einen Getöteten, von 11,7 Stunden einen getöteten Pkw-Insassen, von 1,8 Tagen einen getöteten Fußgänger, von 3,6 Tagen einen getöteten Badfahrer und von 6,9 Tagen ein getötetes Kind. Eine Gesundheitsbedrohung, die in einem Land mit etwa sieben Millionen Einwohnern täglich etwas 160 Personen trifft sowie vier Tote pro Tag fordert und die insbesondere bei den unter 25jährigen ihre Opfer hat, müßte eigentlich längst wirksamere Präventionsmaßnahmen auslösen.

Die Verkehrssicherheitsbilanz ist nur dann als befriedigend zu bewerten, wenn wir uns ausschließlich an der Zahl der Verkehrstoten orientieren und - wie es meist geschieht—den Nachkriegsgipfel der Unfallszahlen zu Beginn der siebziger Jahre als Bezugspunkt heranziehen (Schmidt 1989, S.125). Dabei sind Erkrankungen von Herz-Kreislauf, Atemwegen, Magen-Darm-Trakt und Schlafstörungen im Zusammenhang mit verkehrsbedingten Belastungen am Wohnort und durch berufliche Teilnahme am Straßenverkehr noch gar nicht berücksichtigt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung