Visionen von Trillionen

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Warum sehen wir Schulden einerseits als ernste Gefahr, fordern aber von den USA, noch mehr Defizit anzuhäufen? Zur verqueren Moral westlicher Krisenpolitik.

Die Lenker der Europäischen Union können von Glück reden, dass die Hymne der Gemeinschaft, die "Ode an die Freude“, noch nie finanziell gedeutet wurde. Sonst hätten sich Zyniker und anderes unernstes Volk wohl schon längst in die siebente Strophe verbissen, wo es heißt "unser Schuldbuch sei vernichtet“. Angesichts der derzeitigen Staatskassenstände hätte man diesen Stoßseufzer auch gleich mit "seid umschlungen Millionen“ verbrämt. Aber was heißt schon Millionen? Im Süden Europas träumt man derzeit schon von hunderten Milliarden, in den USA gleich von Billionen.

Dass das so ist, hat nicht nur mit der Finanzkrise zu tun, die die globalisierte Wirtschaft und danach die nationalen Budgets verbeulte. Es liegt auch an einer Manie der Staatsführung, die man in plattem Deutsch als "Leben auf Pump“ bezeichnet: Tue viel Gutes für die Bürger und einiges für deine Freunderl - und das alles mit geborgtem Geld. Das war das durchgängige Prinzip seit den 80er Jahren. Die Finanzkrise zündete hinter diesem Schulden-Trieb noch einmal einen kräftigen Turbo - und fertig war der drohende Bankrott eines Teils der Industriestaaten. Seit 2008 gelobt die Politik nun Besserung nach Rosskurart: Spare, koste es, was es wolle, und leide an den Verprassungen der Jubeljahre! Doch der Streit über die US-Schuldenobergrenze wirft nun ein irritierendes Licht auf diese Herangehensweise. Es geht dabei aber nicht um die Sklerose der US-Politik, sondern um unseren verqueren Umgang mit unseren moralischen Prinzipien.

Das Schulden-Paradox

Da fordern wir einerseits, dass die Staaten ihre Schulden drosseln und diszipliniert sparen. Andererseits fürchten wir eine globale Rezession, wenn nicht noch Schlimmeres, für den Fall, dass die Amerikaner mit dem Schuldenmachen aufhören. Und tatsächlich ist es so: Die USA bleiben nur dann zahlungsfähig, wenn sie ihren Schuldenplafond weiter erhöhen, also ihr Defizit aufblähen. Mehr noch: Sie bleiben auch nur dann unbestrittene Wirtschaftsmacht Nummer eins mit bester Bonität, wenn sie weiter Schulden machen. Wer daraus eine Verdrehung kaufmännischer Logik und Moral ableitet, urteilt noch milde. Auch die Verrottung des Systems könnte man beklagen. Wir könnten allerdings auch überlegen, ob wir zu einfach dachten, als wir "moralisch“ dachten.

Voraussetzungen unbegrenzten Wachstums

Denn am Beispiel USA zeigt sich, dass Staatsschulden nicht nur ökonomischen Verfall und Bankrott bedeuten müssen. Mehr Defizit ist nach geltender Logik ja offensichtlich auch Grundvoraussetzung für blühendes Wachstum. Solange also die größte Wirtschaftsmacht der Welt immer mehr produziert und konsumiert, wiegt das all ihre Schulden auf. Oder anders gesagt: Solange Schulden Wachstum produzieren, sind sie "gute“ Schulden. Der Haken an der Sache: Sobald der Glaube an dieses Wachstum auf Pump verloren geht, verwandeln sich die Leben spendenden Obligationen in tödliche Schlingen, die im Extremfall auch die globale Wirtschaft gefährden.

Um diesen Moment zu vermeiden, müsste Vertrauen erzwungen werden. Indem beispielsweise jede Nation bei allen anderen Nationen gleichzeitig wichtiger Schuldner und wichtiger Gläubiger wird. Alle wären dann voneinander abhängig, und niemand könnte den anderen schädigen, ohne selbst Schaden zu leiden. Man stelle sich vor: ein durch Risiko stabilisiertes System unvorstellbarer Schulden und unvorstellbaren Reichtums. Dieses System der Gigantomanie wäre gleichzeitig aber auch das Ende unserer Jahrtausende geübten Moral von Geben und Nehmen - oder schlicht von unserer Vorstellung von Gerechtigkeit. Nur das Nehmen hätte dann noch Geltung - das Gesetz der Wechselreiter und Schuldenritter. Was zur letzten Frage führt: Sind wir schon unmoralisch genug dazu? In diesem Fall: Seid umschlungen Trillionen!

oliver.tanzer@furche.at | @olivertanzer

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