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Völkerwanderung in Schweden

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Für Experten des schwedischen Arbeitsmarktes sind heute umfangreiche Bevölkerungsverschiebungen auf Grund der geänderten wirtschaftlichen Situation selbstverständlich geworden. Seit zwölf Jahren widmet der Staat der Übersiedlung der Arbeitskraft und ihrer Anpassung an neue Verhältnisse große Aufmerksamkeit, und auch von Gewerkschaftsseite wurde wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß heute kein Mensch mehr damit rechnen könne, zeit seines Lebens in einem einzigen Ort und in ein und demselben Beruf arbeiten zu können. Die in Schweden so verbreitete empirische und pragmatische Haltung gegenüber herankommenden Problemen erleichtert diesen oft schmerzlichen Umstellungsprozeß.

Die Konjunkturabschwächung in den Jahren 1966/67 hat den Umfang der Umschulung freigestellter Arbeits-ker und Individuen sowie Gesell-Untersuchung der Gewerkschaftszentrale v*LO) ergab, daß von Mitte 1966 bis Mitte 1968 von den etwa 1,700.000 Mitgliedern der Gewerkschaften nicht weniger als 350.000 mehr oder weniger freiwillig ihren Arbeitsplatz gewechselt haben. Mindestens 80.000 mußten sich auf Grund der langfristigen Freistellungen oder Betriebsschließungen eine neue Arbeit suchen. Man kann annehmen, daß von den etwa 1,5 Millionen nichtorganisierten Arbeitnehmern in Schweden noch weit mehr ihren Arbeitsplatz verloren haben. In dieser Zahl nicht berücksichtigt sind die Landwirte. 1870 waren 75 Prozent der Bevölkerung Schwedens in der Landwirtschaft beschäftigt, bei Ende des zweiten Weltkrieges waren es noch 30 Prozent, 1950 waren es 24 Prozent, 1960 10,9 Prozent und 1968 6 Prozent! Vor zwei Jahren wurden täglich 16 Höfe stillgelegt, heute wird jede Stunde ein landwirtschaftlicher Betrieb aufgelassen. Ein anderer Wirtschaftszweig, der ununterbrochen Arbeitskräfte freistellt, ist die Bekleidungsindustrie in allen ihren Sektoren. Um diesen Menschenstrom aufzufangen und weiterzuleiten, hat man bereits i960 17.000 Personen jährlich auf andere Berufe umgeschult, 1967 waren es nahe an 70.000 und 1968 97.200, davon waren 36.000 Frauen. Schon im nächsten Jahr wird man die Zahl 100.000 jährlich Umgeschulte erreichen.

Die schwedische Arbeitsmarktbehörde (AMS) bemüht sich in erster Linie, die Beweglichkeit der Arbeitskraft zu verstärken, so daß sie von Regionen mit Beschäftigungsschwierigkeiten in Regionen und Branchen mit Arbeitskraftmangel übergeführt werden kann. Das eben erfordert in vielen Fällen eine Umschulung der Arbeitskraft, die nach Art und Zeitdauer stark variieren kann. Es gibt Kurse, die vier Wochen dauern, und Umschulungen, die zwei Jahre erfordern. Die Ausbildung ist kostenlos und bei Familienvers argem mit der Gewährung eines steuerfreien Unterhaltsbeitrages verbunden. Von allen im Zusammenhang mit der Arbeltsmarktpolitik gemachten Ausgaben gehen nun 15 Prozent zur Umschulung und Weiterbildung, gegenüber 5 Prozent im Jahr 1960. Der dafür aufgewandte Betrag hat sich in derselben Zeit von 25 auf 200 Millionen Kronen erhöht.

Dazu kommen jedoch noch Reiseund Ubersiedlungsbeiträge für den, der in seinem Heimatort keine Arbeit mehr bekommen kann. Ist die Ubersiedlung und die Übernahme der neuen Arbeit erfolgt, dann kann noch eine Starthilfe in der Höhe von 1000 Kranen gewährt werden. Im Jahr 1967 haben 21.000 Personen Übersiedlungshilfe und 18.700 außerdem noch Starthilfe erhalten. 1968 wurden 28.000 Übersiedlungshüfen bewilligt.

Ein schweres Problem entsteht, wenn derjenige, dem eine Übersiedlung in einen anderen Teil des Landes vorgeschlagen worden ist, ein Eigenheim besitzt, für das er möglicherweise durch viele Jahre abgezahlt hat und das er nun nicht verkaufen kann, da ja gerade in diesen Gebieten mit schrumpfenden Beschäftigungsmöglichkeiten die Interessenten fehlen. Die Regierung hat deshalb über die AMS damit begonnen, solche Familienhäuser oder Eigentumswohnungen vorerst in den vier nördlichen Provinzen einzulösen. Die Kosten für diese Übersiedlungishilfe werden im laufenden Haushaltsjahr auf 40 Millionen Kronen geschätzt.

Die Gesamtkosten für die verschiedenen Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik dürften heuer 1,5 Milliarden Kronen kosten, das sind etwa 4 Prozent der Staatsausgaben. Zumindestens erwähnt muß jedoch noch werden, daß daneben auch die Freigabe von Mitteln aus den Investitionsfonds (1,8 Milliarden Kronen im Vorjahr!), vorzeitige Stäats-bestellungen, die Förderung des Wohnungsbaues und der beschleunigte Bau von Krankenhäusern, Altersheimen und Schulen eine Rolle spielen und bei den Maßnahmen der Arbeitsmarktbehörden einkalkuliert werden. In allen diesen Fällen sind umfangreiche Übersiedlungen von Arbeitskräften unvermeidbar. Erst durch die Koordination der verschiedenartigen Maßnahmen kann der wünschenswerte Effekt erreicht werden!

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