Vom "Kadavermehl" zu BSE

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Die Geschichte der Tiermehlverfütterung reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück

Schuld ist der Engländer!" Diesen etwas schlichten Tenor findet man in vielen Reaktionen auf die BSE-Krise. Die in Großbritannien weit verbreitete Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer erscheint dabei als Sündenfall der modernen "industrialisierten" Landwirtschaft, zumal man auf der Insel seit Anfang der achtziger Jahre die hohen Standards der allgemein vorgeschriebenen Drucksterilisierung der Kadaver aus Kostengründen senkte und somit die Büchse der Pandora öffnete.

Untergegangen ist jedoch die lange und höchst eigenständige Vorgeschichte der Tiermehlverfütterung selbst. Denn Tiermehl wurde schon vor weit mehr als 100 Jahren an Wiederkäuer verfüttert, wie die "Zeitschrift für Ernährungsökologie" berichtet.

Am Beginn dieser vergessenen Geschichte steht Justus von Liebig. Seine chemischen Arbeiten popularisierten spätestens seit 1840 eine Agrarwissenschaft, die landwirtschaftliche Prozesse zunehmend unter dem Aspekt des Stoffkreislaufes verstand. Dem Boden und den Nutztieren mussten demnach Stoffe zugeführt werden, um die Erträge zu optimieren. So galt etwa mineralstoffreiches Knochenmehl seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts als akzeptables Düngemittel.

Futtermittel wurden zunehmend anhand ihrer Nährstoffzusammensetzung und -gehalte bewertet. Das Tier galt als Durchgangsstätte für chemische Stoffe. Besonders eiweißreiche Futtermittel gewannen so an Bedeutung - galt doch vor allem das höherwertige tierische Eiweiß als Quelle der Muskelkraft, als Garant körperlicher Stärke bei Mensch und Tier.

In Uruguay wurden Liebigs Vorschläge für die Produktion von Fleischextrakt seit 1864 von der Liebig Extract of Meat Company umgesetzt. Das Fleisch wurde von Fett, Sehnen und Knochen befreit, auf etwa 70 Grad erhitzt und der aroma- und mineralstoffreiche Extrakt abgeführt. Übrig blieb ausgelaugtes Fleisch mit einem hohen Eiweißanteil, das gedörrt und gemahlen und dann als Liebig'sches Fleischfuttermehl weltweit vertrieben wurde.

Das neue Futter fand nicht zuletzt wegen seines mehr als 70-prozentigen Eiweißanteils schnell Interesse in Deutschland. Zahlreiche Fütterungsversuche ergaben, dass Fleischmehl sehr gut verdaut und resorbiert wird und man es gut zur Fleischmast sowie zur Produktion qualitativ besserer Milch und Butter nutzen konnte. Jedoch stellte sich auch heraus, dass Fleischmehl nur ein zusätzliches Kraftmittel sein konnte, um eiweißarme Futtermittel zu ergänzen, da das Produkt relativ teuer war, aber auch die Tiere einen Widerwillen gegen das eigenartig riechende Fleischmehl zeigten.

Probleme bei Kühen

Seit dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde die Palette tierischer Futtermittel noch erweitert. Neben die Tiermehle traten nun Tierkörpermehle, Restprodukte aus der schnell an Bedeutung gewinnenden Tierkörperbeseitigung. Schlachtreste, Kadaver und verendete kleinere Haus- und Nutztiere, die zuvor meist vergraben worden waren, wurden nun zu Tierkörpermehl verarbeitet.

Gleichwohl ergaben sich beim neuen "Kadavermehl" auch neuen Probleme. Denn während Schweine und Geflügel auch dieses Futter fraßen, zeigten Wiederkäuer eine noch deutlichere Abneigung. Dies lag nicht zuletzt daran, dass nun nicht mehr allein Fleisch, sondern auch Knochen und Eingeweide zu Tierkörpermehl verarbeitet wurden. Dadurch sank der relative Eiweißanteil auf rund 50 Prozent.

Dementsprechend fielen die Preise. Zugleich regte sich aber auch öffentlicher Widerstand gegen Kadavermehl. Gleichwohl wurden Tiermehl und Tierkörpermehl weiterhin auch an Wiederkäuer verfüttert. Der Erste Weltkrieg führte dann zu einer wesentlich intensivierten Nutzung der Tierkadaver und Fleischreste. Das änderte sich nach dem Kriegsende nur wenig. Während der zwanziger und dreißiger Jahre wurde auch die Technik der Tierkörperbeseitigung weiter optimiert.

Führende Wissenschaftler verlautbarten selbstbewusst: "Die Unschädlichmachung von Konfiskaten und Tierkadavern bei gleichzeitiger Verarbeitung der verwertbaren Teile dürfte heute eine technisch gelöste Frage sein." Sie sollten irren, wie wir in den letzten Jahren erfahren haben.

Der Autor ist Mitarbeiter von Klimabündnis Kärnten.

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