Von der Wiege bis zur Wiege

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"Kreislaufwirtschaft" lautet ein (wieder) aktuelles Schlagwort in der Nachhaltigkeitsdebatte: Produkte von der Schuhsohle bis zum Autoreifen sollen wieder in den biologischen Kreislauf zurückkehren können.

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"Kreislaufwirtschaft" lautet ein (wieder) aktuelles Schlagwort in der Nachhaltigkeitsdebatte: Produkte von der Schuhsohle bis zum Autoreifen sollen wieder in den biologischen Kreislauf zurückkehren können.

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Professor Michael Braungart provoziert gerne. "Die Stadt Wien will klimaneutral sein. So was Absurdes. Hat jemand schon einen klimaneutralen Baum gesehen? Ein Baum ist immer gut fürs Klima. Sie können nur klimaneutral sein, wenn sie nicht existieren. Stellen sie sich vor, sie kommen nach Hause und sagen, sie sind heute kinderneutral. Was für ein Blödsinn!" Braungart, der als Eröffnungsredner zum Dritten Österreichischen Ressourcenforum geladen war, würdigt zwar die 1986 durch die Brundtland-Kommission angestoßene Nachhaltigkeitsdebatte als nützlich und wichtig. Aber sie greife zu kurz: "Nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der jetzigen Generation zu stillen, ohne der zukünftigen zu schaden. Das ist total traurig. Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause und sagen Ihren Kindern, Sie wollen ihnen jetzt weniger schaden. Ich will zeigen, wie man nützlich sein kann, nicht weniger schädlich."

Da setzt seine Cradle-to-cradle-Philosophie an: "Mir geht es nicht darum, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren: Vermeiden, Sparen, Verzichten, Reduzieren. Das ist alles Schuldsprache. Sondern einen großen Fußabdruck zu haben, der ein Feuchtgebiet wird." Man müsse die Menschen als Chance begreifen, nicht als Belastung: "Das nenne ich cradle to cradle, von der Wiege zur Wiege zu denken. Dabei müssen alle Dinge, die verschleißen -Schuhsohlen, Bremsbeläge, Autoreifen -, so beschaffen sein, dass sie in den biologischen Kreislauf gehen können."

Vom Saulus zum Paulus

Das Dritte Österreichische Ressourcenforum, das am 24. und 25. Jänner in der Stadt Salzburg stattfand, befasste sich mit Kreislaufwirtschaft, die Rudolf Zrost, Präsident und Mitbegründer des Forums, so definiert: "Kreislaufwirtschaft ist eine Wirtschaft, bei der ein Produkt erzeugt und genutzt wird und dann wieder in den Kreislauf zurückgehen kann, in die Erde, oder recycelt wird, wo nichts verloren geht, sondern alles wieder genutzt werden kann."

Das Österreichische Ressourcenforum ging 2013 aus dem Weltressourcenforum in der Schweiz hervor. Es wurde von der Landwirtschaftskammer Salzburg, der Wirtschaftskammer Salzburg und der Industriellenvereinigung Salzburg gegründet. Sie wollen auf Unternehmen einwirken, ihre Produktion zu ökologisieren.

Einige wenige große Unternehmen setzen schon länger auf nachhaltige Wirtschaft. So das Zellstoffwerk AustroCel in Hallein, das mehr als hundert Jahre als Papierfabrik mit giftigen Abwässern die Salzach kontaminierte. 2009 war das nicht mehr rentabel. Man musste umdenken und neue Wege beschreiten. "Wir haben uns vom Saulus zum Paulus entwickelt", sagt Geschäftsführer Jörg Harbring. Heute wird ökologischer Zellstoff produziert, der praktisch keine neuen Ressourcen verbraucht. 97 Prozent der verarbeiteten Rohstoffe sind Holzabfälle aus Sägewerken. Der fertige Zellstoff, der von den riesigen Walzen rollt, sieht aus und fühlt sich an wie grobes Papier. Daraus wird dann die Viskosefaser gesponnen, die sich auf den ersten Blick nicht von Watte unterscheidet. Bei AustroCel hat man den griffigen Slogan von der "echten Baum-Wolle" geprägt. Über 90 Prozent des Produkts landen auf dem chinesischen Markt, der einen enormen Bedarf an Viskose für die Textilindustrie hat.

Nebenbei entsteht jede Menge Biogas, das auf der Anlage selbst verstromt wird. Der größte Biogasmotor, der in Österreich betrieben wird, lieferte 2017 gute 97 Gigawattstunden ans öffentliche Netz. Das entspricht ungefähr dem Bedarf von 30.000 Haushalten. Auch das Abfallprodukt Braunlauge, das in Geruch und Aussehen an Melasse aus Zuckerrohr oder Rüben erinnert, wird zu Energie gemacht. In einer eigenen Raffinerie wird es in Bioethanol verwandelt, das laut einer EU-Richtlinie dem fossilen Treibstoff beigemischt werden muss.

Die Verarbeitung von Rohstoffen in einer Art und Weise, dass sie mehrfach verwertet und schließlich dem biologischen Kreislauf zugeführt werden können, bedarf zielgerichteter Forschung. So wie sie etwa an der Fachhochschule Salzburg in Kuchl betrieben wird. Alexander Petutschnigg, Studiengangsleiter für Holztechnologie und Holzbau, hat mit seinen Studenten schon mehrere Preise gewonnen. Darunter -ge meinsam mit der Technischen Universität Wien -den Solar Decathlon 2013 in den USA mit dem LISI-Haus, auf das Petutschnigg besonders stolz ist. LISI steht für Living Inspired by Sustainable Innovation - also durch nachhaltige Innovation inspiriertes Leben. Es ist ein zu 96 Prozent aus Holz bestehendes Plusenergiehaus, das in modularer Leichtbauweise errichtet wird und auf dem Wasser schwimmt.

Biologische Bierdeckel

Bei der Untersuchung archäologischer Funde aus der bronzezeitlichen Hallstatt-Kultur entdeckten Forscher, dass damals alle Teile des Baumes verwertet wurden: von den Wurzeln bis zur Rinde. An der FH Kuchl nimmt man sich daran ein Vorbild. Schon beim LISI-Haus kamen etwa die Dämmeigenschaften der Rinde zur Anwendung. Die Idee ist inzwischen von einem Unternehmen aufgegriffen worden, das ästhetisch ansprechende Weinkühler aus gepresster Rinde herstellt. Manche Anregungen kommen direkt aus der Landwirtschaft. So hat der Nebenerwerbsbauer Konrad Steiner, der auch an der Höheren Bundeslehranstalt für Landwirtschaft in Ursprung lehrt, interessante Eigenschaften der Virginia-Malve entdeckt, die er wegen ihres Potentials als Energiepflanze für Pellets, Biogas oder Methanol angebaut hatte. Als er Malven-Häcksel im Gewächshaus einsetzte, fiel ihm auf, dass das Material nicht schimmelte. Er ging auf Alexander Petutschnigg zu, den er vom Ressourcenforum kannte, "und da haben wir bei zwei Bier beschlossen, wir machen einen Lehrgang auf beiden Seiten". Auf beiden Seiten heißt einerseits auf universitärer Ebene an der Fachhochschule und andererseits mit den Schülerinnen und Schülern der Landwirtschaftlichen Bildungslehranstalt.

Bald stellte sich heraus, dass der Stengel der Virginia-Malve bestens als Dämmmaterial, aber auch für Verpackungen geeignet ist. Die Brauerei Stiegl interessiert sich für biologische Bierdeckel. So erfüllt der Rohstoff die Voraussetzungen von Kreislaufwirtschaft und Abfallvermeidung: Nach der industriellen Verwertung kann er als Dünger wieder in den Naturzyklus eingespeist oder kompostiert werden.

Verpackungen aus Abwasser

Um Abfallvermeidung beziehungsweise Abfallverwertung geht es auch dem italienischen Unternehmensberater Sergio Campobasso, der seit drei Jahren Kunststoffunternehmen beim Übergang zur Kreislaufwirtschaft hilft. Er zitierte in seiner Präsentation eine Studie des Unternehmensberaters McKinsey: "Da wurden die Kunden befragt, wie tief sie für ein ökologisches Produkt in die Tasche greifen würden. Für grüne oder wiederverwertbare Verpackungen wären 60 Prozent gewillt, 15 Prozent mehr zu bezahlen." Über alle abgefragten Sparten sind es im Durchschnitt 45 Prozent, die bis zu 15 Prozent zusätzlich aufwenden würden. Das ist für Campobasso ein guter Grund für Unternehmen, ökologischer zu werden: "Am Ende des Tages zählt nur der Umsatz."

Gefordert sei aber auch die Politik. Das von der EU erlassene Plastiksackerlverbot hält Campobasso für einen richtigen Schritt. Den Umstieg auf Öko-Verpackungen sieht er nicht uneingeschränkt positiv: "Biologisch abbaubare Produkte können ein Teil der Lösung sein aber nicht die Lösung. Es besteht nämlich die Gefahr einer Konkurrenz um Anbauflächen mit Nahrungsmitteln. Im Jahr 2050 werden zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben und wollen ernährt werden." Echte Alternativen sieht er in Verpackungen, die aus Abfallprodukten der Brauereien, Pilzen, sogar aus Abwasserrückständen hergestellt werden.

An Ideen, so zeigte sich auf dem Ressourcenforum, fehlt es nicht. Zu Wort kamen neben mehreren Unternehmensvertretern auch Delegierte von Gemeinden und Stadtteilen, die über unzählige Initiativen auf der untersten Verwaltungsebene berichteten. Da gibt es Gemeinwohl-Gemeinden, in denen Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz vorlegen müssen, Fairtrade-Gemeinden, die den fairen Handel aktiv unterstützen, offene Werkstätten und Technologielabors, Reparaturcafés, Gemeinschaftsgärten, solidarische Landwirtschaft, Tauschkreise und Regionalwährungen, Carsharing und Kostnix-Läden, offene Bücherschränke und Kleidertauschpartys. Es ist die hohe Politik und die Industrie, die meist bremst, wenn es ums Umdenken geht, obwohl Unternehmen wie AustroCel beweisen, dass man auch mit ökologischer Produktion gute Profite machen kann. Für Ressourcenforum-Präsident Zrost ist der Kampf gegen die Wegwerfgesellschaft, ein Konsumverhalten, das ja auch von großen Teilen der Industrie gefördert wird, durchaus eine Überlebensfrage der Menschheit.

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