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„Von fremden Händeln fernhalten66

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Die Wirtschaftskraft Norwegens liegt über dem europäischen Durchschnitt. Das Nein zu einem EU- Beitritt schützt das Land aber nicht vor dem Einfluß aus Brüssel.

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Die Wirtschaftskraft Norwegens liegt über dem europäischen Durchschnitt. Das Nein zu einem EU- Beitritt schützt das Land aber nicht vor dem Einfluß aus Brüssel.

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Norwegen hat also als einziger der vier Beitrittskandidaten mit Nein gestimmt. Mehr als 52 Prozent der Wähler votierten gegen Brüssel. Die Ressentiments der Fischer und Bauern des Nordens, aber auch eines beachtlichen Teils der wahlentscheidenden Stadtbevölkerung gegen das Fremde und Neue haben wie im Jahre 1972 die wirtschaftlichen Vorteile der Mitgliedschaft in den Hintergrund treten lassen. Tiefverwurzelte Emotionen haben sich gegenüber sachlichen Argumenten durchgesetzt.

So haben die Beitrittsgegner zunächst eine enge skandinavische Zusammenarbeit als Alternative zu Brüssel befürwortet, um dann nach dem positiven Ausgang der Volksabstimmung in Finnland (57 Prozent ja) und Schweden (52,2 Prozent ja) alte Vorbehalte gegen die erst 1905 beendete Herrschaft der Schwedenkönige zu reaktivieren.

Die Befürworter beschworen dagegen vergebens die Einheit der nordischen Staaten. Sie bedienten sich sogar der Hilfe Islands, dessen Regierungsspitze auf einer Sondersitzung des Nordischen Rates - mitten im Wahlkampf und ausgerechnet im nordnorwegischen Tromsö, einem Zentrum der anti- europäisch eingestellten Fischer - ein Beitrittsgesuch an die Europäische Union in Aussicht stellte.

Ebenso benützen beide Seiten Umweltschutzargumente: Die Gegner stellten plakative Fragen: „Wird das Essen für meine Kinder gesünder, wenn im Falle einer Mitgliedschaft 80 neue Zusatzstoffe erlaubt sein werden? ... Ist es gut für meine Kinder, daß die Industrie in Brüssel 10.000 Lobbyisten für ihre Interessen kämpfen läßt, die Umweltorganisationen jedoch nur 15?“

Die EU-Anhänger erinnerten an die Verdienste der Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, die als Vorsitzende einer Umweltkommission der Vereinten Nationen vehement für „nachhaltiges Wachstum“, also für die Vermeidung irreparabler Umweltschäden und gegen den Raubbau an den natürlichen Ressourcen der Erde, eingetreten ist. Nur im großen Rahmen der Europäischen Union könne diese Politik mit Erfolg in die Praxis umgesetzt werden.

Das Votum in den skandinavischen Ländern ist von sicherheitspo litischen Erwägungen (das neutrale Finnland mit seiner langen Grenze zu Rußland auf der einen, das NATO-Mitglied Norwegen auf der anderen Seite) sicherlich sehr stark beeinflußt worden. Schweden wiederum hat ungleich engere historische Beziehungen zu Europa als Norwegen mit seiner eher introvertierten Bevölkerung.

Wirtschaftlich muß Oslo jetzt mit einer zurückhaltenden Investitionspolitik ausländischer und inländischer Kapitalgeber, allenfalls mit einer vermehrten Abwanderung industrieller Betriebe rech-nen. Der Konsument wird auch weiterhin mit den teuersten Lebensmittelpreisen Europas leben müssen. Ebenso wird es Norwegen als Nichtmitglied verwehrt bleiben, die europäische Energiepolitik mitzugestalten.

Als wichtiger Produzent des Nordseeöls ist zwar eine starke Marktstellung gegeben, doch in der wichtigen Frage einer EU-Energiesteuer wird Oslo - das als Mitglied ein Vetorecht hätte - nicht gefragt werden. Besondere, bis heute kaum beachtete Probleme könnten sich aus der offenen norwegisch-schwedischen Grenze ergeben, die dem Schmuggel bei dem zu erwartenden Preisgefälle zwischen EU-Land und Außenseiter entgegenkommt. Gravierende Schwierigkeiten könnten später einmal auch nach dem Wegfall der Grenzkontrollen innerhalb der EU entstehen, da sich Brüssel mit einer offenen Flanke nicht abfinden würde.

Im österreichisch-norwegischen Handel sind keine Auswirkungen zu erwarten. Das EWR-Abkommen bleibt bestehen. Es bildet auch in Zukunft die Grundlage für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Norwegen und der Europäischen Union und Island.

Das norwegische Nein ruft das Schweizerische Abstimmungsverhalten in Erinnerung, das bekanntlich sogar die Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum verhindert hat.

Die ausgeprägte Euroskepsis in beiden Ländern dürfte die gleichen Wurzeln haben. Der Fischer Nordnorwegens und der Bauer in den Alpenländern der alemannischen Schweiz reden eine verwandte Sprache. Denn es sind nicht so sehr wirtschaftliche Argumente, die die Teilnahme dieser Staaten an der europäischen Integration verhindern. Maßgebend ist vielmehr eine Grundhaltung, die durch die Mahnung des Nikolaus von der Flüe am besten charakterisiert wird: Man solle sich von fremden Händeln fern- halten und die Zäune nicht zu weit stecken. Dieser weise Rat des Mystikers aus dem innerschweizerischen Unterwalden ist zeitlos, doch haben sich die Begriffe „fremd“ und „Zaun“ seit dem fernen 15. Jahrhundert entscheidend verändert. Die de-facto-Souveränität wird nicht mehr durch Staatsgrenzen definiert.

Die wirtschaftlichen Verflechtungen machen darüber hinausgehende Anpassungen im Außenhandel, in der Finanzpolitik, im sozialen und rechtlichen Bereich und nicht zuletzt auch in Fragen der inneren und äußeren Sicherheit notwendig. Was heute in Brüssel beschlossen wird, zwingt Bern und Oslo zu fremdbe- stimnitem Handeln. Daran kann auch die weit über dem europäischen Durchschnitt liegende Wirtschaftskraft der beiden Länder nichts ändern.

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