Von Paten, Familien und anderen Gangstern

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Was gemeinhin mit "Mafia" gleichgesetzt wird, ist in Wahrheit kaum zu erfassen - und zwar weder wissenschaftlich noch polizeilich: die organisierte Kriminalität.

Rhodesien, Britisch Honduras und Burma gibt es längst nicht mehr. Neue Staatsbürger bekommen diese Länder dennoch immer wieder. Per Internet. Eine Lieferadresse und 299,95 Euro ist alles, was die Anbieter brauchen, um einen Pass aus einem dieser Länder zu liefern. Einen so genannten Camouflage-Pass, also einen Ausweis aus einem nicht existenten Land, Wunschidentität inklusive. Mitgeliefert bekommt man eine Verwendungsanleitung. Da lernt man dann zum Beispiel, dass der falsche Pass nicht für den Grenzübertritt bestimmt ist, da die Fälschung am Zoll auffliegen könnte. Aber wissen auch alle Bankangestellten, dass Rhodesien inzwischen Simbabwe heißt, aus Britisch Honduras längst Belize geworden ist und der offizielle Name von Burma mittlerweile Myanmar lautet? Sicher nicht, verspricht die Internetseite, auf der die Pässe zu bestellen sind. Firmen gründen, Konten einrichten und Geschäfte tätigen könne man also getrost mit dem Tarnpass. Und schützt sich so vor einer möglichen Strafverfolgung, sollten die Geschäfte nicht ganz astrein sein. Entsprechend schwer machen Camouflage-Pässe der Polizei weltweit die Bekämpfung vor allem organisierter Kriminalität, wie Josef Mahr vom Bundeskriminalamt vergangene Woche in seinem Vortrag bei der Veranstaltung "Organisierte Kriminalität und die Unterwanderung legaler Märkte" im Vorfeld der Europäischen Wissenschaftstage in Steyr zeigte. Ebenso schwer übrigens wie die teilweise perfekt funktionierenden Strukturen, in denen organisierte Kriminalität (ok) abläuft, und Korrumpierbarkeit, die den Tätern das Leben erleichtert.

Dass auch Österreich kein Land der Seligen ist, zeigt der European Union Organised Crime Report 2004 der europäischen Polizeibehörde Europol (siehe Artikel unten): Vor allem Banden aus Süd- und Osteuropa seien hierzulande in Drogen- und Menschenhandel, Fahrzeugschiebereien, Schlepperei und Waffenhandel involviert. Laut Bericht dient Österreich als "sicherer Hafen für russische und italienische Kriminelle. Vor allem für russische Organisationen ist Österreich ein ruhiger Ort, wo die Familien der ranghöchsten Mitglieder leben. Die {...} italienischen Mafia-Organisationen sehen Österreich als Rückzugsgebiet und Stützpunkt zur Planung ihrer Strategien." Dazu kommen in letzter Zeit häufige Juwelenraube vor allem osteuropäischer Gangs. Rudolf Unterköfler vom Bundeskriminalamt ergänzt den Bericht: Auch Geldwäsche, Anlagebetrug (siehe Seite 3) und Zigarettenschmuggel seien verbreitet.

Mehr als nur Mafia

Dabei ist ok weit mehr als nur italienische, osteuropäische und russische Mafia. Laut Paragraf 278a des österreichischen Strafgesetzbuches ist eine kriminelle Organisation eine "auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen, die auf die wiederkehrenden und geplanten Begehung schwer wiegender strafbarer Handlungen" gerichtet ist und dadurch "eine Bereicherung in großem Umfang oder erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft anstrebt". Wer eine solche Organisation gründet oder ihr beitritt, muss mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen.

In der ok-Forschung, die es seit Ende der 1960er Jahre gibt, ist die Definition nicht ganz so einfach. Klaus von Lampe von der Freien Universität Berlin arbeitet derzeit an einem eu-Forschungsprojekt über ok und ist damit nach eigenem Bekunden einer von nur rund hundert Menschen, die sich weltweit wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigen. "Der Begriff ist mehr als 80 Jahre alt. Er wurde 1919 in Chicago geprägt, wo erstmals von organized crime die Rede war", erzählt er. Aber noch immer sei der Begriff wissenschaftlich nicht zufriedenstellend definiert. Denn je nach Ausgangspunkt verstünde jeder etwas anderes darunter. Ausgehend von der Handlung bestehe etwa die Ansicht, diese müsse planmäßig gesetzt werden und nicht impulsiv. Für andere liegt ok vor, wenn die Tat nicht von einem Einzelnen, sondern von einem Netzwerk, einer Gruppen oder Organisation gesetzt werde. Und wieder andere sehen die Unterscheidung zwischen "gewöhnlicher" und organisierter Kriminalität darin, ob die Täter in der Unterwelt eine gewisse Macht haben oder nicht.

Wie auch immer nun die jeweilige Definition aussieht, immer habe man es jedenfalls mit Netzwerken kriminell nutzbarer Kontakte zu tun, die die illegalen Machenschaften ermöglichen, erklärt von Lampe. Und diese Netzwerke erfüllten jeweils völlig unterschiedliche Funktionen. Nicht immer müsse es um ökonomische Aspekte wie beim Glücksspiel oder Drogenhandel gehen. Ebenso könnten sie auch eine soziale Funktion erfüllen, wie die chinesischen Triaden oder die Cosa Nostra in den usa, die lange Zeit darauf ausgerichtet waren, die illegalen Aktivitäten ihrer Mitglieder zu fördern. Die Cosa Nostra beispielsweise hatte zusätzlich auch eine quasi-staatliche Funktion: Der "Pate", also das Oberhaupt des "Familie", übernimmt innerhalb dieses Clans Aufgaben wie Zivil- und Strafgerichtsbarkeit

Lose Netzwerke

In Westeuropa häufiger als diese komplexen Organisationen, die mehr sind als die Summe ihrer Mitglieder, seien freilich Netzwerke ohne komplexe Struktur und Hierarchie, bei denen nur für einzelne Vorhaben sehr flexible Partnerschaften eingegangen werden wie zwischen Anbietern und Nachfragen, erläutert von Lampe. "Das ist ein Problem für die Polizei, denn je fragmentierter die Struktur, umso schwieriger ist es, Ansatzpunkte für die Ermittlungen zu finden." Und darum gebe es die ok-Forschung, betont er. "Um Regelmäßigkeiten aufzuzeigen, die als Entscheidungsgrundlage für die strategische Ausrichtung der Bekämpfung von organisierter Kriminalität dienen können."

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