6701060-1963_29_17.jpg
Digital In Arbeit

Vorarlberger „Spezialitäten“

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn man die Voranschläge der Bundesländer vom Jahre 1963 miteinander vergleicht, wird man errechnen können, daß der Personalaufwand pro Einwohnerkopf in Vorarlberg 222 Schilling beträgt, während er bei den anderen Bundesländern zwischen 298 und 485 Schilling schwankt. Das hat mehrere Gründe. Fürs erste werden in Vorarlberg nur ungefähr ein Drittel der Bediensteten pragmatisiert. Dadurch, daß zwei Drittel Vertragsbedienstete sind, bleiben vor allem die Pensionslasten wesentlich geringer.

Fürs zweite ist manche öffentliche Tätigkeit außer Haus verlegt. Wir haben keine eigene Landeskassa. Der ganze Zahlungsverkehr geht durch die Hypothekenbank. Die Wohnbauförderung besorgt eine vom Land und den Gemeinden gegründete Siedlungsgesellschaft. Es gibt deshalb im Amt keine Abteilung für Wohnbauförderung. Das gleiche geschieht bei der Fremdenverkehrsförderung, wo ein Verband, auf Vereinsbasis aufgebaut, die ganze Arbeit besorgt. Fürs dritte kennen wir keine durchgehende Arbeitszeit, sondern an einer geregelten Mittagspause wird nach wie vor festgehalten, was für die Produktivität der Arbeit bestimmt vorteilhaft sein dürfte.

Auch der Vorarlberger Landtag bemüht sich, einfach und sparsam zu bleiben. So hat sich der Landtag bisher nicht entschließen können, die Fragestunde einzuführen. Der Hauptgrund hiefür war allerdings mehr der, daß man der Tendenz, daß die Parteien einander aufsässig werden, nicht Vorschub leisten wollte. Die Möglichkeit der Anfragestellung im Wege einer schriftlichen Interpellation wurde als hinreichend angesehen. Interessanterweise ist im Jahre 1963 bisher eine einzige solche Anfrage gestellt worden. Selbstbeschränkung ist also auch eine gute Tugend. In den Klubsitzungen kann man ja auch Anfragen stellen.

Auf dem Gebiete der Wohnbauförderung haben sich Land und Gemeinden auf eine gemeinsame Aktion geeinigt, und zwar in der Form, daß billige Darlehen in beschränkter Größe für das Objekt und Annuitäten- oder Mietzinszuschüsse nur subjektiv an bedürftige Familien gegeben werden, deren .Einkommen je nach Familiengröße über ein gewisses Maß mit Mietzins oder Annuitäten belastet ist. Die Erfahrung lehrt hiebei, daß die Zahl der Anspruchsberechtigten gar nicht so groß ist als ursprünglich befürchtet wurde. Im Jahre 1962 ist die Zahl der Bezuschußten im ganzen Lande erst auf 424 angewachsen, obwohl jedes Jahr über 1000 Wohnungsneubauten, die mit Darlehen gefördert werden, dazukommen.

Im Jahre 1963 wurde erstmals ein Versuch gestartet zur Förderung der Althausrenovierung, und zwar auf der Basis, daß Hausbesitzer und Mieter mindestens je ein Drittel der erforderlichen Mittel beisteuern. Ein Drittel stellt da Land als einprozentiges Darlehen unter der Voraussetzung zur Verfügung, daß die Bereitschaft zur Selbsthilfe auch unter Beweis gestellt wird. Bisher sind allerdings erst 18 Anträge eingegangen.

Für die Aufbringung der zusätzlichen Kredite spielt der Pfandbriefmarkt eine große Rolle. Seit mehreren Jahren ist nun die Hypothekenbank für das Land Vorarlberg dazu übergegangen, nur seehsprozentige Pfandbriefe auszugeben, während im übrigen Österreich die Siebenprozent-Grenze kaum unterschritten wurde. Unsere Erfahrungen sind dabei nicht schlecht, doch muß zugegeben werden, daß dies nur dadurch möglich ist, daß die Pfandbriefe jederzeit bei der Bank wieder zu einem guten Kurs eingelöst werden können. Für die Darlehensnehmer bedeutet dieser Erfolg eine Darlehensverbilligung ui ein Prozent. Es gibt in Vorarlberg Leute und sogar Organisationen, die immer wieder behaupten, Vorarlberg sei da teuerste Bundesland Österreichs. Das ist schon lange nicht mehr wahr. Hier ein Beweis des Gegenteils.

Eine Besonderheit Voralbergs ist auch in der Errichtung einer Garantiegemeinschaft zu erblicken, die Land und Kammer der gewerblichen Wirtschaft durch Übernahme einer Nachbürgschaft für langfristige Industriekredite eingegangen sind. Bisher wurden auf diesem Wege der Vorarlbetger Industrie 130 Millionen Schilling solcher Kredite für Rationalisierungszwe'cke verschafft, ohne daß eine direkte Belastung der Landesfinanzen eingetreten wäre.

Die starke industrielle Entwicklung ist allerdings auch nicht ohne Auswirkung für die Landwirtschaft geblieben. Alljährlich- geht die Zahl der viehhaltenden Betriebe um-200 bis 300 zurück, und zwar nicht in den Berggemeinden, sondein fast ausschließlich in den Industriegemeinden. Nach der letzten Volkszählung -steht der bäuerliche Bevölkerungsanteil noch bei 9,4 Prozent. Um zu verhindern, daß entlegener Grundbesitz oder Alpen nicht mehr bewirtschaftet werden, wurde eine zweifache Initiative ergriffen.

Einerseits werden im Wege über einen bäuerlichen Siedlungsfonds auf arrondierte Gründe alljährlich sechs bis acht neue bäuerliche Siedlungshöfe gebaut; sie übernehmen auch Pachtgründe, die sonst keinen Pächter mehr finden.

Anderseits erhalten die Alpen (in anderen Ländern nennt man sie Almen) einen Zuschuß in der Höhe der für das Alppersonal zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge. Bei den Alpen erscheint im Zeitalter der Integration eine solche Notstandsmaßnahme vor allem deshalb gerechtfertigt, weil fühlbare Rationalisierungsmaßnahmen dort fast nicht möglich sind.

Der Mensch lebt aber nicht vom Brot allein. Darum hat auch das Land ein Interesse daran, daß nicht bloß Wohnungen und Schulen, sondern auch Kirchen gebaut werden. Alljährlich werden deshalb vom Land 700.000 Schilling für diesen Zweck ausgeworfen, und auch die Gemeinden erbringen hiezu öffentliche Mittel, die nicht geringer sind. Diese Einstellung hat sich bisher schon reichlich bezahlt gemacht.

Noch etwas werden wir bestimmt nie zu bereuen haben. Zum vierten Male gibt das Land heuer einen Beitrag zur Entwicklungshilfe in die Entwicklungsländer, vorwiegend nach Tanga-nyika. 1963 wurde der Betrag auf eine Million Schilling erhöht. Das Bewußtsein, in solchen Gebieten beim Bau eines Lehrerseminars, einer Mädchenmittelschule, einer Krankenpflegeschule, eines Spitalbaues u. dgl. im Wege über die Missionen entscheidend mitgeholfen zu haben, gibt mehr Freude als viele Aktionen im eigenen Lande. Wenn Papst Johannes XXIII. gesagt hat, diese Hilfe sei das Problem der Gegenwart, dann müssen wir uns auch in den öffentlichen Körperschaften angesprochen fühlen. Wohltun trägt auch hier Zinsen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung