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Vorrang fur die Nahversorgung

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DIEFURCHE: Welche Rolle können Gemeinden im Umweltbereich spielen3 Professoer Heinrich Wohlmeyer: Wenn die Welt Zukunft haben soll, dann müssen wir uns an der Sonne als Energieträger orientieren, müssen Materialkreisläufe schließen, Energie und Material sparen, müssen natürliche Synergismen optimal ausnützen. Ein Beispiel: Bei der Entwicklung eines kommunalen Energiekonzeptes werde ich bei Vorhandensein von Bächen mit ausreichendem Gefälle diese nutzen. Gibt es weiters Wälder, die zu durchforsten sind, so werde ich das anfallende Holz für Hackschnitzelheizungen verwenden, aber auch durch Kraft-Wärme-Kupplung Strom erzeugen. Es geht also um wechselseitige Unterstützung. Das gilt auch für den Anbau von Pflanzen, deren Folge oder kleinräumige Anordnung zu gegenseitiger Förderung beitragen.

DIEFURCHE: Örtliche Besonderheiten sind also optimal zu nutzen ... WOHLMEYER: Ja. Und zwar nachhaltig, sodaß die Nutzung beliebig lang fortsetzbar wäre. Damit erhalten wir auch unsere Kulturlandschaft. Sie vermittelt das Gefühl der Geborgenheit und ist das Ergebnis einer Bedarfsdeckung mit dem Ziel, eine höchstmögliche Ernte aus der Sonnenenergie zu erzielen - und zwar im Nahbereich. Je nach den örtlichen Gegebenheiten wurden Acker und, wo dies nicht ging, Wiesen, Weiden angelegt. Wo auch das nicht möglich war, ließ man den Wald. So entstand eine Kulturlandschaft, in der all diese Formen ineinandergreifen.

DIEFURCHE: Sind die Gemeinden herausgefordert, all das zu pflegen3 WoHLMEYER: Wenn wir ökologisch zukunftsträchtig wirtschaften, die Kulturlandschaft erhalten und Arbeitsplätze wollen, wird es eine Kardinalaufgabe der Gemeinden sein, die Bedarfsdeckung wieder stärker örtlich zu besorgen - vor allem bei Energie, Rohstoffen und Nahrangsmitteln. Ein Beispiel: die Gemeinde Kautzen. Sie hat eine Biomasseheizung, ein Solartrock -nungssystem und eine mit Bapsöl betriebene Anlage mit Kraft-Wärme-Kupplung eingerichtet. Man hatte ja die Energiequellen vor der Haustür. Wieso sollte man das eigene Geld wegtragen, um diese I^eistungen von ferne zuzukaufen?

DIEFURCHE: Ähnliches trifft für Nahrungsmittel zu ...

WoHLMEYER: Ja. Bevor man Gemüse über tausende Kilometer transportiert, kann man es mit einer Einfach-Glas-haus-Technologie im örtlichen Bereich erzeugen. So streckt man die Gemüsesaison. Auch ließen sich einfache Konservierungstechniken entwickeln: Wieso können wir nicht mit moderner Technik Karotten einlagern und den Bedarf ganzjährig decken? Oder: Heute ist das Vollkornmehl „in”. Bäcker könnten eine einfache Mühlenapparatur organisieren, die den Konsumenten mit frischgemahlenen Vollkornmehl (das nicht sehr haltbar ist) versorgt. Die Konsumenten wollen ja frische Nahrungsmittel, etwa Milch ...

DIEFURCHE: Gibt es auch da Initiativen auf Gemeindeebene? WOHLMEYER: Seitdem man Milch über hunderte Kilometer karrt, kommt es regelmäßig vor, daß die Schulmilch schlecht wird. In Wilhelmsburg schloßen sich daher fünf Bauern mit Hilfe der Gemeinde zu einer offenen Gemeinschaft zusammen, um eine Kleinstmolkerei zu betreiben. Jetzt liefern sie Schulmilch, Fruchtyogurth und ein Molkegetränk - bis nach St. Pölten.

DIEFl rche: Sind solche Initiativen materiell sehr aufwendig? WOHLMEYER: Eigentlich nicht. Die Investitionen sind jedenfalls nicht so hoch wie bei den Großanlagen und würden sich in größeren Serien noch verbilligen. Eine Umfrage in Niederösterreich ergab daß die Konsumenten eine frische, naturnah und aus einer gesunden Landschaft erzeugte Nahrang wünschen. Nahversorgungssysteme bieten das. Sie sparen aufwendige Verpackung und Transportkosten. dieFurche: Setzt so ein System nicht Kooperation auf örtlicher Ebene voraus?

WOHLMEYER: Man wird eine neue Solidarität für unsere Lebensqualität entwickeln müssen. Vertrauen muß aufgebaut werden. In Wilhelmsburg zahlt man den Bauern für ihre Produkte einen fairen Preis - jenen, der vor dem EU-Beitritt galt. Mit ihm können die Bauern überleben. Sie legen als Gegenleistung ihre Kalkulation offen.

DIEFURCHE: Wieso waren die Verbraucher bereit, mehr zu zahlen3 WOHLMEYER: Da war die schlecht Qualität der vorher angelieferten Milch.

Außerdem konnte begreiflich- gemacht werden, daß diese Milchprodukte zu kaufen, die örtlichen Bauern am Leben erhalten könne.

DIEFURCHE: Gibt es andere Beispiele? Wohlmeyer: Ja, etwa das Kurhaus Harbach im Waldviertel. Es entdeckte, daß die Kulturlandschaft der Umgebung ein wesentlicher Anziehungspunkt für seine Gäste war. Da die Bauern am Zusperren waren, wurde die Idee geboren, ihre Bioprodukte zu,ei-nem 20 Prozent über dem Marktwert liegenden Preis zu kaufen, wenn außerdem die Höfe für die Kurgäste zugänglich gemacht würden. Dort entstand auch eine Kleinstmolkerei.

DIEFURCHE: Gibt es Länder, die solche Kleinstrukturenfördern3 wohlmeyer: Indirekt die Schweiz, weil sie selbst kleinstrakturiert ist. Wir in Osterreich sind allerdings der gegenläufigen Dynamik ausgesetzt. Die Lebensmittelketten fördern diesen Trend, weil sie so unabhängig von lokalen Lieferanten werden ...

DIEFURCHE: Die Ketten werben aber mit Bio und Osterreich ... Man hat erkannt, daß das eine Welle ist. Schaut man aber die Werbung genau an, dann schleppen fünf Prozent Bioware den Best des Angebotes. Das ist eine Vernebelungsstrategie.

DIEFURCHE: Wie können Gemeinden eine Trendwendefördern? wohlmeyer: Es bedarf der Bewußtseinsbildung und finanzieller Mittel. So wie die Gemeinden in Verkehrsund Entsorgungsinfrastruktur Geld stecken, so sollten sie auch in die ökologische und Nahversorgungs-Infra-straktur investieren. Man darf nicht nur auf den guten Willen des Konsumenten setzen.

DIEFURCHE: Fehlen nicht Geschäfte und Betriebe, die örtlich mitwirken könnten3 WoHLMEYER: Da gibt es eine interessante Entwicklung. Die Leute schätzen den lokalen Bäcker und Fleischer. Täten sich nun die Bauern mit diesen und den Gasthäusern zusammen, um sich wechselseitig zu stützen, so werden sie es mit hoher Wahrscheinlichkeit schaffen. Warum sollte nicht wieder ein lokaler Bäcker, ein lokaler Handel entstehen? Gemeinden könnten das fördern. Unternehmensansiedlungen werden ja im großen auch gefördert -und zwar im großen Stil.

DIEFURCHE: Wäre eine Änderung des Finanzausgleichs nicht eine wichtige Begleitmaßnahme? WOHLMEYER: Der Deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen stellte in einem Gutachten fest, man müsse den ökologischen Finanzausgleich thematisieren. Die Leistungen der Ballungszentren (Bildung, Kultur ...) werden massiv gefördert. Die Leistung jener Bäume, die gesunde Umwelt bereitstellen, nimmt man als selbstverständlich hin. Das muß sich ändern. Den kleinen Einheiten ist ein größerer Anteil an den Steuern einzuräumen.

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