Vorurteile im Welthandel

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Heidemarie Rest-Hinterseer war bei der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Hong Kong vom 13. bis 18. Dezember. Eine Rückschau.

Nach den gescheiterten Ministerkonferenzen der Welthandelsorganisation (wto) von Seattle 1999 und Cancun 2003 waren die Erwartungen an die sechste Konferenz in Hong Kong hoch. "Verwegen und mutig" müssten die Verhandler sein, forderte der Generaldirektor der wto, Pascal Lamy, in seiner Eröffnungsrede. Das klang ein bisschen nach Autosuggestion, zumal Lamy bereits im Vorfeld Anforderungen und Hoffnungen Schritt für Schritt herunterzuschrauben begonnen hatte.

Baumwolle und Irrtümer

Damit die Konferenz den klingenden Namen "Entwicklungsrunde" auch wirklich verdient, war das erste große Plenum den Themen Baumwolle und Bananen gewidmet. Der niedrige Weltmarktpreis für Baumwolle, verursacht durch das Preisdumping der us-amerikanischen Regierung, betrifft 29 afrikanische Länder. Und bedeutet für diese einen Verlust von 450 Millionen us-Dollar. Unisono kündigten zehn west- und zentralafrikanische Minister und Ministerinnen an, in Hong Kong nicht dieselbe Enttäuschung wie in Cancún hinnehmen und mit leeren Händen nach Hause zurückkehren zu wollen. Der Point of no return sei erreicht, die Glaubwürdigkeit der hier versammelten Gemeinschaft werde messbar. Die Reaktion des us-amerikanischen Handelsdelegierten Rob Portman fiel dementsprechend nervös aus. Nach einigen Worthülsen schlug Portman den versammelten afrikanischen Ministern vor, den Baumwollanbau einfach effizienter zu betreiben. Dafür wolle man auch Marktzugang gewähren. Blankes Entsetzen bei den betroffenen Ministern: Nicht der Marktzugang ist das Problem, sondern der durch massive us-Staatsintervention künstlich niedrig gehaltene Baumwollpreis! Offenbar gibt es also einige Vorurteile, die die Verhandlungen begleiteten.

Vorurteil Nr.1: Der Agrarhandel ist internationalisiert.

Tatsache ist: Nahezu alle Staaten legen Wert auf Selbstversorgung mit landwirtschaftlichen Produkten. Grundnahrungsmittel werden aus gutem Grund vorrangig für den regionalen Markt erzeugt. Internationaler Handel spielt auch heute nur für spezielle landwirtschaftliche Produkte eine Rolle. Baumwolle gehört zu diesen Produkten. Afrikanische Baumwoll-Produzenten wollen keine Entwicklungshilfe, sondern faire Preise für hochwertige Produkte. Genau diesen Anspruch stellten sie an die wto.

Vorurteil Nr. 2: Produkte aus Entwicklungsländern sind deshalb so billig, weil in den betreffenden Staaten Mensch und Natur ausgebeutet werden.

Tatsache ist, dass man ein Land nicht mit einem anderen gleichsetzen kann. Kann denn etwa Brasilien (nach eu und usa der drittgrößte Agrarexporteur) mit einem Land wie Burkina Faso verglichen werden? Während das eine Land industrialisiert ist und eine verarmte Landbevölkerung ohne Zugang zu Land aufweist, leben die Menschen des anderen Landes noch immer zum größten Teil von Subsistenzwirtschaft. Ein drittes Entwicklungsland wie Bangladesh tritt in der Textilindustrie zunehmend in Konkurrenz zum Nachbarland, dem Handelsriesen Indien. Eine differenzierte Behandlung der verschiedenen Länder mit ihren jeweils besonderen Bedingungen ist dringend angesagt.

Dieser neue Zugang zur Suche nach Lösungen hat sich in den Gängen des Conventioncenters in Hong Kong angekündigt: Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Bedingungen, unter denen Menschen Handel betreiben. Dazu gehören der Entwicklungsstand der jeweiligen Volkswirtschaften genauso wie soziale Standards oder Umweltkriterien.

Gefahr für Bauern

Vorurteil Nr. 3: In der wto blockieren landwirtschaftliche Fragen seit Jahren das Fortschreiten der Liberalisierung.

Tatsache ist, dass der Agrarhandel seit Abschluss der Uruguay-Runde 1994 und Entwicklung der Welthandelsorganisation aus dem gatt (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) Bestandteil des wto-Regimes ist. Genau seit dieser Zeit fordern auch die agraroppositionelle Gruppen wie die weltweit agierende bäuerliche Bewegung La Via Campesina, dass die "Agrikultur" aus dem Handelsregime der wto herausgehalten werden muss. Die bestehenden Regeln und Liberalisierungsziele der wto gefährden gerade kleinstrukturierte Landwirtschaften, im Norden wie im Süden. Die zunehmende Patentierung von Saatgut durch transnationale Konzerne setzt bäuerliche Familienbetriebe zusätzlich unter Druck. Die Realität der Verlierer der zunehmenden Liberalisierung ähnelt sich.

Beispiel Brasilien: Eine Million brasilianischer Kleinbauern hat in den letzten zehn Jahren aufgegeben. Diese Menschen versuchen ihr Glück in den Slums der großen Städte. Die Lebensumstände der Armen gleichen sich frappant: Ob in Westafrika oder in China mit Regierungschef Hu Jintao, ob mit Manmohan Singh in Indien, oder Lula da Silva in Brasilien: Auch linke oder "kommunistische" Regierungschefs lassen es auf soziale Ungerechtigkeit, nach außen wie nach innen, ankommen, um die eigenen Produkte auf dem Weltmarkt zu positionieren. Hier zeigt sich das Dilemma des freien Handels.

Wenig Macht für Parlamente

Österreichs Wirtschaftsminister Martin Minister Bartenstein (övp) stellte am Ende der Konferenz mit einiger Bitterkeit fest: "Die reichsten Länder der Welt haben es nicht geschafft, ihre Märkte vorbehaltlos für die ärmsten Länder der Welt zu öffnen." Die Rolle der Parlamente, der Einfluss der Politik scheint in dem Ausmaß zu schwinden, in dem Interessensgruppen Definitionsmacht und Einfluss gewinnen.

Von vielen Parlamentariern war die Klage zu hören, dass sie ohnehin nur noch Gesetze durchwinkten, die andernorts beschlossen würden: Die wto gilt als in sich geschlossenes Gefäß, das sich der parlamentarischen Kontrolle entzieht. Deshalb klinkten sich Parlamentarier zuerst in Doha und dann bereits verstärkt in Cancún und nun in Hong Kong in die Ministerkonferenz ein. Organisiert über die Interparlamentarische Union (ipu) und das eu-Parlament wurden seither jeweils Deklarationen verabschiedet, die Transparenz in der Entscheidungsfindung und die bessere Einbindung der Parlamente forderten.

Als Pendlerin zwischen der Welt der Verhandler, der Abgeordneten und der Zivilgesellschaft kommt es mir so vor, als hätte ich es mit zumindest zwei unterschiedlichen Organisationen zu tun. Wer die Gewinner und wer die Verlierer in diesem Handelskarussell, das sich immer schneller dreht, wirklich sind, sollte aber nach elfjährigem Bestand der wto endlich evaluiert werden.

Die Autorin ist Nationalratsabgeordnete der Grünen.

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