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Wachstum — nur aus reiner Gier?

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Über höhere Energiesteuern sind sie sich einig, Hans Christoph Binswanger und Ernst Ulrich von Weizsäcker, aber wie der notwendige Kurswechsel zustande kommen soll, darüber noch nicht...

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Über höhere Energiesteuern sind sie sich einig, Hans Christoph Binswanger und Ernst Ulrich von Weizsäcker, aber wie der notwendige Kurswechsel zustande kommen soll, darüber noch nicht...

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Die überzeugendsten, fundiertesten Kritiker des wirtschaftlichen Wachstumskurses, der zur Zeit die Wirtschaftspolitik aller Staaten bestimmt, heißen Hans Christoph Binswanger und Ernst Ulrich von Weizsäcker. Der Wirtschaftswissenschaftler Binswanger und der Physiker Weizsäcker stehen, zumin: dest im deutschen Sprachraum, ziemlich allein auf weiter Flur. Sowohl Binswanger in St. Gallen als auch Weizsäcker in Wuppertal rufen seit langem zu einem umweltbewußteren Wirtschaften auf. Sie stehen unter anderem für das Konzept, den Energieverbrauch zu besteuern und auf diese Weise ökologische Effekte zu erzielen.

Binswanger und seine Mitarbeiter schlugen bereits in den frühen achtziger Jahren vor, die Beiträge der Arbeitgeber zur staatlichen Rentenversicherung zu senken und dafür eine Energiesteuer mit gleich hohem Aufkommen einzuheben. Von Weizsäcker, einem engagierten Refürwor-ter dieses Projekts, kam der Vorschlag, die Energiepreise „in kleinen, jahrzehntelang vorhersehbaren Schritten” um jährlich fünf Prozent anzuheben und die Beiträge zur Sozialversicherung im gleichen Ausmaß zu verringern.

Verdrängter Konflikt

Daß zwischen den beiden Denkschulen viel tiefer gehende Auffassungsunterschiede existieren, war selbst vielen überzeugten Anhängern der einen oder anderen Seite nicht klar oder wurde einfach verdrängt. Die wichtigste Differenz betrifft den Problemkreis Wachstum und Wachstumszwang. Binswanger selbst sowie seine Mitarbeiter an der Universität St. Gallen meinen: In den freien Marktwirtschaften ist ein systembedingter

Wachstumszwang nachweisbar. Weizsäcker und dessen Mitarbeiter am Wuppertal Institut sind von einem solchen innerökonomischen Wachstumszwang ganz und gar nicht überzeugt. Jedenfalls noch nicht.

Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie hat den Wandel von der verbrauchsintensiven zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise auf seine Fahnen geschrieben und entwickelte eine Beihe interessanter Konzepte für den Zivilisationswandel, von leichteren und langsameren Autos bis zu Plänen für Energiesparhäuser. Bislang sieht man in Wuppertal kaum ökonomisch-theoretische Hindernisse, die sich einem solchen Paradigmenwechsel entgegenstellen könnten. Viele Mitarbeiter Weizsäckers neigen noch zu der nach wie vor weit verbreiteten Ansicht, das Wachstum sei vor allem auf den menschlichen, allzumenschlichen Wunsch nach einem besseren lieben, auf das Streben nach Gütern und auf das Gewinnstreben zurückzuführen. Der systembedingte Wachstumszwang wird in Wuppertal hingegen unterschätzt und als Faktor, welcher der Reduktion der Stoffströme entgegenstehen könnte, etwas vernachlässigt, ;j

Die Reziehung zwischen den beiden Denkschulen und ihren Protagonisten war offenbar bisher distanzierter, als man annehmen durfte. Vor kurzem hat endlich der direkte Gedankenaustausch begonnen: Die St. Gallener trafen sich mit einigen engen Mitarbeitern Weizsäckers im Salzburger Bildungshaus St. Virgil im Rahmen eines zweiten Salzburger „ Binswanger-Privatissimums”, um eineinhalb Tage lang gemeinsam mit einem Fachpublikum beider Positionen zu klären. Das Thema hieß: „Ist der Kapitalismus zukunftsfähig? Zwischen Wachstumszwang und Nachhaltigkeit”. Die Initiative dazu war, wie schon zum ersten Salzburger „Binswanger-Privatissimum”, von Ernst Dorfner vom Umweltdachverband ÖGNU und vom Österreichischen Naturschutzbund ausgegangen. Dorfner will seine Veranstaltungen als Absage an eine Welt verstanden wissen, „die nur noch über Geld organisiert ist und alle anderen Formen vernichtet”, wobei er den Kapitalismus „nicht als geschlossenes System, sondern als Nebeneinander verschiedener kapitalistisch organisierter Ökonomien” sieht.

Man darf darauf gespannt sein, wie sich das Salzburger Gespräch auf die weitere Entwicklung beider Gruppen auswirkt. Die Frage, ob ein innerökonomischer Wachstumszwang existiert, ist von größter Bedeutung für die Auswahl der richtigen Strategien zur Erreichung ökologischer Ziele. Und um ökologische Ziele drehte sich in Salzburg alles.

Verfrühte Hoffnung

Die Feststellung der Teilnehmer aus Wuppertal, daß die Industriestaaten ihre Stoffströme in allen Kategorien mindestens auf ein Fünftel, wenn nicht um einen Faktor Zehn senken müssen, und dies in einem überschaubaren Zeitrahmen, hat nichts von ihrer Richtigkeit und Aktualität verloren. Anders läßt sich, so der Weizsäcker-Mitarbeiter Mathias Hinterberger in seinem Referat, das in der Dritten Welt notwendige Wachstum ohne Umweltkollaps nicht bewerkstelligen. Ganz zu schweigen vom zusätzlichen Bedarf an Lebensnotwendigem durch die in den nächsten Jahrzehnten unvermeidbare Bevölkerungszunahme. Mit der ökonomischen Seite des Problems hatten sich die Wuppertaler aber bisher offensichtlich nicht so intensiv auseinandergesetzt. Ist im System Weltwirtschaft ein derartiger Rückgang der Stoffströme möglich, ohne auch auf ein weiteres monetäres Wachstum zu verzichten? Wolfgang Sachs vom Wuppertal Institut: „Ich wage es nicht zu entscheiden.”

Binswanger trat verfrühten Hoffnungen, die ersehnte Entkoppelung der Bruttosozialprodukte von den Stoffströmen in nächster Zukunft registrieren zu können, entgegen: Weltweit deute nichts darauf hin. Die derzeit vier bis viereinhalb Prozent globales jährliches BSP-Wachstum werden auf Kosten eines um jährlich drei Prozent steigenden Energieverbrauches erzielt.

Die Klassiker, so ein Schlüsselsatz Binswangers, hätten in ihrer Zeit bereits vieles gesehen, was die Neoklas-siker nicht erfassen. Das neoklassische Modell (an dem sich die neoliberale Wirtschaftspolitik orientiert) tauge als Realtauschmodell überhaupt nicht zur Ableitung eines Wachstumszwanges. Es sei ein reines Kreislaufmodell und liefere daher keine Begründungen für Veränderungen -somit auch keine für den Wachstumszwang. Genau daher rühre das neoklassische Gleichgewichtsdenken. In einem Kreislaufmodell sei ein positiver Gewinnsaldo aller Unternehmen nicht unterzubringen: Geld muß zuströmen. Woraus zumindest auf einen monetären Wachstumszwang geschlossen werden kann.

Noch genießt das Problem des Wachstumszwanges in den Konzepten des Wuppertal Institutes nicht den Stellenwert, der ihm eigentlich zukäme. Dessen bereits weit entwickelte technologische und organisatorische Ansätze zur Lösung der Weltprobleme scheinen daher dringend einer theoretischen Untermauerung und auch mancher Modifikation durch die ökonomische Theorie zu bedürfen. Die dafür notwendigen theoretischen Werkzeuge fehlen in Wuppertal derzeit offenbar noch. Diese Werkzeuge sind in St. Gallen zwar vorhanden, dies bedeutet allerdings nicht, daß ihre Anwendung dort schon so weit gediehen ist, daß sich die Konturen eines Konzepts zur Behebung oder wenigstens Entschärfung des Zwanges zum unablässigen Wirtschaftswachstum abzeichnen. Zumal ja derzeit, wenn es um ökologische Ziele geht, alles ausscheidet, was sich negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken könnte.

In Salzburg wurde auch deutlich, wie weit die ökologischen Denker von einer integralen Sicht der ökologischen und der ökonomischen Probleme, vor allem des Problems der Arbeitslosigkeit, entfernt sind. Die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus wurde fast ausschließlich als Problem der Umwelt und der Ressourcen behandelt. Der Zusammenhang zwischen Energieverbrauch, Wirtschaftswachstum, Rationalisierung und Vernichtung von Arbeitsplätzen spielte so gut wie keine Rolle. Dadurch wirkten die Gespräche etwas abgehoben von der rauhen Wirklichkeit, in welcher der Begriff Umwelt die zentrale Stellung, die er in den achtziger Jahren einnahm, längst an das Begriffspaar Arbeit und Arbeitslosigkeit abgeben mußte.

Fortschritt statt Arbeit

Zu Zeiten eines John Maynard Keynes bedeutete Investieren noch mehr oder weniger automatisch, Arbeitsplätze zu schaffen, weshalb Investitionsförderung stets auch Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bedeutete. Seither ließ aber die technische Entwicklung die Zahl der mit ei -nem gegebenen Investitionsvolumen geschaffenen Arbeitsplätze immer weiter schrumpfen. Dadurch, und nicht etwa, weil der Denkansatz falsch war, sank die Effizienz des Key-nesianischen Instrumentariums bis sich das Verhältnis zwischen Investitionsvolumen und neuen Arbeitsplätzen in immer größeren Bereichen umkehrte. Heute ist die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch den technischen Fortschritt längst größer als die Schaffung von Arbeitsplätzen durch neue Produktionen. Dadurch wurde das Phänomen des „jobless growth”, also wachsender Produktion bei wachsender Arbeitslosigkeit, möglich.

Dies bedeutet, daß der „Fortschritt” nicht nur die Umweltprobleme, sondern auch die Arbeitslosigkeit sowie die staatlichen Budgetprobleme immer weiter verschärft. Synergieeffekte zwischen Binswanger und Weizsäcker sind daher dringend gefragt: Die beiden sind derzeit die be deutendsten Kritiker einer Politik, die genau diese Art von „Fortschritt” fördert und vorantreibt. Ein stärkerer, häufigerer Gedankenaustausch könnte dazu beitragen, das Umdenken zu beschleunigen - vor allem, wenn sie die Arbeitslosigkeit stärker in ihre Problemsicht integrieren.

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