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WANDEL in der Wirtschaftspolitik

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Ein Beitritt zur Europäischen Union (EU) wird in manchen Bereichen der österreichischen Wirtschaftspolitik Reformen notwendig machen.

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Ein Beitritt zur Europäischen Union (EU) wird in manchen Bereichen der österreichischen Wirtschaftspolitik Reformen notwendig machen.

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Gegenüber früheren Phasen der wirtschaftlichen Integration — Efta, Freihandelsabkommen mit der EG, EWR - sind von der Mitgliedschaft bei der EU vor allem dynamische Effekte zu erwarten. Diese werden aus dem größeren Markt und aus verstärktem Wettbewerb mit seinen positiven Folgen für Kosten, Produktivität, Investitionen und Beschäftigung entstehen. Die Anpassungsvorgänge werden zwar volkswirtschaftliche Kosten verursachen, aber auch Gewinne ergeben. Zu diesen Schlußfolgerungen kommen Wissenschaftler in einem neuen Buch über die österreichische Wirtschaftspolitik.*)

So wie die Hartwährungspolitik zu höherer Produktivität zwang und weiterhin zwingt, so kann die Teilnahme am europäischen Binnenmarkt als eine Art aufmunternde „Strukturpeitsche” gesehen werden. Mit ziemlicher Sicherheit ist anzunehmen, daß im Falle der NichtTeilnahme am Binnenmarkt die österreichischen wirtschaftspolitischen Ziele von Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Preisstabilität schlechter erfüllt werden können als im Falle der Teilnahme.

Weil Osterreich zu den wenigen Ländern gehört, die schon jetzt die sogenannten „ Konvergenzkriterien” (bezüglich Budgetdefizit, Inflationsrate und so weiter) erfüllen, wird es entsprechend zur Finanzierung des EU-Haushaltes herangezogen, doch ist aufgrund der vereinbarten Rückflüsse (für die Landwirtschaft, die Regionalförderung, die Forschung) damit zu rechnen, daß die langfristige Nettobelastung nur etwa 0,8 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes (BIP) ausmachen wird. Das ist also erheblich weniger als der vom Institut für Wirtschaftsforschung geschätzte Wachstumsschub von 2,8 Prozent. Die Autoren des Buches fügen hinzu, daß der Netto-Finanz-transfer in die EU allein schon durch Verwaltungseinsparungen beim Abbau der Handelsschranken teilweise ausgeglichen werde.

Das österreichische Förderungswesen ist freilich, wie auch betont wird, reformbedürftig, damit es der Beihilfenaufsicht der EU genügen kann. Besonders wichtig wird für uns die volle Teilnahme an Forschungsprojekten sein, denn die Mitgliedschaft wird auch die bisher noch nicht mögliche Mitgestaltung der Inhalte von Forschungsprogrammen erlauben.

Bisher zielte die österreichische Wirtschaftspolitik immer wieder darauf ab, den Strukturwandel in den geschützten Sektoren zu hemmen, um ihn sozial leichter erträglich zu machen. Langfristig kann diese Art der Politik jedoch, so meinen an der Wirtschaftsuniversität Wien tätige Mitarbeiter des Buches, noch höhere Kosten verursachen, je stärker Marktprozesse (wie etwa in der Landwirtschaft) verzögert werden.

Druck aus Osteuropa

Eine rasche Anpassung der österreichischen Produktionsstrukturen ist jedoch nicht nur wegen der EU, sondern zumindest in gleichem Maße wegen der Ostöffnung erforderlich. Die Löhne in Osteuropa werden noch längere Zeit sehr niedrig sein; eine Konkurrenz über die Höhe der Löhne ist also sinnlos. Gefordert ist vielmehr eine Industrie-und Technologiepolitik, die Arbeitsplätze mit höherer Wertschöpfung bringt. Allerdings können manche Sparten ernste Probleme bekommen. In Summe könne man, wegen der zusätzlichen Exportchancen, auch aus der Ostöffnung sogar mit einem Gewinn von 15.000 Arbeitsplätzen rechnen.

Die Sozialpartnerschaft wird als Einrichtung, die gesellschaftliche

Konflikte weithin vermeiden half, auch im Ausland anerkannt. Eine funktionierende Wirtschafts- und Sozialpartnerschaft wird in dem Buch als „institutioneller Standortvorteil” Österreichs bezeichnet. Doch wird es mit dem Wandel in der ökonomischen Struktur, auch mit dem wachsenden Gewicht ökologischer Forderungen zu einer Verschiebung der gesellschaftspolitischen Zielsetzungen kommen. Das muß aber zwangsläufig auch zu neuen Strukturen in der Sozialpartnerschaft führen, etwa deshalb, weil die Bedeutung von Klein- und Mittelbetrieben auf der einen Seite, von international operierenden Konzernen auf der anderen zunimmt. So kann sich notwendigerweise eine Verlagerung von Entscheidungskompetenzen, die bisher bei den Verbänden lagen, auf einzelbetriebliche Ebenen ergeben.

Geringere Sozialrechte?

Die Vermutung mancher Skeptiker, durch den EU-Beitritt werde es zu einer Schlechterstellung der Arbeitnehmer kommen können, ist mit einem Hinweis auf geringere Sozialrechte in anderen Mitgliedsländern nicht zu begründen: der Vertrag von Maastricht sieht zwar einheitliche „Mindeststandards” vor, aber jedes Land kann günstigere Bestimmungen einführen oder beibehalten (siehe Seite 2).

Der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen wird in dem Buch leider etwas nebenher behandelt. Das ist deshalb bedauerlich, weil er sich, wie früher häufiger, auf fachlicher Ebene mit langfristigen Problemen befassen und Meinungen, auch Lösungsvorschläge abgeben kann -Aufgaben, die von der Regierung und den politischen Parteien wegen deren Überlastung mit aktuellen Fragen nicht immer umfassend und gründlich behandelt werden können. Dazu gehört zum Beispiel derzeit die Verteilung der Aufgaben- und Finanzierungskompetenzen von Bund und Ländern bei der Bundesstaatsreform oder in der Spitalsfinanzierung.

„Junge Pensionisten”

Für die öffentlichen Finanzen und damit auch für die Wirtschaftspolitik sind Bereiche wie die Arbeitslosenunterstützung und die Arbeitsmarktpolitik und ganz besonders die Pensionsversicherung immer wichtiger geworden. Dennoch weichen die Verantwortlichen der Frage des Pensionsalters immer wieder aus. Das führte dazu, daß der Anteil der noch arbeitenden Männer über 60 Jahre (bei Frauen über 55) in den letzten zwanzig Jahren unaufhaltsam gesunken ' ist. „In wenigen anderen OECD-Staaten ist die Erwerbsquote in dieser Altersgruppe so niedrig wie in Österreich.” Zu Beginn der neunziger Jahre waren von den über 55jährigen bloß elf Prozent noch berufstätig! Nur Italien hatte eine noch niedrigere Erwerbsquote dieser Altersgruppe; in Deutschland lag sie zur gleichen Zeit bei 20 Prozent, in Schweden bei 40 Prozent. „Es ist nicht einzusehen, warum bei steigender Lebenserwartung der Austritt aus dem Arbeitsleben immer früher erfolgen soll.” Die Konsequenzen dieser Entwicklung für die Pensions- und die Arbeitslosenversicherung und damit für die Staatsfinanzen liegen auf der Hand.

Die „Grundzüge der Wirtschaftspolitik Österreichs” gehen mit dieser umfassenden Darstellung weit über den Rahmen eines Handbuches für Studenten oder sonstige fachlich Interessierte hinaus. Das Buch ist, soweit es die statistischen Quellen erlaubten, im Text sehr aktuell, gibt, von wenigen Passagen abgesehen, allgemein verständliche Information und ist eine Fundgrube von Fakten und Hinweisen. Neben den Autoren ist der Verlag zu loben: In letzter Zeit sind nur wenige Fachbücher erschienen, in denen, so wie hier, überhaupt keine Satz- und Druckfehler j vorkommen.

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