Was bedeutet uns Gesundheit?

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Die moderne Zivilisation ist kaum noch imstande, auf die Signale des Körpers zu horchen.

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Die moderne Zivilisation ist kaum noch imstande, auf die Signale des Körpers zu horchen.

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Gesundheit", definiert Universitätsprofessor Ernst Gehmacher, Leiter des BOAS (Büro für Organisation angewandter Sozialforschung), "ist mehr als nicht krank sein. Gesundheit heißt auch Ganzheit, Stärke, heile Seele, mit Fähigkeiten der Selbstheilung."

Der Sozialwissenschafter Gehmacher ist der Überzeugung, daß wir uns in einer Übergangsperiode befinden. Dem zugrunde liegt eine Drei-Phasen-Theorie. Jede Gesellschaft macht geschichtliche Entwicklungen durch. Oft sehen diese aus wie folgt.

In Phase eins geht es darum, die wichtigsten Grundbedürfnisse zu decken und Not und Schmerzen zu lindern. In der Phase zwei wird es, mit steigendem Wohlstand und längerem Leben, immer wichtiger, glücklich und gesund zu leben, und weniger, Leid zu vermeiden, das ja nur mehr vermindert vorhanden ist. Beruf, Partnerwahl, Freizeit, Bildung, positives Leben, Lebensqualität werden wichtiger. In der Phase drei: suchen die Menschen nach ihrem Glück. Wohin uns das führen wird? Keine Ahnung, meint Gehmacher. Wir stecken mitten drin im Prozeß zwischen Phase zwei und drei.

Heute, so meint Gehmacher, können wir sogar einen scheinbar paradoxen Satz prägen: Gesund sein kann man sogar mit einer Krankheit. Gesundheit ist, wenn man nicht den nur scheinbar weiten und tatsächlich furchtbar engen WHO-Begriff nimmt ("Freisein von Leiden..."). Gesundheit ist auch: Belastungen, die uns gefährden, rechtzeitig spüren.

Hin und wieder braucht jeder Mensch solche Signale, die von vielen als Alarmsignale gedeutet werden. Denn: "Jemand, der nie krank ist, ist nicht gesund." Solch ein Mensch müßte andere meiden (Ansteckungsgefahr) und würde an neurotischer Angst leiden.

Stattdessen sollten wir Viren und Bakterien als Bestandteile des Lebens verstehen. Gehmacher: "Unsere Gesellschaft bietet vieles an, um gesund sein zu können. Je reicher die Gesellschaft, desto mehr hat sie zu bieten. Je intelligenter sie ist, umso besser werden die Angebote sein. Unsere Gesellschaft ist reich, aber dumm. Viele vormoderne Kulturen haben darüber mehr gewußt als wir: gesundes Leben, Essen, Bewegung ..." Die moderne Zivilisation hingegen ist kaum noch imstande, auf die körpereigenen oder geistigen Alarmsignale zu horchen. Je "tauber" sie wird, desto lauter müssen die Signale werden.

Das Krankenwesen kann als solch ein Signal gesehen werden: Es ist sehr teuer, bietet aber nicht mehr sehr viel zusätzlichen Nutzen. Man nennt das "abnehmender Grenznutzen". Je mehr investiert wird, desto geringer ist der Nutzen, bis hin zur offenen Verschwendung wie in manchen Bereichen der Krankenhausmedizin.

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