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Was bleibt morgen von den Pensionen?

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dieFurche: Sind die Pensionen in Österreich gefährdet?

Gerhart Bruckmann: Die Ausgangssituation ist folgende: Heute kommt auf vier erwerbstätige Österreicher (jünger als 60) einer, der älter als 60 ist. In 30 Jahren hingegen werden es zwei sein. Und 30 Jahre vergehen rasch. Daraus ergibt sich: Wenn man zuwartet und das derzeitige Pensionssystem nicht ändert, so müssen - je später Eingriffe erfolgen - die Maßnahmen umso radikaler sein. Also muß man die Weichen äußerst rasch stellen. Genaugenommen hätte man sie längst stellen müssen.

dieFurche: Warum ist das bisher nicht geschehen?

Bruckmann: Beule Regierungsparteien haben bisher die Augen davor verschlossen. Zwar hat die ÖVP 1994 versucht, das Problem zu verbalisieren. Dann kam aber der berühmte Brief von Bundeskanzler Franz Vranitzky, er garantiere allen Österreichern ihre Pension. Die Bevölkerung hat ihm geglaubt. Aber in der derzeitigen Situation kann man nicht alles garantieren.

dieFurche: Beruhen unsere Probleme darauf, daß die aktive Bevölkerung für die Pensionisten aufkommen muß?

Brinkmann: Praktisch kein Land hat nicht zumindest teilweise ein solches Umlageverfahren. Selbst die diesbezüglich am weitesten fortgeschrittene Schweiz verfügt über ein „Drei-Säu-len-Modell": Die erste Säule ist eine Sozialversicherung (ähnlich unserer). Sie garantiert allerdings im wesentlichen nur eine Basisabsicherung. Wir würden das Volkspension nennen. Sie garantiert jedem, der gearbeitet hat, eine bestimmte Basispension.

dieFurche: Welche sind die anderen Formen der Absicherung?

Bruckmann: Als zweites: Betriebspensionen und Pensionskassen. Man zahlt lebenslänglich für eine Zusatzpension - über deren Höhe man entscheiden kann - ein. Die dritte Säule ist die individuelle Vorsorge: Wertpapiere oder Grundstücke, um sie im Älter zu verkaufen. In Österreich gibt es diese dritte Säule eigentlich schon. Schlagwort: die 60jährigen Erben, deren Eltern (sie haben sich meist etwas zurückgelegt) zwischen 80 und 90 sterben. Was aber in Österreich ganz unterentwickelt ist, das ist die zweite Säule.

dieFurche: In Zuge der Globalisierung werden sich Betriebspensionen wohl kaum durchsetzen.

Brinkmann: Diese zweite Säule ist bei uns deswegen unterentwickelt, weil die öffentliche Pensionsversicherung die (mittlerweile etwas verwässerte) Zielsetzung verfolgt, einen Ersatz für das jeweils letzte Erwerbseinkommen zu bieten: Je mehr ich als Aktiver verdient habe, umso höher soll meine Pension sein. In der Schweiz ist das System viel „kommunistischer": Jeder zahlt zwar einen Prozentsatz seines Einkommens für die Sozialversicherung, alle bekommen aber de facto etwa dieselbe Basisrente.

dieFurche: Ist Österreich zu großzügig?

Bruckmann: Es versucht jedenfalls das abzudecken, was die Schweizer auf zwei Säulen verteilen. Und das ist längerfristig, angesichts der Bevölkerungsentwicklung, einfach nicht drin.

dieFurche: Sie spielen auf die höhere Lebenserwartung an?

Bruckmann: Ein wachsender Anteil der Bevölkerung erreicht heute das biologische Höchstalter von 80 bis 85 Jahren. Das ist erfreulich. Dadurch wächst aber der Anteil der Alten an der Gesamtbevölkerung.

dieFurche: Spielen die sinkenden Geburtenraten auch eine Rolle?

Bruckmann: Plakativ gesagt: Wir wären sicher nicht besser dran, wenn wir zusätzlich in den nächsten 30 Jahren zu immer mehr Alters- und Pflegeheimen auch immer mehr Kinder gärten bauen müßten.

dieFurche: Aber die Relation Erwerbstätige zu Pensionisten wäre günstiger...

Bruckmann: Ja, aber nur, wenn wir außerordentlich viele Kinder bekämen. Das ergäbe in absehbarer Zeit dann aber 16 Millionen Österreicherwohl auch nicht der Weisheit letzter Schluß. Daher muß man das Pferd von einer anderen Seite aufzäumen ...

dieFurche: Aber derzeit sichern die Geburten ja nicht einmal die Reproduktion der Bevölkerung...

Bruckmann: Ist das schlecht?

dieFurche: Für das Pensionssystem wohl schon ...

Bruckmann: Meiner Auffassung nach nicht, weil die Erstellung des Sozialprodukts mit immer geringerem Arbeitseinsatz gelingt. Deshalb ist das Pensionssystem eng verflochten mit dem Arbeitslosigkeitsproblem. Die heutige Arbeitslosigkeit ist ein Zeichen des Wohlstandes. Aufgrund der Sättigung der Nachfrage wird es nur mehr ein Wirtschaftswachstum von ein bis zwei Prozent real geben. Weil wir aber hohe Produktivitätsfortschritte haben, gelingt es, das steigende Sozialprodukt mit sinkendem Arbeitsvolumen herzustellen.

dieFurche: Das könnte doch auch dem Pensionssystem zugutekommen Vielleicht erhalten eben in 30 Jahren zwei Aktive problemlos einen Pensionisten

Bruckmann: Der Kuchen ist so groß, daß die acht Millionen Österreicher heute davon so gut leben wie nie zuvor. Wie sich die Bevölkerung aus Alten und Jungen zusammensetzt, ist eine sekundäre Frage. Wenn es gelingt, daß immer weniger unter 60jährige diesen Kuchen herzustellen vermögen, dann ist der Kuchen ja da.

dieFurche: Dann zerbricht also der Generationenvertrag doch nicht?

Bruckmann: Von dieser Warte her nicht. Daher kann man ja annehmbare Lösungen finden, ohne Halbierung der Pensionen oder Verdoppelung der Beiträge. Es ginge darum, von jetzt ab die Weichen langfristig in Bichtung Schweizer Modell zu stellen.

dieFurche: Durch welche Maßnahmen?

Bruckmann: Die erste Säule müßte schrittweise reduziert werden. Ich betone, schrittweise. Festzuhalten ist auch, daß diese Veränderung möglich ist, ohne daß man in bestehende Pensionen eingreift. Warum? Weil es von den heute zuerkannten Pensionen in 30 Jahren kaum mehr welche geben wird. Ein gesundes System im Jahr 2030 ist daher nicht auf die Kürzung heutiger Pensionen angewiesen. Es geht jedoch darum, heute ein geeignetes System für jene aufzubauen, die in zehn oder 20 Jahren in Pension gehen.

dieFurche: Durch Erhöhung des Pensionsalters?

Bruckmann: Da wird eingewendet, man nehme den Jüngeren die Arbeitsplätze weg, was nicht ganz stimmt. Denn 1.000 Pensionisten machen im Durchschnitt Platz für nur 600 Junge. Das hängt damit zusammen, daß diese vielfach mit neuester Technik umgehen können. Oft bringt ihre Einstellung einen Technologiesprung, also Rationalisierung. Daher ist es sinnvoll, in Österreich das Pensionsantrittsalter - es ist ja weit und breit das niedrigste - hinaufzusetzen. Aber ein Allheilmittel ist das nicht. Es bedarf eines Rün-dels von Maßnahmen: Schrittweise Reduzierung der ersten Säule, des Pensionseintrittsalters und Erhöhung des Durchrechnungszeitraumes. Man sollte also nicht mehr aufgrund der 15 Jahre höchsten Einkommens die Pensionshöhe bemessen, sondern schrittweise dazu übergehen, das I .ebensein-kommen zugrundezulegen, wie es in Deutschland geschieht. Ich betone, daß diese Annäherung schrittweise zu erfolgen hat.

dieFurche: Wie hoch würde die Grundsicherung sein?

Bruckmann: Genau darüber sollten endlich ziffernmäßige Unterlagen erarbeitet werden. Bisher hat man sich vor dieser Aufgabe gedrückt. Es geht um Modellrechnungen, die erkennen lassen, wie sich einzelne Maßnahmen bei der absehbaren Entwicklung der Bevölkerungsstruktur auswirken.

dieFurche: Halten Sie die Regierung für ausreichend handlungsfähig in dieser Frage?

Bruckmann: Die Bedingungen er scheinen mir so gut wie schon lange nicht. Bei der gegenwärtigen, personellen Regierungskonstellation müßte es besser als bisher möglich sein, in Fragen der Pensionen über den eigenen Schatten zu springen und unangenehme Dinge gemeinsam auszusprechen.

Das Gespräch führte

Christof Gaspari.

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