„Was die USA tun, ist grob fahrlässig“

Werbung
Werbung
Werbung

Der liberale Ökonom Joachim Starbatty über die Mitschuld der Staaten an der Wirtschaftskrise und das riskante Spiel der USA mit der Staatsverschuldung. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Joachim Starbatty ist einer der prominentesten deutschen Ökonomen. Er lehrte an der Universität Göttingen und ist derzeit Vorsitzender des Vorstands der Aktionsgemeinschaft soziale Marktwirtschaft.

Die Furche: Seit Beginn der Wirtschaftskrise steht der Kapitalismus als System am Pranger. Allerorten wird der Ruf nach einer stärkeren Rolle des Staates laut. Sie dagegen verteidigen Ökonomen, die gegen staatlichen Einfluss auf den freien Wettbewerb auftreten und aufgetreten sind. Dagegen orten Sie eine Mitverantwortung der Staaten für die Finanz- und Wirtschaftskrise. Warum?

Joachim Starbatty: Diese Krise ist eine Art Krankheitsfall und man sollte zunächst eine genaue Analyse erstellen, ehe man den Patienten beurteilt. Als Instrument dafür kann die Konjunkturtheorie des österreichischen Ökonomen Friedrich von Hayek verwendet werden.

Die Furche: Gerade Hayek ist einer der vielgeschmähten Ökonomen.

Joachim Starbatty: Das Gegenteil sollte der Fall sein. Hayek sah zwei Gründe für Fehlentwicklungen innerhalb marktwirtschaftlicher Systeme. Erstens, dass Zentralbanken den Zinssatz auf einem zu niedrigen Niveau halten. Dadurch entwickeln sich marktwirtschaftliche Aktivitäten, die unter einem marktgerechten höheren Zinssatz nicht durchgehalten werden können – das sind die sogenannten Blasen. Der nächste Punkt: Hayek spricht von einer perversen Elastizität des Kreditangebotes. Das heißt, dass trotz steigender Nachfrage nach Krediten die Kreditzinsen nicht steigen, wie das eigentlich der Fall sein müsste. Kredite sind dadurch viel zu billig. Es entsteht eine Kreditpyramide, die irgendwann zusammenbricht. Das Wechselspiel dieser beiden Faktoren hatten wir 1929, und das hatten wir auch jetzt. Die Ursachen der Krise liegen also nicht an irgendwelchen Systemen, sondern daran, dass bestimmte Regeln in der Marktwirtschaft nicht eingehalten worden sind.

Die Furche: Der Staat, die Zentralbanken, tragen demnach eine entscheidende Mitverantwortung – vor allem bei der Entstehung der Krise in den USA.

Starbatty: Genau so ist es. Die staatliche Geldpolitik ist maßgeblich für die Kreditvergabe. Hinzu kommt, dass bewusst seitens der US-Regierung schon unter Clinton jene Bevölkerungsteile, die nicht genügend Kapital für ein Haus besaßen, die Möglichkeit bekamen, Hypotheken aufzunehmen.

Die Furche: Wie sollen sich also die Zentralbanken in Zukunft verhalten?

Starbatty: Sie sollten sich an bestimmte Regeln halten. Das Geldmengenwachstum sollte sich im Gleichschritt mit dem Produktionswachstum vollziehen. Dann würde sich auch die Entwicklung des Preisniveaus an der Geldmengenentwicklung orientieren. Wir hatten in den letzten zehn Jahren ein zu starkes Wachstum der Geldmenge gegenüber dem Produktionspotenzial. So sind die Blasen entstanden. Wenn man aber Geld knapp macht, behält es auch seinen Wert, und die Leute werfen nicht damit um sich, so wie in den vergangenen Jahren.

Die Furche: Halten Sie die von den Regierungen gewählten Strategien zur Krisenbekämpfung für zielführend, insbesondere den massiven Einsatz von Steuergeld?

Starbatty: Derzeit wird in Deutschland und Österreich mit Konjunkturpaketen gearbeitet, die hauptsächlich der Bauwirtschaft nützen, weil es sich um Infrastrukturprogramme handelt. Die Bauindustrie ist aber von der globalen Rezession nicht berührt. Leidtragend ist etwa in Deutschland der Maschinenbaubereich, in dem 40 bis 50 Prozent der Aufträge wegbrechen. Mehr Aufträge in der Bauindustrie helfen dem Maschinenbau nichts.

Die Furche: Wir investieren also am falschen Platz.

Starbatty: Wir investieren am falschen Platz. Außerdem übersehen wir, dass die Kosten für Kredite und Arbeitskräfte gleich bleiben, während Umsätze und Aufträge wegbrechen. Das kann auf Dauer nicht gutgehen, vor allem wenn auch die Banken immer restriktiver bei der Kreditvergabe werden.

Die Furche: Sollte da nicht der Staat eingreifen?

Starbatty: Der Staat könnte dafür sorgen, dass das Eigenkapital bei den Unternehmern steigt und die Löhne nicht so stark erhöht werden. Allerdings geht das, was der Staat macht, derzeit in die andere Richtung. Die Renten bleiben gleich, die Löhne im öffentlichen Dienst sind sogar um vier Prozent gestiegen. Der Staat müsste aber eigentlich die Unternehmen von den Sozialleistungen entlasten.

Die Furche: Die USA versuchen, den Konsum mit Milliarden an Staatsausgaben wiederzubeleben.

Starbatty: Was die Amerikaner tun, ist höchst fahrlässig, leider fehlt da auch die Gegenwehr der Ökonomen. Die Konjunkturprogramme, die über Verschuldung finanziert werden, könnten zu einer nächsten Blase führen. Denn das Defizit wird finanziert, indem der Staat massiv Anleihen ausgibt. Staatsanleihen sind aber so etwas wie der letzte Hort des Vertrauens. Wenn diese letzte Bastion fällt, dann wird es hochgefährlich, auch für die staatlichen Strukturen, das Sozialsystem etwa. So treibt man den Teufel mit dem Beelzebub aus. Das ist das Allergefährlichste, was man machen kann.

Die Furche: Was hätte Friedrich von Hayek dazu gesagt?

Starbatty: Das Gleiche wie ich. Er hatte darüber auch eine ähnlich gelagerte Auseinandersetzung mit Keynes in den 30er Jahren – nur war Keynes nicht so dumm, wie die heutigen Regierungen es sind.

Die Furche: In den USA wird schon über neue Konjunkturpakete nachgedacht. Auch das eine Art von Dummheit?

Starbatty: Das ist Hyperaktivität und als solche immer ein Zeichen von Schwäche. Die bisher beschlossenen Pakete hatten ja noch gar keine Zeit, ihre Wirkung zu entfalten. Bis das Geld tatsächlich angekommen ist, dauert es mindestens ein halbes Jahr.

Die Furche: Glauben Sie, dass die Krise schon voll in Europa angekommen ist?

Starbatty: Ich kann nur die Situation in Deutschland beurteilen. Da kann man sagen: Die Einschläge kommen näher. Aber sie sind noch nicht im Kern angekommen. Das wird erst jetzt und in den kommenden Monaten passieren, wenn alle jene Unternehmen, die derzeit Umsatzeinbrüche von 20 bis 30 Prozent verzeichnen, nicht mehr in der Lage sind, ihre Arbeitskräfte zu erhalten. Dann wird es ganz ernst.

Die Furche: Dann wird auch das Instrument der Kurzarbeit nicht mehr greifen?

Starbatty: Irgendwann sind die Kassen leer. Es muss daher betriebliche Bündnisse geben, indem sich die Arbeitnehmer und die Geschäftsführungen zusammensetzen, um zu beraten, wie sie aus dem Problem herauskommen. Dabei könnte ein Lohnmoratorium oder ein zeitlich befristeter Lohnverzicht mildernd wirken, wenn damit Arbeitsplätze erhalten werden können.

Die Furche: Andere Ökonomen sehen Lohnverzicht als Weg in eine Deflation.

Starbatty: Es ist immer noch besser, in einem Jahr auf zehn oder 20 Prozent des Gehalts zu verzichten, als arbeitslos zu werden und Jahre zu brauchen, um wieder eine Stelle zu bekommen – vor allem, wenn es sich um einen Lohnverzicht handelt, der später wieder ausgeglichen wird.

Die Furche: Dann nehmen Sie an, dass die Krise noch länger dauern könnte. Wie lange?

Starbatty: Jeder, der darüber jetzt Prognosen abgibt, ist ein Scharlatan. Wir sind darauf angewiesen, dass die Konjunktur weltweit wieder anspringt. Weil die USA die Weltkonjunktur bisher mit ihrem Konsum angetrieben haben, das nun aber nicht mehr tun, kann man daraus den Schluss ziehen, dass die Krise nicht so schnell überwunden sein wird.

Die Furche: Und was sagen Sie jenen, die jetzt schon Licht am Ende des Tunnels sehen, mit Blick auf die positive Entwicklung in Brasilien und China?

Starbatty: Da möchte ich die Statistiken gerne sehen. Ich glaube nicht, dass uns die Chinesen mit den richtigen Daten versorgen. Sie machen ja auch Riesenkonjunkturprogramme, die sie nicht machen würden, wenn sie keine Schwierigkeiten hätten. Ich bin also überzeugt, dass dort die Staatsbetriebe und Banken längst rote Zahlen schreiben, uns das aber so nicht sagen. Das ist eine Art von Camouflage.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung