6732663-1966_05_11.jpg
Digital In Arbeit

Was ist das: „Umfassende Landesverteidigung”?

Werbung
Werbung
Werbung

Landesverteidigung ist für die meisten Menschen gleichbedeutend mit Bundesheer. Wollte man diese allgemein verbreitete Ansicht in Zweifel stellen, würde man unweigerlich die Frage provozieren: Wozu dann der ganze Aufwand für die Soldatenspielerei?

Nun, die Antwort darauf: Selbstverständlich ist das Bundesheer vor allem dazu da, um im Ernstfall die Freiheit und die Grenzen der Heimat zu verteidigen. Der Einsatz des Heeres wäre jedoch nur die Ultima ratio in einer Krisensituation, die letzte Stufe vielfältiger Bemühungen, die Handlungsfreiheit der Regierung und die Unversehrtheit österreichischen Territoriums zu schützen. Die These, ein Krieg sei lediglich die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, ist schon längst überholt. Vor allem für einen neutralen Staat bedeutet die Landesverteidigung etwas anderes und viel mehr: Sie muß ein Mittel der Politik sein, den Krieg zu vermeiden. Daraus ergibt sich eindeutig, daß dem Bundesheer im Rahmen der Landesverteidigung nur eine Teilaufgabe zukommt - freilich eine entscheidende Teilaufgabe, denn nur die jederzeitige Einsatzbereitschaft der Streitkräfte kann den diplomatischen Bemühungen entsprechendes Gewicht verleihen.

Kein Wunder also, daß in letzter Zeit immer häufiger von der Notwendigkeit einer umfassenden Landesverteidigung gesprochen wird. Die Regierung trug dieser Notwendigkeit Rechnung, als sie am 29. Mai 1965 beschloß, den mit der Erstellung eines österreichischen Landesverteidigungsplanes beauftragten Arbeitsausschüssen konkrete Aufträge zu erteilen. Diese Aufgabe ist tatsächlich umfassend, denn sie betrifft nicht nur jedes Ministerium, sondern auch die Länder und Gemeinden; die Gesamtkoordinierung obliegt dem Verteidigungsministerium im Einvernehmen mit dem Innenministerium. Die Aktivierung der „Lehrgruppe für umfassende Landesverteidigung” an der Stabsakademie des Bundesheeres bietet hiebei eine hervorragende Hilfe.

Generalmajor Spannocchi, der Kommandant der Stabsakademie, definierte das, was man unter umfassender Landesverteidigung zu verstehen hat, kurz und für jedermann verständlich, in vier Hauptpunkten:

Erst die Summe der einzelnen Verteidigungsanstrengungen ergibt den ganzen Begriff des Verteidigungspotentials. Es muß glaubhaft sein, daß

• im Bedrohungsfall zumutbare militärische Mittel zur Abwehr einer Aggression zur Verfügung stehen;

• das Land wirtschaftlich weiterleben kann, ohne Konzessionen an kriegführende Mächte (oder Mächte, die einen Krieg vorbereiten) machen zu müssen, die die Neutralität verletzen würden;

• die Bevölkerung die Neutralität auch geistig-psychologisch ernst nimmt;

• der Staat in der Lage ist, Gefahren rechtzeitig zu erkennen und durch entsprechende Schutzeinrichtungen die Handlungsfähigkeit der zivilen Bevölkerung als neutrale Gemeinschaft zu erhalten.

Praktisch bedeutet dies nicht mehr und nicht weniger, als daß für eine verantwortungsbewußte Landesverteidigungspolitik auch die tiefsten Friedenszeiten nicht Perioden der Sorglosigkeit sein dürfen. Vorsorge gilt es nämlich auch für den Fall weltpolitischer Krisen zu treffen, an denen Österreich weder direkt noch indirekt beteiligt sein sollte. Man erinnere sich nur an die internationalen Spannungen nach der Verstaatlichung der persischen Ölfelder oder an den Suez-Konflikt: tin plötzliches Ausbleiben der Öllieferungen zum Beispiel wäre nicht nur tödlich für die unmittelbare Landesverteidigung, sondern auch für die Wirtschaft. Der Weg aber von wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu politischer Abhängigkeit ist nicht weit. Gerade solchen Entwicklungen muß ein neutraler Staat rechtzeitig Vorbeugen.

Es besteht deshalb auch kein Grund zur Aufregung, wenn militärische und zivile Stellen Vorratslager anlegen, Lebensmittelmarken vorbereiten oder den zweckmäßigsten Einsatz von Arbeitskräften vorausplanen - im Gegenteil: Die umfassende Landesverteidigung sollte und müßte allen ein Anlaß sein, der Zukunft mit Ruhe entgegenzusehen. Solche Themen eignen sich nicht für politische Diskussionen oder gar für den Wahlkampf; bei diesen Fragen geht es um die Existenz des Staates und um die Sicherheit der Bevölkerung. Hätte die Schweiz sich nicht rechtzeitig vor dem zweiten Weltkrieg auch wirtschaft lich auf eine Krisenzeit vorbereitet, war ihre Wehrbereitschaft vergeblich - gewesen.

Die Koordinierung der militärischen und zivilen Behörden, in deren Kompetenz die umfassende Landesverteidigung fällt, sowie eine Intensivierung der Arbeit jener Ausschüsse, die von der Regierung beauftragt werden, Vorsorge für Krisenzeiten zu treffen, ist deshalb eine vorrangige Lebensfrage. Nicht minder wichtig jedoch ist es, das Verständnis der Bevölkerung für diese Erfordernisse zu wecken. Minister Dr. Prader hatte jedoch recht, als er erklärte: „Ich habe die Überzeugung, daß unserer Bevölkerung immer mehr zum Bewußtsein kommt, daß nur eine umfassende Landesverteidigung, in der jeder seinen Platz ausfüllen muß, ein starker Schild isjį hinter dem das Bundesheer verteidigungsbereit steht, um unsere Familien, unsere Heime und unser Vaterland zu schützen.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung