Was Mister Keynes zur Krise sagen würde

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John Maynard Keynes starb vor 63 Jahren - und ist trotzdem der modernste Ökonom der Wirtschaftskrise. Ihn auf Deficit Spending zu reduzieren, ist ebenso falsch, wie ihn als Propheten der Verstaatlichung zu sehen.

Ist der Kapitalismus tot? Im Jahr 1930 hoffen das viele aus den gegensätzlichsten radikalen politischen Lagern: Josef Stalin, Otto Bauer, Rosa Luxemburg, Adolf Hitler, Benito Mussolini. Der Rest der Staatengemeinschaft fürchtet sich vor einer immer weiter steigenden Massenarbeitslosigkeit und politischer Destabilisierung der Demokratien. US-Präsident Herbert Hoover, Englands Ramsey MacDonald, Frankreichs Gaston Doumergue.

Nur einer spottet mit britischem Humor jedem Weltuntergangsszenario: John Maynard Keynes, Wirtschaftsphilosoph, Beamter, Börsenspekulant heißt Politiker und Fachkollegen Idioten und verspricht Rettung aus der Krise durch ein einfaches, aber unerhörtes Mittel: mit Staatsausgaben den Konsum anzukurbeln. Einmal kleidet Keynes sein Rezept zur Rettung des Kapitalismus ins Mechanikergewand: Wir müssen die Lichtmaschine reparieren, nicht das ganze Fahrzeug. - Ein anderes Mal wählt er den Arztkittel: Unser System krankt nicht am Rheuma des Alters, sondern am Überschwang der Jugend.

John Maynard Keynes liebt provokante Sprüche und gewagte Thesen. Er überzeugt damit viele Regierungschefs - und bewegt indirekt Franklin Roosevelt zum "New Deal". Hat er damit den Kapitalismus gerettet?

"Der Kapitalismus ist tot", bestenfalls liegt er "im Koma": 2009 behaupten das Ökonomen, Links- und Rechtspolitiker, Buchautoren. Wie lange dauert es noch, was ist zu tun, fragen die Besorgteren? John Maynard Keynes, in der Zwischenzeit verklärt, verdammt und abgeschrieben, ist wieder gefragt und so umstritten wie dazumal: Als "Staatsapostel" bezeichnen ihn nun die einen, "keine sozialen Visionen", kritisieren andere, "Keynes bleibt tot", versichern Dritte.

Was hätte Keynes gesagt?

Sicher ist, dass Keynes mit seiner "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" der einzige Ökonom ist, der ein umfassendes System zur Bekämpfung weit gespannter kapitalistischer Krisen vorgelegt hat. Aber was hat Keynes im Detail gesagt? Und: Lässt es sich auf die aktuellen Ereignisse anwenden? Die FURCHE stellt einzelne Ereignisse der aktuellen Krise Keynes Lehre gegenüber. Der Ökonom spricht dabei mittels ausgewählter Zitate aus seinen Büchern, Essays und Interviews.

Erstes Thema: Lohnverzicht und Lohnsenkung: Beim Opel-Käufer Magna haben findige Manager die Idee ersonnen, die Belegschaft auf bis zu 20 Prozent ihres Gehalts verzichten zu lassen. Diese Maßnahme wurde gegen den Willen der Gewerkschaften umgesetzt. Als Begründung wurde Solidarität mit dem Unternehmen und der Erhalt von Arbeitsplätzen genannt.

Keynes: Die Senkung der Löhne wird keine dauerhafte Tendenz für mehr Beschäftigung erzeugen, hingegen durch ihre Wirkung einen Rückschlag einerseits auf die Konsumbereitschaft als Ganzes, im Bereich der Kapital-Effizienz oder jenem der Zinsen erzeugen. ("Allgemeine Theorie", Kap. 19)

Zinssätze: Die Europäische Zentralbank wehrte sich lange gegen das vorschnelle Senken der Zinssätze auf äußerst niedriges Niveau. Das wird ihr nun von Ökonomen als eine zögerliche Haltung angekreidet.

Keynes: Ich selbst bin einigermaßen zweifelnd geworden über den Erfolg einer lediglich monetären Politik, die darauf abzielt, den Zinssatz zu beeinflussen. Ich bin darauf gefasst, dass der Staat, der die Grenzleistungsfähigkeit der Kapitalgüter auf lange Sicht und auf der Grundlage des allgemeinen sozialen Wohls berechnen kann, eine immer wachsende Verantwortung für die unmittelbare Organisation der Investitionen übernehmen wird. Denn es ist wahrscheinlich, dass die Schwankungen in der Marktbewertung der Grenzleistungsfähigkeit verschiedener Arten von Kapital zu groß sein werden, als dass sie durch irgendwelche durchführbaren Änderungen im Zinssatz ausgeglichen werden könnten. ("Allgemeine Theorie", Kap. 12)

Wie lange wird die Krise dauern? Die einen Konjunkturforscher meinen, die Konjunktur werde im Frühjahr 2010 wieder anspringen, andere sehen die Welt gerade erst am Beginn eines anhaltenden Abschwungs. Keynes verachtet Prognosen und stellte dabei selbst eine - rückblickend gesehen - sehr optimistische auf. 1931 sagte er gegenüber dem US-Sender CBS: Die Sprecher der Geschäftswelt sagen eine Erholung im nächsten Jahr voraus, und das aus keinem anderen Grund, als dass auf jeden Fall genug Zeit vergeht, damit die Menschen vergessen haben werden, was die Propheten verkündet hatten, wenn sich ihr Irrtum herausstellt. Ich persönlich mache keine Voraussagen. Nach den Erfahrungen zu urteilen wäre es aber nicht überraschend, wenn fünf Jahre vergingen, ehe die Prosperität uns wieder erreicht." (CBS, 12.4.1931)

Begrenzter Protektionismus

In den 30er Jahren führte Protektionismus zum endgültigen Ausbruch der Wirtschaftskrise. Im Mai 1930 hatte die US-Regierung die folgenschweren Beschlüsse zur Einführung neuer Zollschranken, den Smoot-Hawley-Act, erlassen. Während Keynes unmittelbar nach dieser Maßnahme gegen Schutzzölle wetterte, sprach er sich später für begrenzten Protektionismus aus. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy, der Frankreichs maroden Autoerzeugern auf umstrittene Weise unter die Arme greift, würde sich angesichts folgender Zeilen freuen. Keynes in einem BBC-Vortrag: Der Protektionist hat häufig schlechte Argumente benutzt, mitunter hat er aber ein besseres Gespür für die komplizierten Gleichgewichte und Eigenschaften eines gesunden nationalen Wirtschaftslebens und davon, keinen Teil davon unnütz zu opfern. (BBC, 25. 11. 1932). Als Beispiele für Schutzzölle nennt er Autoindustrie, Kohle/Stahl-Produktion und Landwirtschaft.

Gegen zu viel Staat

Die Krise als Comeback des Staates? Keynes sah die Wirtschaft zwar nicht als einen sich selbst verwaltenden Prozess, doch er predigte keineswegs bloß "mehr Staat". Das zeigt sich bei der strikten Ablehnung des sozialistischen Staatsbegriffes: Aber darüber hinaus wird keine offensichtliche Begründung für ein System des Staatssozialismus vorgebracht, das den größten Teil des wirtschaftlichen Lebens des Gemeinwesens umfassen würde. Es ist nicht der Besitz der Produktionsgüter, deren Aneignung wichtig für den Staat ist. ("Allgemeine Theorie", Kap. 24)

Die meisten Staaten nähern sich dem Problem Wirtschaftskrise mit den von Keynes empfohlenen Maßnahmen. Ungarn oder Irland haben eine drastische Kürzung der Staatsausgaben angekündigt.

Keynes wäre dagegen Sturm gelaufen: Die absichtliche Beschneidung nützlicher Investitionsvorhaben erscheint mir als ebenso irrwitzige wie schädliche Politik. Wenn ich lese, dass Bauvorhaben auf Eis gelegt wurden, so nenne ich das eine nationale Kampagne zur Verschärfung der Arbeitslosigkeit. (BBC-Interview, 4.1.1933)

Wird sich der Kapitalismus ändern lassen? Keynes sieht bei gleichmäßiger wirtschaftlicher Entwicklung die Möglichkeit einer Bedarfssättigung, die den Menschen von der Arbeit unabhängig macht. Doch bis dahin herrsche weiter blankes ökonomische Entsetzen: Für mindestens hundert weitere Jahre werden Habgier, Wucher und Vorsicht unsere Götter sein. Denn nur sie können uns aus dem Tunnel der ökonomischen Notwendigkeit ans Licht führen. ("Die Möglichkeiten unserer Enkelkinder", 1930)

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