Weggeschwemmte Hoffnung

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Die Textilarbeiterinnen in Sri Lanka tragen nicht nur die Last der Flutkatastrophe: Nach dem Auslaufen des Welttextilabkommens am 1. Jänner fürchten sie nun auch um ihre Arbeitsplätze.

Als die Wellen des Tsunami Sri Lanka überrollten, waren sie auf Urlaub: Weit über 100.000 Textilarbeiterinnen hatten am 26. Dezember bereits ihren Produktionsmarathon für den westlichen Weihnachtsweltmarkt beendet und waren zu ihren Familien im Inneren der Insel aufgebrochen. Anders als in den Fischergemeinden direkt am Meer, in denen vor allem Frauen und Kinder den anrasenden Fluten zum Opfer fielen, war die Zahl der Todesopfer unter den Textilarbeiterinnen also gering.

Wenn sie auch ihr nacktes Leben retten konnten - ihre Arbeitsplätze scheinen nach der Naturkatstrophe gefährdeter denn je: Am 1. Jänner ist das Welttextilabkommen der wto (atc - Agreement on Textiles and Clothing) ausgelaufen, das seit zehn Jahren den globalen Textil- und Bekleidungshandel reguliert. Dadurch werden sich die Chancen vieler Entwicklungsländer - so auch Sri Lankas - im Welthandel schlagartig gegenübern Ländern wie China oder Indien verschlechern (siehe Kasten).

Keine Energie für Kampagne

Für Sri Lanka, wo Textilien und Bekleidung immerhin 70 Prozent aller Exporte ausmachen, waren die negativen Folgen nach der Abschaffung der europäischen und US-amerikanischen Importquoten vorhersehbar. Die Gewerkschaftsbewegung ftzwu (Free Trade Zone Workers Union) hat deshalb in den Monaten vor Auslaufen des Abkommens eine Kampagne zur Sicherung des Textilstandortes und für Umschulungen und Abfertigungen für Arbeitslose lanciert.

Die Chancen auf eine Einigung zwischen Regierung, Unternehmern und Gewerkschaft schien vor dem Tsunami in Sicht. Doch die Katastrophe machte die Hoffnung vorerst zunichte. "Im Moment haben die Arbeiterinnen keine freie Energie für eine Kampagne", erzählt Antony Marcus, Generalsekretär der Gewerkschaft der Freihandelszonen. Viele haben ihre Unterkünfte an der Küste verloren, zahllose müssen sich um ihre von der Flut betroffenen Familien kümmern. Regierung und Unternehmen weisen eine politische Kampagne zugunsten von Arbeitsrechten mit dem Hinweis ab, dass im Moment alle Energien für die Katastrophenhilfe und den Wiederaufbau der touristischen Infrastruktur gebraucht werden. Das Abdriften der Textilindustrie wird stillschweigend hingenommen.

Solidarität und Mitgefühl

Tatsächlich hat die Gewerkschaft sofort nach der Katastrophe eine Solidaritätssammlung unter dem Motto "Giving Hands to Free Trade Zones Victims" ins Leben gerufen. Langfristig möchte man beim Wiederaufbau von 50 Häusern helfen. Im ganzen Land haben Menschen aller sozialen Schichten großzügig Geld und Sachgüter gespendet, Tempel, Moscheen, Kirchen und andere Gebäude wurden zu Sammelstellen umfunktioniert. Im ganzen Land waren weiße Fahnen zu sehen - Zeichen der Solidarität und des Mitgefühls mit den Opfern.

Die Katastrophe liegt zwei Wochen zurück, als Gewerkschaftsvertreter gemeinsam mit etlichen Textilarbeiterinnen, Journalisten und ngo-Vertretern am 7. und 8. Jänner in die am meisten betroffenen Gebiete der Insel im Osten und Süden aufbrechen, wo zehntausende Menschen umgekommen sind: Sie verteilen an die Betroffenen Reis, Dhal (Linsen), Zucker und Gewürze und erkundigen sich über die Situation der Gewerkschaftsmitlieder.

Zuerst geht die Reise in die östliche Region um Batticolao. Schon die Anfahrt über Land - ein tamilisches Gebiet, in dem auch viele Muslime wohnen - ist deprimierend. Das Land ist demoralisiert vom fast zwei Jahrzehnte dauernden Bürgerkrieg, viele Häuser sind verlassen, links und rechts der Straße tauchen Markierungen auf, die vor Landminen warnen; dazwischen militärische Checkpoints.

Ziel der Reise ist die private "Bismil Garment Factory" von Valaichchenai nahe bei Batticolao, in der neben wenigen Burschen vor allem junge Frauen arbeiten. Viele Nähmaschinen sind leer: Die Arbeiterinnen, die sie noch vor wenigen Wochen bedient haben, sind tot - oder sie hatten noch keine Möglichkeit, in die Fabrik zu kommen. Von den anwesenden jungen Frauen haben viele alles verloren: Sie kommen täglich aus dem Flüchtlingslager hierher zur Arbeit. Die Erlebnisse, von denen sie bei der Verteilung der Lebensmittel nach Arbeitschluss erzählen, sind erdrückend: Von völlig ausgelöschten Familien ist die Rede, von weggeschwemmten Booten, von zerstörten Häusern ...

Nächstes Ziel der Gewerkschaftsvertreter ist die Polizeistation von Kalkudah, das an der Spitze einer Landzunge liegt. Hier hat es nicht nur Häuser und Menschen ins Meer gerissen, sondern auch Landminen verschwemmt. Wegen der Explosionsgefahr ist es bis zu diesem Zeitpunkt unmöglich, die Leichen im Trümmerfeld zu bergen. Verwesungsgeruch liegt über dem Meer.

Rettung auf einer Palme

Die Menschen erzählen ihre traumatischen Erlebnisse - aber auch Geschichten von glücklicher Rettung: Eine Mutter schildert, wie sie mit ihrem Baby und ihrer Schwester von der Riesenwelle in die Fächer einer hohen Kokospalme geschwemmt worden ist. Die beiden Schwestern, selbst Textilarbeiterinnen und Gewerkschaftsmitglieder, leben nun im Dorf der Eltern. In die Arbeit sind sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht zurückgekehrt. Nachts können sie nicht schlafen. Sie stehen unter Schock. Nur das Baby, ein acht Monate altes Mädchen, ist quicklebendig.

Am nächsten Tag geht die Reise weiter an die Südspitze der Insel, nach Matara - vor dem 26. Dezember ein Ferienparadies für europäische Ferntouristen. Nun sieht der Küstenstreifen aus wie abrasiert. Tausende sind hier umgekommen. Die "Free Trade Zone" von Koggala mit ihren 12.000 Arbeiterinnen und Arbeitern ist zu diesem Zeitpunkt wegen Urlaub noch zwei weitere Tage geschlossen. Es besteht also die Hoffnung, dass die jungen Frauen bei ihren Familien im Landesinneren waren und deshalb nur wenige Opfer unter den Arbeiterinnen zu beklagen sind. Viele haben freilich ihre Quartiere und möglicherweise auch die Quartiergeber verloren.

Am Ende ihrer Reise - nahe dem Flughafen von Colombo - treffen die Gewerkschafter mit Arbeiterinnen aus einer der größten Freihandelsproduktionsstätten des Landes zusammen. Im "Women's Centre" von Seeduwa kommen sie mit zehn jungen Frauen ins Gespräch. Das größte Problem sind die geringen Löhne: Ohne Überstunden und Sonntagsarbeit reichen sie zum Überleben nicht aus, zumal auch die Familien am Land auf finanzielle Unterstützung warten und die Massenunterkünfte in Fabriksnähe sehr teuer sind. Vor allem aber fürchten die Frauen, nach Auslaufen des "Multifaserabkommens" ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Nein zu Landwirtschaft

Andere Perspektiven als die Arbeit in der Fabrik gibt es nicht: Obwohl viele Frauen selbst aus kleinbäuerlichen Verhältnissen stammen, wollen sie auf keinen Fall in die Landwirtschaft zurück. Kunstdünger, Saatgut und landwirtschaftliche Geräte sind zu teuer, um von den Erträgen leben zu können. Als letzte Möglichkeit bliebe nur der Straßenverkauf - oder die Migration. Schon jetzt lassen sich viele srilankische Frauen von Agenturen für einige Jahre als Hausangestellte in die Golfstaaten oder nach Saudi Arabien vermitteln.

Doch die Frauen in der Gruppe sind sich einig: Sie wollen Textilarbeiterinnen bleiben. Und dazu brauchen sie einen Arbeitsplatz - nach dem tödlichen Tsunami noch dringender als zuvor.

Die Autorin hat Anfang Jänner 2005 zur Situation der Textilarbeiterinnen in Sri Lanka recherchiert und ist derzeit in Südasien unterwegs. Sie ist Redakteurin der entwicklungspolitischen Zeitschrift "Frauensolidarität" und lebt in Wien.

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