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Tony Blairs Rede vor dem Europäischen Parlament sollten wir genau studieren.

Ich glaube an Europa als politisches Projekt. Ich glaube an ein Europa mit einer starken sozialen Dimension. Nie könnte ich ein Europa akzeptieren, das nur ein Wirtschaftsmarkt wäre." Das stammt nicht von Cohn-Bendit, Juncker, Fischler oder Schröder - das ist O-Ton Tony Blair, der kalte, herzlose, unsoziale, antieuropäische Brite. Im Ernst: Wer Blairs Rede vor dem eu-Parlament von vergangener Woche einigermaßen unvoreingenommen liest, wird die geläufige kontinentaleuropäische Kritik an Großbritannien nicht ohne weiteres aufrecht halten können.

Nun tut man freilich gut daran, Politiker nicht an programmatischen Reden, sondern an ihren Taten zu messen. Im Fall von Blairs Haltung zu Europa bietet sich demnächst reichlich Gelegenheit, wenn das United Kingdom ab Juli den eu-Vorsitz übernimmt. Und es ist natürlich nicht zu erwarten, dass Tony Blair plötzlich den glühenden Integrationisten gibt, der womöglich zum Einstand auch noch auf seinen reduzierten Mitgliedsbeitrag verzichtet. Aber diese Rede hatte jedenfalls - nach all dem verlegenen Hüsteln und Herumdrücken der letzten Zeit bei den einen, nach dem demonstrativen "Normalität"-Spielen der anderen - ewas Erfrischendes. Man sollte sich diesen Text gut merken, das darin mehrfach enthaltene Bekenntnis zur politischen (und sozialen) Dimension der eu, auch zu den "legitimen Bedürfnissen der bäuerlichen Gemeinschaften" - und dann sehen, wie das in konkrete Politik gegossen wird.

Man sollte aber auch die darin angesprochenen unangenehmen Wahrheiten zur Kenntnis nehmen, die nicht einfach vorschnell als bloßer Niederschlag britischer Interessen oder Ausdruck des unsozialen "angelsächsischen Modells" abzutun sind. Punkt für Punkt legt Blair den Finger in europäische Wunden: Was ist aus dem Gerede vom Europa-näher-zu-den-Bürgern-Bringen geworden? Was ist aus dem ehrgeizigen Ziel geworden, zum "wettbewerbsstärksten Wirtschaftsraum bis 2010" zu werden? Vor allem aber: Was hat es mit einem Wirtschafts- und Sozial-Modell auf sich, das von immer mehr Menschen als zunehmend löchrig empfunden wird, gleichzeitig aber auch die Wirtschaft nicht gerade florieren lässt? Das also offenkundig weder dem Bedürfnis nach (sozialer) Sicherheit noch dem Streben nach (ökonomischer) Freiheit ausreichend gerecht wird - was sich letztlich beides in den hohen Arbeitslosenzahlen bündelt?

Nein, das ist kein Plädoyer für "Amerika, du hast es besser", die meisten in Amerika haben es eben nicht besser als wir hier in Europa. Aber es ist ein Plädoyer gegen ein Weiter-wie-bisher. Manche, die sich gerne auf Blair berufen, zeichnen in Schwarz-Weiß: Liberalisierer gegen Suventionierer, Deregulierer gegen Umverteiler. Doch Blair hat solchen Frontstellungen in seiner Rede selbst eine Absage erteilt. "Natürlich brauchen wir ein soziales Europa", so der Premier, "aber eines, das funktioniert."

Das sagt sich leicht dahin, jeder versteht etwas anderes darunter - und zuletzt steckt der Teufel in sozialversicherungstechnischen Details, die nur eine schmale Minderheit von Experten durchblickt. Doch wenn es gelänge, den Menschen den Glauben an ein solches funktionierendes soziales Europa zu vermitteln, wenn sie den Eindruck gewännen, der Zug gehe in die richtige Richtung - dann wäre schon viel gewonnen. Der britische, von den Tories zu Labour gewechselte Abgeordnete Robert Jackson hat kürzlich in einem offenen Brief in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung an die deutsche Kanzlerkandidatin Angela Merkel auf die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern hingewiesen: Deren offen-sozialmarktwirtschaftliche Systeme hätten mehr miteinander zu tun als mit dem Etatismus französischer Prägung.

Letztlich ist Glaubwürdigkeit immer eine Frage der handelnden Personen. Wie es mit Europa weitergeht, wird also ganz wesentlich von den Protagonisten auf der europäischen Bühne abhängen. In Deutschland zeichnet sich da ein Wechsel ab, der jedenfalls zu vorsichtigem Optimismus Anlass gibt. Von Frankreich lässt sich das, nach allem, was man von Chiracs potenziellem Nachfolger weiß, nicht behaupten. Und ob Tony Blair nach seinem Irak-Desaster sich noch einmal zu Höhenflügen aufschwingen kann, bleibt abzuwarten.

rudolf.mitloehner@furche.at

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