Weltsozialforum grünt so grün …

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Am 10. Geburtstag des Weltsozialforums im brasilianischen Porto Alegre rückte die grüne Agenda ins Zentrum der Debatten: Derzeit habe die Finanzwirtschaft Vorrang vor der Realwirtschaft und der Umwelt, wurde beklagt. Diese Reihenfolge gelte es umzudrehen. Der alternative Klimagipfel im April ist eine weitere Etappe für diesen Wandel.

Das Weltsozialforum ergrünt. Wohl kein Konzept wurde auf dem 10. Geburtstag des Forums in Porto Alegre öfter beschworen als jenes vom „Guten Leben“, das seine Wurzeln im Denken der Andenindianer hat und bereits in den neuen Verfassungen Ecuadors und Boliviens verankert ist.

Brasiliens grüne Präsidentschaftskandidatin Marina Silva bezog sich in einer umjubelten Rede ebenso darauf wie der peruanische Aktivist Roberto Espinoza vom „Forum Zivilisationskrise“. An die 35.000 Teilnehmer kamen bei hochsommerlichen Temperaturen zum südbrasilianischen Regionalforum in den Großraum Porto Alegre, gut 30 weitere sollen heuer in aller Welt folgen.

Die internationale Debatte fand vor allem auf einem prominent besetzten Strategieseminar statt. Derzeit habe das Finanzsystem Vorrang vor der „Realwirtschaft“ und der Umwelt, analysierte Susan George, nun gelte es, diese Reihenfolge umzudrehen. Der „New Green Deal“, der ihr vorschwebt, hat die Vergesellschaftung der Banken zum Ausgangspunkt. Geld für den ökosozialen Umbau der Welt gäbe es genug, rechnete die Attac-Denkerin vor: „Das Vermögen der reichsten 8,5 Millionen Menschen der Welt beläuft sich auf 38 Billionen Dollar, ein Drittel davon ist in Steuerparadiesen versteckt.“

Grundübel Wachstumszwang

Der Geograf David Harvey aus New York sieht das Grundübel in der Prämisse eines jährlichen Wachstums von durchschnittlich drei Prozent, zu dem sich Liberale wie Sozialisten bekennen würden. Die Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte seien die Folge des „Problems, den Mehrwert zu absorbieren“, meint Harvey.

Das derzeitige Krisenmanagement stelle diese Wachstumslogik ebenso wenig in Frage wie die Umverteilung von unten nach oben: Über zwei Millionen US-Amerikaner hätten in den letzten drei Jahren ihre Wohnungen verloren, während allein 2008 die Manager von neun US-Banken Prämien in Höhe von 32 Milliarden Dollar eingestrichen hätten. „Für den Übergang zu einer nichtkapitalistischen Ordnung brauchen wir ein Bündnis zwischen den Unzufriedenen und den Enteigneten“, sagte Harvey.

Global düster, lokal hoffnungsfroh

Den düsteren Globalanalysen setzte Paul Singer funktionierende Beispiele aus der Solidarwirtschaft entgegen. „Wir müssen auch über kurzfristige Lösungen reden“, sagte der austrobrasilianische Ökonom, der seit 2003 als Staatssekretär für solidarische Ökonomie amtiert. 2007 waren über 1,7 Millionen Brasilianer in 22.000 Kooperativen beschäftigt, berichtete er, und Jahr für Jahr kämen Tausende selbstverwaltete Betriebe hinzu. Mit dem „Guten Leben“ und dem Komplex „Gemeingüter“ ist in Umrissen eine mögliche Plattform sichtbar, auf der sich die unterschiedlichsten Diskurse zusammenführen ließen. „Gutes Leben heißt nicht Streben nach mehr Konsum, sondern nach Autonomie und Selbstentfaltung“, sagte die deutsche Gemeingüter-Expertin Silke Helfrich, „bei den Kämpfen um Wasser und Land, um Wissen oder Software, geht es um Zugangsrechte und um gesellschaftliche Kontrolle, auch um die Frage, wie wir produzieren.“

Die Brücke zwischen der antikapitalistischen Linken und den Gemeingütern schlug Edgardo Lander: „Als globales System steht der Kapitalismus dem Erhalt des Lebens entgegen“, sagte der venezolanische Soziologe, „wir müssen die Wachstumslogik radikal überwinden und zu einer Umverteilung des Zugangs zu Gemeingütern kommen.“

Der bolivianische UN-Botschafter Pablo Solón warb für den alternativen Klimagipfel, zu dem Staatschef Evo Morales im April nach Cochabamba in Zentralbolivien lädt. Auch er bekannte sich zum „Guten Leben“, das er als „Teilen statt Wettbewerb“ umschrieb: „Gegen die Folgen des Klimawandels stellt man zehn Milliarden Dollar bereit, für den Krieg 1,3 Billionen.“

Dass der Weg über Cochabamba zum nächsten UN-Klimagipfel in Mexiko Ende 2010 für die vielfach zersplitterte Umweltszene nicht leicht sein wird, weiß auch die brasilianische Aktivistin Fátima Melo. „Es reicht nicht mehr, antineoliberal oder antiimperialistisch zu sein“, sagte sie, „mit dem Kampf um die Gemeingüter hat in Belém ein neuer Zyklus für die Weltbürgerbewegung begonnen, der sich auch auf den Straßen Kopenhagens gezeigt hat.“

Ratlosigkeit allerorten

Nun gelte es, die Vielfalt der Bewegung zu nutzen, um auf die Politik Einfluss zu nehmen, meint Mello. Angesichts der Wachstumsfixierung auch der linken Regierungen, die in Brasilien, Ecuador oder Venezuela zu zahlreichen Konflikten mit indigenen Gemeinschaften und Organisationen führt, ist das keine leichte Aufgabe.

Pablo Solón ließ denn auch an der Stoßrichtung des Treffens in Cochabamba keine Zweifel aufkommen: „Gegen die Auswirkungen des kapitalistischen Systems auf das Klima müssen wir uns weltweit organisieren.“ In Bolivien hingegen bleibe die Industrialisierung des Landes das oberste Ziel, „damit wir wirtschaftlich unabhängig werden und den Reichtum umverteilen können“.

Eine griffige, medienwirksame Botschaft blieb das Weltsozialforum auch diesmal schuldig. Man sei jedoch wieder einen Schritt vorangekommen, lautete das einhellige Fazit der Organisatoren. Und Silke Helfrich gibt zu bedenken: „Warum sollten ausgerechnet die sozialen Bewegungen schon mit Klarheit punkten können, während allerorten konzeptionelle Ratlosigkeit herrscht?“

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