Wenn teures Brot Revolutionen antreibt

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Steigende Lebensmittelpreise waren in der Geschichte immer wieder Anlässe für Aufstände und Revolten. Die aktuellen Protestbewegungen in Arabien machen da keine Ausnahme.

Die alten Potentaten waren sich ihrer Sache sehr sicher. Nicht umsonst litt der Arabische Fonds für soziale Entwicklung jahrelang unter chronischer Unterfinanzierung. Auf welch gefährlichem Pulverfass sie wirklich sitzen, wurde den Herrschern der arabischen Welt offenbar erst klar, als es schon zu spät war. Beim Wirtschafts- und Sozialgipfel der arabischen Staaten in Sharm el-Sheikh Mitte Jänner war die Selbstsicherheit längst einem Anflug von Angst gewichen. Angst, dass es ihnen ergehen könnte wie ihrem tunesischen Kollegen Ben Ali. Schnell wurden in Sharm el-Sheikh noch milliardenschwere Hilfspakete beschlossen. Vergebens, wie es scheint. Gestiegene Preise für Rohstoffe und Lebensmittel entfachten Aufstände im gesamten Nahen und Mittleren Osten. An historischen mahnenden Vorbildern herrscht kein Mangel.

Seit pharaonischer Zeit war es üblich, die Bevölkerung mit Steuern und Zwangsdiensten zu belasten. Allerdings, das war klar, in einem erträglichen Ausmaß. Kaiser Tiberius ließ einmal einem übereifrigen Statthalter von Ägypten, der es mit dem Steuereintreiben zu genau nahm, ausrichten, er wolle seine Schafe scheren lassen, nicht ihnen das Fell abziehen. Man brauchte die Steuern, die Arbeitskraft, aber keine ruinierten Menschen. Dramatisch wurde es immer dann, wenn Naturkatastrophen eintraten. Eine misslungene Ernte - das blieb auch in der vorindustriellen Welt des Mittelalters nicht viel anders -, und die Unruhe wuchs.

Eine Finanzkrise und der Hunger haben die französische Revolution mit ausgelöst. Auch jüngste Beispiele für Hungerrevolten gibt es zuhauf. 2007 und 2008 kam es in mehr als 30 Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens aufgrund massiver Preisschübe zu Ausschreitungen mit Dutzenden Toten. Die UN warnten damals, dass die "soziale, politische und ökonomische Stabilität“ vieler Staaten auf der südlichen Halbkugel auf der Kippe stehe. 2009 zählte die Weltorganisation mehr als eine Milliarde hungernder Menschen. Zwar ging die Zahl der Unterernährten laut der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) auf 900 Millionen zurück. Doch die neuen Preisschübe drohen den Fortschritt zunichte zu machen.

Steigende Rohstoffpreise

2010 ist der Preis für Weizen um 98 Prozent gestiegen. Kohle verteuerte sich um 36, Gold um 35 und Erdöl um 28 Prozent. Auf den Rohstoffmärkten gibt es ungewöhnlich viele Spekulanten, die nicht so recht wissen, wohin mit ihrem Geld; wandernde Spekulationsblasen entstehen. Hinzu kommt, dass die Binnennachfrage in Schwellenländern wie China oder Indien steigt. Viele Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens sind besonders betroffen, da sie stark auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind. Um die Brotpreise niedrig zu halten, werden sie oft subventioniert. Steigen die Preise, können die Beihilfen aus Budgetgründen aber nicht einfach aufgestockt werden. Von den Krisenstaaten sind nur jene von größeren Tumulten verschont geblieben, die ihre Bürger mit Zuwendungen ruhig zu stellen vermochten.

Der Emir von Kuwait schenkte jedem seiner rund einer Million Einwohner umgerechnet 2600 Euro sowie Gratis-Grundnahrungsmittel bis März nächsten Jahres.

Die Weltwirtschaftskrise von 2008, deren Auswirkungen wir jetzt erleben, wird gerne mit dem großen Crash von 1929 verglichen. Damals reagierten die Staaten der Welt mit höheren Zöllen und Protektionismus auf die Kursstürze. Die US-Notenbank verknappte das Geld; in der Folge fiel das Welthandelsvolumen um 60 Prozent. Zum ersten Mal in der Geschichte des Kapitalismus schien es so, als sei das System von Grund auf gefährdet. Die Inflation machte Mitteleuropa für den Faschismus reif, formulierte Eric Hobsbawm. Die geldpolitischen Fehler von damals sind heute vermieden worden. Aber hat sich auch das Denken der Menschen verändert? Es wird wieder über die Grenzen von Wachstum, Gier und Profit diskutiert. Allerdings scheint im Vergleich zu den 40er-Jahren niemand an die große Hoffnung nach dem Schrecken zu glauben.

Drohen weitere Unruhen?

Durch die steigenden Rohstoffpreise drohten weitere Unruhen, sagt der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn. Auch in Asien zieht die Inflation derzeit an. Bis 2050 wird sich die Weltbevölkerung von rund 6,8 auf 9,1 Milliarden vermehren. Um alle satt zu bekommen, müsste die Lebensmittelproduktion laut FAO bis zur Mitte des Jahrhunderts um rund 70 Prozent steigen. Eine schier unmögliche Aufgabe.

Nach Ansicht Frankreichs stellt die zunehmende Spekulation mit Rohstoffen an den Warenterminmärkten eine Bedrohung für die Nahrungsmittelsicherheit vieler Entwicklungsländer dar. Nicolas Sarkozy fordert eine Regulierung. Auch Franz Fischler, Kandidat für den Chefposten der FAO, ist dieser Meinung. Die EU-Kommission bastelt an einer Strategie. Doch: Der Widerstand ist zahlreich. Eine neue Episode der Geschichte, die nur in Facetten an frühere Zeiten erinnert. Ausgang: ungewiss.

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