"Wer nicht mehr als jung gilt, wird nicht gefördert“

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Wie Schullaufbahnen die Arbeitsperspektiven einschränken, warum viele Lehrlinge keine Stelle finden und wie es um die Überqualifizierten steht, erläutert Wirtschaftsforscherin und Arbeitsmarktexpertin Gudrun Biffl. Sie leitet die Abteilung für Migration und Globalisierung an der Donau-Universität Krems.

Die Furche: Inwiefern hat sich der Arbeitsmarkt seit Beginn der Wirtschaftskrise für junge Menschen verändert?

Gudrun Biffl: Ältere Mitarbeiter dürfen während einer Export-Krise eher im Job bleiben, junge werden gar nicht erst aufgenommen. Zudem arbeiten noch viele ältere Leute aus der geburtenstarken Babyboom-Generation. Ohne Wirtschaftswachstum haben es dann selbst geburtenschwache Generationen schwer, Arbeit zu finden.

Die Furche: Wir hören ständig, dass "junge Menschen“ aus dem Bildungs- und Erwerbssystem fallen. Wie lange gilt man als "jung“?

Biffl: EU-weit liegt die statistische Grenze bei 24 Jahren. Doch in wirtschaftlich schweren Zeiten zieht sich die reale Dauer der Ausbildung, etwa wenn Leute nebenbei arbeiten müssen. Letztlich geht es um die Frage, wie lange Menschen spezielle Fördermaßnahmen erhalten können, um Abschlüsse nachzumachen oder Umschulungen zu machen. Unter dem Titel "Jugendlicher“ ist das viel einfacher. Die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts ändern sich schneller als das Bildungssystem darauf reagieren kann.

Die Furche: Wie sieht die Abwärtsspirale von Schulabbrechern aus?

Biffl: Wer keinen Schulabschluss hat, darf keine vom AMS finanzierten Weiterbildungen machen. Das betrifft 15 bis 18 Prozent der Migranten und sechs bis sieben Prozent der einheimischen Jugendlichen, Burschen jeweils öfter als Mädchen. Es ist schwierig, diese Gruppe zum Nachholen des Hauptschulabschlusses zu motivieren.

Die Furche: Welchen gesellschaftlichen Sprengstoff birgt diese Situation?

Biffl: Laut PISA-Studie haben wir in Österreich 30 Prozent Risikoschüler. Und zwei Drittel von ihnen haben keinen Migrationshintergrund. Diese Jugendlichen kommen aus bildungsfernen Schichten. Ihr Wortschatz umfasst nur etwa 700 bis 1000 Wörter. Und Sprachprobleme betreffen nicht nur Migranten: 25 bis 30 Prozent der heimischen Jugendlichen können sich nicht gut ausdrücken. Ohne Abschluss einer Hauptschule oder Polytechnischen Schule besteht keine Chance auf eine Lehrstelle.

Die Furche: Viele Betriebe finden keine geeigneten Lehrlinge, viele junge Leute suchen eine Lehrstelle. Die Durchfallquote bei der Lehrlingsprüfung ist hoch. Woran liegt das?

Biffl: Jugendliche mit schlechten Noten erhalten selten Lehrstellen in Betrieben. Sie machen eine überbetriebliche Lehre in einer Lehrwerkstätte. Aber selbst Leute mit einer abgeschlossenen betrieblichen Lehre bekommen schwer eine adäquate Arbeit, denn 50 bis 60 Prozent aller Lehrlinge werden von den Betrieben nicht übernommen. Die Wifi- und bfi-Kurse sind voll mit solchen jungen Leuten zwischen 22 und 28 Jahren, die sich weiterqualifizieren müssen.

Die Furche: Wie steht es denn um die überqualifizierten jungen Arbeitskräfte?

Biffl: 20 bis 25 Prozent aller Arbeitnehmer, insbesondere Akademiker, werden nicht gemäß ihrer Ausbildung eingesetzt. Sie erhalten klarer Weise einen geringeren Lohn für die tatsächlich ausgeführte, weniger anspruchsvolle Arbeit. Bei den Migranten sind sogar 28 Prozent überqualifiziert, vor allem Afrikaner und Leute aus dem Nahen Osten.

Die Furche: Sie kritisieren die mangelnde Kooperation zwischen Jugend-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik.

Biffl: Schulen und Arbeitsmarkteinrichtungen sollten enger zusammenarbeiten. Nur so können Lehrkräfte vermitteln, was Arbeitgeber erwarten. Auch Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer und die Gemeinden sollten mit Schulen und Lehrbetrieben institutionalisiert kooperieren.

* Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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