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Wer zivilisiert die glqnle Raffgier?

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Der Jesuit Friedhelm Hengsbach, Deutschlands bekanntester Sozialethiker, und Hans-Peter Martin, Autor des Bestsellers „Die Globalisierungsfalle”, diskutierten in der Öl-Radioreihe LOGOS mit Johannes Kaup. Hier einige der interessantesten Ausschnitte:

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Der Jesuit Friedhelm Hengsbach, Deutschlands bekanntester Sozialethiker, und Hans-Peter Martin, Autor des Bestsellers „Die Globalisierungsfalle”, diskutierten in der Öl-Radioreihe LOGOS mit Johannes Kaup. Hier einige der interessantesten Ausschnitte:

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Johannes Kaup: Viele Menschen geraten auf dem Arbeitsmarkt unter Druck. Häufig wird das mit „Globalisierungszwang” begründet. Was ist da dran, oder geht es um ideologische Angstmache, damit Gewinnmaxi-mierung durch Lohnsenkung und Sozialdumping betrieben werden kann? Fkiedhelm Hengsbach: Zuerst müssen zwei Richtungen der Globalisierung unterschieden werden: Die eine ist die jahrhundertealte Eroberung der „neuen Welt” durch das westliche Zivilisationsmodell. Jetzt kommt an winzigen Stellen so ein Gegendruck zustande, daß die neuindustrialisierten Länder sowie die ostmitteleuropäischen Reformländer in den Weltmarkt integriert werden. Bei uns kommen einzelne Unternehmen, Industriebereiche und Arbeitnehmergruppen durch die billigeren Produktionsmöglichkeiten von dort unter Druck. Das halte ich für den harten Kern der Globalisierung. Auf der anderen Seite sind die eigentlichen Motoren der Globalisierung die internationalen Devisen-und Finanzmärkte, die sich von der realen Wirtschaft abgekoppelt haben. Darum herum wird viel Nebel geworfen. Der Druck, der auf die Arbeitnehmer in aller Welt ausgeübt wird, ist die ideologische Seite der Globalisierung. Dagegen hilft nur massive Alphabetisierung. Kaup: Was meinen Sie damit? Hengsbach: Aufklärung, die die

Funktionsmechanismen unserer Marktwirtschaft durchleuchtet. Bei uns spricht man von „Sozialer Marktwirtschaft” und macht sich zuwenig Gedanken darüber, daß sie in erster Linie eine kapitalistische Geldwirt schaft ist, die sozial etwas temperiert wird.

Hans-Peter Martin: Was Sie als den ideologischen Nebel bezeichnen, nennen wir die bequemen Lügender Globalisierung. Wir brauchen eine neue Ära der Aufklärung, die Zahlen von Zahlen unterscheiden lernt, die Abhängigkeiten genau erkennt und nicht auf Propaganda hereinfällt. Kaup: Was heißt hier Propaganda? Martin: Wenn behauptet wird, daß der wirkliche „Hurrican” der Globalisierung uns noch bevorstünde und keiner sich dem entziehen könne, wie das Siemens-Unternehmensführer Heinrich von Pierer tut. Damit wird suggeriert, daß es besser ist, wenn wir jetzt schon in den Keller gehen, bevor es uns wirklich wegbläst. Das stimmt einfach nicht, weil die realen ökonomischen Außenbeziehungen bei weitem nicht so ausgeprägt sind: 90 Prozent aller Waren-und Dienstleistungen, die innerhalb der EU hergestellt und angeboten werden, bleiben auch dort. Tn den USA ist die Zahl noch höher ... kaup: Was steht überhaupt im Hintergrund dieser ganzen Globalisierungstendenzen? Entspringt das der Eigendynamik der Wirtschaft auf der Suche nach neuen Märkten oder wird ganz bewußt um ein bestimmtes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell gekämpft?

Martin: Es ist die Raffgier. Eine tief in uns sitzende Raffgier, die historisch einmal schwerer und einmal leichter verwirklichbar ist, wie jetzt, wo es so eine Ungleichheit gibt zwischen dem Faktor Arbeit und dem Faktor Kapital ... Es wäre hoch an der Zeit endlich Reichtumsbilanzen zu erstellen. Das Bruttosozialprodukt sind wir alle. Wenn das ständig steigt, bedeutet das, daß wir so reich sind wie nie zuvor. Man sieht dann, daß es gar nicht darum geht, daß die Globalisierung uns hier Schaden zufügen würde, sondern es geht um den Verteilungskonflikt der neuen Gewinne und der verbliebenen Arbeit. Wenn es einen Klassenkampfgibt, dann spielt er sich zwischen denen ab, die noch traditionell organisierte Erwerbsarbeit haben und sie mit Zähnen und Klauen verteidigen, und denen, die keine Arbeit haben und da hineindrängen. Kaup: Mit welchen Argumenten würden Sie denn heute ein Unternehmen, das in hartem Konkurrenzkampf steht, davon abhalten, zu rationalisieren, „Down-Sizing” zu betreiben, „Lean-manage-ment” einzuführen, mit all den Konsequenzen für die Arbeitnehmer? Hengsbach: Da habe ich

Schwierigkeiten in der Argumentation. Denn der Unternehmer, der Betriebsrat und selbst die Gewerkschaften argumentieren aus einer einzelwirtschaftlichen Sicht. Und sie können auch nicht anders als in Konkurrenzbeziehungen zu argumentieren. Die Frage ist nur, ob die Gesamtwirtschaft und die Weltwirtschaft aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive einzelner l n-ternehmen gedeutet werden kann. Die vorherrschende Perspektive ist geprägt von Consulting-Firmen, die die Wirtschaft nur unter dem Blickwinkel kranker Unternehmen betrachten. Aber die Gesamtwirtschaft ist auch politisch organisiert, ist in demokratische und kulturelle Strukturen eingebettet. Sie wird derzeit nur unter der Bationalität eines einzelnen Unternehmens gesehen. Martin1: Und das wird schiefgehen.

Weil sie natürlich die betriebswirtschaftliche Effizienz immer noch steigern können. Aber wenn sie nicht gleichzeitig auf die gesellschaftliche Effizienz achten, stehen sich die beiden Faktoren plötzlich im Weg. Hengsbach: Es ist immer der Widerspruch, daß die • Rentabilität durch Res sourcen erkauft wird, dfe weder die Finanzmärkte, noch die erwerbswirtschaftlich organisierten Unternehmen bereitstellen. Die Inanspruchnahme Foto Scoi'oi i von Ressourcen, von Frauenarbeit, von gesellschaftlichen Vorleistungen werden alle nicht in eine einzelwirtschaftliche Rechnungslegung einbezogen. Sie lassen den Staat, die Gesellschaft, Frauen, die Natur und die kommenden Generationen für die eigene Produktivität und Rentabilität bezahlen. führt Aufklärung über diese Entwicklung zur Bildung von Gegenmacht? Martin: Die mehrheitsbestimmende Gruppe, der breite Mittelstand, bemerkt langsam, daß sich die soziale frage vor die ökologjshe cbängt. Lk kann man doch von erfolgreichen l tnweltbewegungen lernen: Etwa von „Greenpeace” das Konzept übernehmen, das zu einer „Social-Peace”-Bewegung führen kann. Diese muß allerdings noch viel breiter angelegt sein. Da müssen betroffene mittelständische Unternehmer ebenso drin sein wie die Gewerkschaften und dann ist auch ein ganz wichtiger Platz für die aufmerksamen Christen. So kann sich etwas bewegen. Natürlich bewegt sich auch auf der Straße etwas, ein Beispiel ist der erfolgreiche landesweite Streik bei UPS in den USA. kaup: Worin besteht Ihrer Meinung nach der Beitrag der Kirche in der Globalisierungsdiskussion? martin: Ich sehe eine unheimliche Chance. Das '1 olle am Mauerfall ist doch, daß wir keine ideologische Kästchen mehr haben, in die wir einander als Linke oder Beeilte einordnen können. Wir brauchen ganz neue AI-' lianzen. Diese Bündnisse können wir schmieden, manchmal nur in einzelnen Fragen. So wie es gerade Erzbi-schof Schönborn angeboten hat: Wenn es eine gleiche Linie gibt, daß man das Sozialdarwinismus nennt, was Sozialdarwinismus ist, warum können nicht dann - als nächster Schritt - Katholiken und Gewerkschaften gemeinsam spektakuläre Aktionen gegen den Shareholder-Va-lue setzen?

Hengsbach: Ich sehe den Beitrag der Kirchen darin, daß sie als Weltorganisationen über Informationen verfügen, welche Leiden den Opfern durch einen weltweit ungebremsten Kapitalismus zugefügt werden. Hier in Europa spricht man von „Sozialer Marktwirtschaft”. Was das aber weltweit bedeutet, für Menschen in Brasilien etwa, das kann sich ein europäischer Christ kaum vorstellen. Die Kirchen können den Standpunkt der Ausgegrenzten und Opfer klar vermitteln an die Gewinner und Starken, die auf der Sonnjffiei|g des,. Wrttwirtechaftssv-stems stehen ...Wir leben ökonomisch, gesellschaftlich und auch kirchlich in einem vor-revolutionären Zustan d. Es kn i stert un nd k n i rscht be -reits. „Alphabetisierung”, Gegenöffentlichkeit und Gegenmachtbildung - das sind die Aufgaben, die gegenwärtig notwendig sind.

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