Wieviel ist uns Gesundheit wert?

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Die Debatte um die Finanzierung des Gesundheitswesens reißt nicht ab. Nun ist eine politische Richtungsentscheidung gefragt.

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Die Debatte um die Finanzierung des Gesundheitswesens reißt nicht ab. Nun ist eine politische Richtungsentscheidung gefragt.

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Das Gesundheitswesen sei zu teuer, Finanzdebakel der Krankenkassen: In den letzten Wochen überschlagen sich die Meldungen über die angebliche Krise des österreichischen Gesundheitswesens. Doch ist dem wirklich so, steckt das Gesundheitswesen in der Krise? Nein, behaupten viele anerkannte Experten. Das Gesundheitswesen ist der Wachstumsmarkt der Zukunft - und warum nicht mehr investieren als bisher? Schließlich ist für die meisten Menschen Gesundheit oberstes Gut.

Mit einem Anteil der Gesundheitsausgaben von 8,3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt liegt Österreich nur leicht über dem OECD-Durchschnitt. "Es würde uns nicht schaden, wenn wir uns hier etwas weiter nach oben bewegten. Das Gesundheitswesen ist sicherlich nicht zu teuer. Hier schafft die politische Diskussion eine Stimmung, als ob das Gesundheitswesen nicht mehr finanzierbar wäre", ärgert sich der Sozial- und Gesundheitsökonom Professor Christoph Badelt von der Wirtschaftsuniversität Wien. Man dürfe nicht das Gesundheitswesen für die Probleme bei den Sozialausgaben verantwortlich machen. Professor Michael Kunze, Leiter des Instituts für Sozialmedizin, stimmt Badelt zu: "Unser Gesundheitssystem ist sehr gut, ich kenne kein besseres. Ich behaupte, dass das Produkt Gesundheit zwar verbesserungswürdig ist, aber in hoher Qualität hergestellt wird und gar nicht so teuer ist."

Wahr ist, dass die Gesundheitsausgaben kontinuierlich steigen. Zwei Faktoren sind dafür maßgeblich verantwortlich: Es gibt immer mehr und bessere Untersuchungsmethoden und Therapiemöglichkeiten, die eben auch mehr kosten. So mancher Gesundheitsverantwortliche "fürchtet" sich etwa bereits vor dem entscheidenden Durchbruch bei der Krebstherapie, denn das wird vermutlich wiederum einen Mehraufwand in Milliardenhöhe für das öffentliche Gesundheitsbudget bedeuten. Und, kann man sich fragen, ist das schlecht?

Zweitens spielt die demografische Entwicklung der Bevölkerung eine entscheidende Rolle für die Gesundheitsausgaben. Bekanntlich steigen diese signifikant, je älter wir werden. Ein Gesundheitsexperte hat es kürzlich sehr sarkastisch auf den Punkt gebracht: Der ideale Bürger stirbt vor lauter Freude am Tag seiner Pensionierung an plötzlichem Herzversagen. Und seine Ehefrau bei der Übermittlung der Todesnachricht ...

Dass die Ausgaben für Gesundheit in Zukunft steigen werden, darüber sind sich alle Experten einig. Die Gretchenfrage lautet: Wie diesen Mehraufwand für das Gesundheitswesen finanzieren? Gesundheitsstaatssekretär Reinhart Waneck (FPÖ) rückte für die Sanierung der Krankenkassen in den letzten Wochen mit ersten Maßnahmen heraus, die aber erwartungsgemäß nicht überall auf Gegenliebe stoßen: * Geplante Einsparungen im Verwaltungsbereich sollen pro Jahr 1,5 Milliarden Schilling, bei Arzneimittelkosten bis Ende 2001 2,5 Milliarden bringen.

* Künftig soll es eine Ambulanzgebühr geben: Bei Überweisung vom Arzt wird für diese 150 Schilling, bei direkter Inanspruchnahme 250 Schilling pro Besuch veranschlagt. Der politische Hintergedanke: Für die gleiche Leistung müssen in der Ambulanz im Schnitt 2.200 Schilling bezahlt werden, der niedergelassene praktische Arzt oder Facharzt kostet hingegen nur rund 500 bis 650 Schilling. Der Selbstbehalt sei also als Regulierungs- und nicht als Finanzierungshilfe gedacht. Die Patienten sollten wieder vermehrt die Arztpraxen aufsuchen. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren die Ambulanzbesuche stark zugenommen haben, viele Patienten würden sich sozusagen selbst einweisen, kritisiert Waneck. Seine Aussage, das Krankenhaus sei der beliebteste Zweitwohnsitz der Österreicher, klingt dann aber doch recht zynisch.

Doch was in der Theorie einfach klingt, ist schwer umzusetzen. Viele Menschen wollen oder können nicht während der Arbeitszeit einen Arzt aufsuchen, um dort stundenlang in der Ordination zu warten. Hier bietet die Ambulanz eine Alternative, da der Zugang auch am Wochenende möglich ist. Will die neue Regierung in diesem Bereich etwas ändern, müssen zuerst entsprechende Strukturen geschaffen werden, etwa verlängerte Öffnungszeiten der Ärzte und Gruppenpraxen.

* Die Erhöhung der Rezeptgebühr um 22 Prozent soll ein Anreiz für "eine Veränderung der Verschreibepraxis" sein. Ob Heilmittel und Heilbehelfe teurer werden, könne man erst nach der Begutachtung abschätzen. Zuzahlung für neue Leistungen sei nur für die Psychotherapie mit 20 Prozent Selbstbehalt vorgesehen.

Die Kritik der Opposition: Selbstbehalte, Rezept- und Krankenscheingebühr betreffen ausschließlich die Kranken, die sie zahlen müssen. Maßnahmen, die tiefer greifen, würden völlig fehlen. Der Zwei-Klassen-Medizin sei damit Tür und Tor geöffnet.

Tatsächlich sind ein paar Milliarden Schilling an Einsparungen im Budget langfristig bei weitem nicht genug. Bereits 1999 schrieben die Krankenkassen ein Defizit von 3,4 Milliarden Schilling. Für 2000 werden 5,7 Milliarden prognostiziert, Tendenz steigend. Die bisher diskutierten Maßnahmen sind wieder einmal relativ kurzsichtige, die am Kern der künftigen Finanzierung des Gesundheitssystems vorbeigehen. Es gibt selbstverständlich hier und dort immer ein gewisses Einsparungspotential, doch um die langfristige Versorgung zu gewährleisten, müssen im Gesundheitsbereich rasch Weichen neu gestellt werden.

Davon ist auch Gesundheitsexperte Christoph Badelt überzeugt. "Zu behaupten, es wird weiterhin alles so bleiben wie es ist, das wird nicht funktionieren. Es gibt keinen Weg vorbei an Ausgabensteigerungen." Die politischen Entscheidungsträger müssten nun zwischen folgenden Optionen wählen: Erstens, will man auch künftig eine öffentlich finanzierte Vollversorgung, so wird sich die Frage ergeben, woher das Geld kommen soll. Denkbar wäre natürlich eine Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge. Gleichzeitig müssten aber andere Beiträge gesenkt werden, da sonst die Lohnnebenkosten mittelfristig zu hoch werden. Aber auch über eine andere Finanzierungsbasis der Sozialversicherungsträger sollte nachgedacht werden.

Die zweite Option wäre eine Teilprivatisierung; der Staat zieht sich aus der Vollfinanzierung der Gesundheitsleistungen zurück. Das, so der Gesundheitsökonom, wäre aber erfahrungsgemäß längerfristig sozial nicht aushaltbar.

In welche Richtung die Gesundheitspolitik gehen wird, bleibt abzuwarten, doch, so Badelt: "Es braucht hint' und vorne politische Entscheidung, hopp oder tropp. Wir werden uns aber nicht um eine Entscheidung drücken können, ob wir neue medizinische Leistungen allgemein finanzieren - oder eben nicht."

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