Wieviel Staat braucht der Verkehr?

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Fragen des Verkehrs bewegen die Gemüter. Täglich ist der Bürger mit den Mängeln seiner Funktion konfrontiert. Mischt der Staat zu viel mit? Sollte man mehr privatisieren?

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Fragen des Verkehrs bewegen die Gemüter. Täglich ist der Bürger mit den Mängeln seiner Funktion konfrontiert. Mischt der Staat zu viel mit? Sollte man mehr privatisieren?

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Rekordzahlen bei Pkw-Zulassungen, jährlich steigender Straßenverkehr und der tägliche Stau, öffentlich diskutierte Straßen- und Bahnprojekte und deren negative Systemwirkungen, gravierende Mängel im Angebot von Bahn und Bus: Das ist eine Auswahl aus Beiträgen zur aktuellen verkehrspolitischen Diskussion. Und natürlich die Finanzierung: Alle als wichtig erkannten Verkehrsprojekte in Österreich kann man mit gut 500 Milliarden Schilling beziffern. Dazu kommen laufende Zuschüsse für den öffentlichen Verkehr von rund 20 Milliarden Schilling pro Jahr. Von den externen Kosten ist dabei noch gar nicht die Rede.

Auf der anderen Seite bestehen Sachzwänge der Realpolitik: Maastricht-Kriterien und Sparpakete. Wie wir aus unserer täglichen Erfahrung wissen, ist im Verkehr die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit besonders groß, und sie zeigt steigende Tendenz. Wir alle kennen doch Projekte, die seit Jahren verfolgt und versprochen werden, während eine Realisierung nicht in Sicht ist. Beispielhaft seien der Semmeringtunnel, der Ausbau der Brennerbahn oder die Fertigstellung der Pyhrn-Autobahn erwähnt. Ist diese Misere ein klassisches Staatsversagen? Ist der Staat überfordert? Ist vom Markt eine größere Lösungskompetenz zu erwarten? Fragen über Fragen.

Wo die Grenze zwischen Staat und Markt gezogen werden soll, ist eine Frage der persönlichen Sicht und vor allem der ideologischen Position. Der Nachweis einer besseren und billigeren Aufgabenerfüllung durch den Markt ist nicht generell, sondern nur im jeweiligen Einzelfall zu erbringen.

Neben Staatsversagen gibt es auch Marktversagen. Und wie die elementare Ökonomie lehrt, ist ein funktionsfähiger Markt an Bedingungen geknüpft, die im Verkehr nicht gegeben sind. Trotz der Schwerfälligkeit von Veränderungen werden vermehrt Alternativen an- und konsequent durchgedacht werden müssen, auch wenn eine jahrzehntelange Konditionierung unsere Vorstellungsfähigkeit begrenzt.

Traditionellerweise werden als Begründung für das Engagement des Staates im Verkehr Wechselwirkungen mit Wirtschaft und Wohlstand genannt. Im Grunde ist diese Argumentation unbestritten. Erhebliche Auffassungsunterschiede bestehen allerdings über Ursache und Wirkung sowie über das Ausmaß der Zusammenhänge. Dringender Klärungs- und Handlungsbedarf besteht, da mit der Lösung von Verkehrsproblemen über Europareife und Zukunftsfähigkeit von Regionen entschieden wird.

In den Programmen der EU-Regionalförderung werden darum zu Recht Fragen der Verkehrserschließung behandelt. Nach Meinung vieler geschieht jedoch weniger als zur Lösung der Zukunftsprobleme getan werden müßte. Zu dieser Dringlichkeit kommen Umweltprobleme, für die zwar zukunftsverträgliche, jedoch kaum mehrheitsfähige Lösungen in Sicht sind.

Risiko trägt der Staat Zunehmend werden zur Finanzierung der Infrastruktur private oder gemischte Modelle vorgeschlagen. Die in diesem Zusammenhang genannten Beispiele wie Kanaltunnel, oder Autobahnabschnitte in Ungarn überzeugen wenig, vor allem wenn über eine Aufkommensgarantie das Risiko wiederum der öffentlichen Hand zufällt. Was ist gewonnen, wenn bei zu geringen Mauteinnahmen einer Betreibergesellschaft wieder der Staat einspringen muß?

Bei der gegenwärtigen Ausgangslage ist das Interesse privater Investoren naturgemäß begrenzt: Der Bau von Straßen und Bahnen bewirkt eine breite Streuung der Nutzen, die in den Kosten des Verkehrs keinen angemessenen Niederschlag finden. Umwegrentabilität ist für privates Engagement keine ausreichende Begründung.

Im öffentlichen Verkehr war bislang der Einfluß des Staates dominant: Bahn, Post und städtische Verkehrsunternehmen bestimmen die Fahrpläne und damit die Angebotsqualität. Nach aktuellen Initiativen soll der öffentliche Verkehr umorganisiert werden, wobei man eigenwirtschaftliche Elemente stärken will. Ohne ausgleichende Leistung von Bund und Ländern wird dadurch eine deutliche Differenzierung der Fahrpläne zwischen zentralen und ländlichen Räumen befürchtet. Dünn besiedelte Räume, wie Wald- und Mühlviertel oder Alpentäler würden dann nicht mehr bedient werden können.

Jedoch müssen in Zukunft nicht alle traditionellen Aufgaben auf konventionelle Art und Weise erfüllt werden. Ein Blick über die Grenzen zeigt, daß bei Kreativität Innovationen möglich sind und für Räume und Zeiten schwachen Verkehrsaufkommens bedarfsorientierte Bedienungsformen, wie Anrufsammeltaxis, befriedigende und kostengünstigere Alternativen zum herkömmlichen Linienverkehr darstellen können.

Der Reformbedarf ist unbestritten; als Praxistest wird beispielsweise vorgeschlagen, eine Bahn/Bus-Verbindung von A-Dorf in Waldviertel nach B-Stadt in der Südsteiermark zu erfragen - mit Verwunderung wird man feststellen, daß sich die unternehmensübergreifende Fahrgastinformation seit der Postkutschenzeit kaum geändert hat, während der Konkurrent Pkw einen exorbitanten Aufschwung erlebte. Trotz der Dominanz des Staates bestehen Systemmängel dieser Art seit Jahrzehnten.

Als weiterer Bereich mit unübersehbarem Reformbedarf gelten Verkehrsverbünde, also Kooperationen zwischen den in einem Bedienungsgebiet tätigen Verkehrsunternehmen. Der Fahrgast wünscht zurecht ein einheitliches System im Tarif, einen dem Bedarf angepaßten Fahrplan mit abgestimmten Umsteigemöglichkeiten und vielleicht auch ein einheitliches Erscheinungsbild und Design von Fahrzeugen und Haltestellen.

Diese selbstverständliche Systemeinheit ergibt sich allerdings unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen nicht von selbst, sondern verlangt den bewußten koordinierenden Eingriff der öffentlichen Hand. Sämtliche Verkehrsverbünde in Österreich sind auf Initiative der Gebietskörperschaften entstanden. Die Alternative könnte nur darin bestehen, daß sich der Staat auf die Schaffung von Rahmenbedingungen beschränkt, die unternehmensübergreifende Kooperationen fördern und belohnen.

Zum Bereich der Gesamtorganisation: Der Verkehr verbindet jeden mit jedem. Jeder ist Verursacher von Verkehr, jeder ist von dessen Wirkungen betroffen. Bund, Länder und Gemeinden sind bei der ganzheitlichen Lösung von Verkehrsfragen gefordert. Eine Aufgabenverteilung zwischen Gebietskörperschaften ist ein Grundprinzip eines förderalistisch organisierten Staates. Die Zielsetzungen sind allerdings nicht gleichlautend, im Detail oft widersprüchlich und kaum harmonisierbar. Reibungsverluste im Überschneidungsbereich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sind an der Tagesordnung. Eine Flurbereinigung könnte zur Vereinfachung und Verbilligung beitragen und zusätzlich so manches Projekt beschleunigen.

Wird Verkehr teurer?

Trotz vorerst bescheidener Ansätze zur Aufgabenverlagerung wird der Staat auch in Zukunft die Hände im Spiel haben. Wird dadurch Verkehr billiger oder teurer? Auch diese Frage ist nicht generell beantwortbar. Eine Verteuerung ist in dem Ausmaß vermeidbar, in dem funktionsfähigere Verkehrsmärkte geschaffen werden. Benachteiligte Regionen werden im Verkehr zusätzlich benachteiligt, wenn nicht gegengesteuert wird. Dies wird ohne zusätzliche Ausgaben nicht möglich sein.

Weniger Staat im Verkehr! - wozu eigentlich? Änderung der Staatstätigkeiten darf kein Selbstzweck sein. Allerdings darf man eine effizientere Aufgabenerfüllung, einen rationellereren Mitteleinsatz und damit einen Beitrag zu mehr Wohlfahrt erwarten. Kurzfristig sind diese Hoffnungen kaum realistisch. Doch eine wesentliche Frage bleibt: Warum zeigt sich das derzeitige System der öffentlichen und teils privaten Aufgabenerfüllung so schwerfällig und innovationsresistent ? Es ist die Vernetzung vielfältiger und oft widersprüchlicher Interessen, die zukunftsorientiertes Handeln erschwert, ein Sachverhalt, der zu Recht als "Politikverflechtungsfalle" bezeichnet wird. Konsens über Änderungen ist kaum zu erwarten. Verkehr ist Ursache und Folge des Wohlstandes. Solange nahezu die Hälfte des Volkseinkommens vom Staat vereinnahmt wird, wird zu Recht auch eine ausgleichende Staatstätigkeit erwartet. Änderungen der Aufgabenverteilung sind kein Nullsummenspiel, sondern haben Gewinner und Verlierer zur Folge.

Der Autor ist Leiter der Dienststelle "Verkehrskoordinierung und Angelegenheiten des öffentlichen Verkehrs in der Landesbaudirektion des Amtes der OÖ Landesregierung.

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