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Wir agieren viel zu riskant

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Gravierende Folgen können selbst kleine Eingriffe in Ökosysteme haben. Das Beispiel des Viktoriasees zeigt es. Ein Denkanstoß für die Gentechnik-Debatte.

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Gravierende Folgen können selbst kleine Eingriffe in Ökosysteme haben. Das Beispiel des Viktoriasees zeigt es. Ein Denkanstoß für die Gentechnik-Debatte.

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dieFurche: Wie beurteilen Sie als Ökologe die Gentechnik-Diskussion?

Fritz Schiemer: Da wird im allgemeinen aus der molekularbiologischen Sicht argumentiert. Auf das nächsthöhere wissenschaftliche Niveau - nämlich das der Auswirkungen, die neue Organismen in einem ökologischen System haben - wird meist nicht reflektiert. Ökosystemare Zusammenhänge werden kaum in Betracht gezogen. Aber selbst mit der ökologischen Betrachtung ist es nicht getan. Es sind auch sozio-ökonomi-sche Aspekte einzubeziehen - etwa die Frage, wem nützen die Maßnahmen, wem schaden sie?

dieFurche: Können denn neue Organismen bestehende ökologische Systeme stark verändern?

Schiemer: An einem der großen afrikanischen Seen, dem Viktoriasee, beobachten wir das wohl interessanteste Beispiel dafür, wie gravierend die Auswirkungen scheinbar geringfügiger Eingriffe sind. Dieser See ist uralt und - wenn man so will - ein Laboratorium der Evolutionskunde. Eine vielfältige Fauna und Flora hat sich entwickelt. Vor etwa 20 Jahren hat man Nilbarsche eingesetzt, um die Fischereierträge zu verbessern. Das Ergebnis: Der Fisch hat von der ursprünglichen sehr artenreichen, endemischen Fischfauna zahlreiche Arten weitgehend dezimiert. Schon 1988 haben wir im Norden des Sees kaum andere Arten mehr angetroffen. Mittlerweile gibt es im ganzen See - flächenmäßig größer als Österreich - nur mehr wenige Fischarten. Aber nicht nur die Fische wurden dabei weggefressen, sondern das gesamte Ökosystem wurde sehr vereinfacht. Wenn man heute im Viktoriasee Untersuchungen durchführt, sieht man einerseits, daß der See sehr mit Nährstoffen angereichert ist (man nennt das eutrophiert) und daß andererseits die Nahrungskette stark vereinfacht ist: Es gibt Algen, totes organisches Material, ein bis zwei Arten, die beides nutzen können, eine kleine Fischart, die an Zahl sehr zugenommen hat. Diese Sardinenart war früher nicht sehr wichtig, ist aber im Zuge der Veränderungen geradezu explodiert.

dieFurche: Ließe sich der vorherige Zustand wiederherstellen?

Schiemer: Diese Entwicklung ist nicht mehr rückgängig zu machen.

dieFurche: Sind die temperierten Breitengrade, in denen sich die Industrieländer befinden, widerstandsfähiger? Dort hat man ja lange gebraucht, um die Umweltproblematik zu erkennen.

Schiemer: Bei den Umweltproblemen kommt es sehr stark auf die Aufmerksamkeit an, die man dem Problemkreis zuwendet. Gerade in Nordamerika und Europa sind die roten Listen besonders lang. Hier gibt es die meisten ausgestorbenen oder vom Aussterben bedrohten Arten. Das zeigt, wie schwerwiegend dort die Eingriffe in den letzten 50 Jahren waren. Viele heimische Lebensgemeinschaften sind extrem gefährdet, besonders die Feuchtgebiete, die Moorlandschaften. Sehr viele für unseren Raum typische Lebensräume gibt es kaum mehr.

dieFurche: Stellt das eine Gefährdung für den Menschen dar? Man könnte ja sagen, daß die Sicherung der Artenvielfalt eine Liebhaberei der Ökologen ist Jetzt habe etwa der Viktoriasee eben ein neues ökologisches Gleichgewicht ...

Schiemer: Sicher, kann man es so sehen. Beim Viktoriasee wird es zwar in den nächsten 50 Jahren noch starke Fluktuationen geben, aber dann entsteht ein neues Gleichgewicht auf einem niedrigen Niveau. Das Problem ist nur, daß wir mit solchen Eingriffen genetische Substanz und biologische Manigfaltigkeit verringern. Damit werden bestimmte Anpassungsstrategien gefördert, andere gehen aber verloren. An den österreichischen Fließgewässern beobachten wir, daß alles verlorengeht, was an die ursprünglichen Besonderheiten gut angepaßt war. Übrigbleiben werden mehr oder weniger Aller-Weltsarten, die man überall antrifft. Wir stehen vor dem Verlust des Typischen. Wie man das bewertet, ist eine andere Sache. Unabhängig von der Bewertung aber ist festzustellen, daß wir durch Verlust dieser Vielfalt langfristig Gefahr laufen, die Fähigkeit, auf Neues zu reagieren einbüßen.

dieFurche: Hat sich die Einpflanzung der Barsche im Viktoriasee wenigstens wirtschaftlich rentiert? Produziert der See heute mehr Fische als vorher?

Schiemer: Zunächst gab es eine beachtliche Ertragssteigerung. Allerdings wurde vor der Einpflanzung des Nilbarsches die Produktivität des Sees nicht so genutzt wie danach. Der Barsch lieferte ja auch eine „Paketierung" der Biomasse in einer marktgängigen Form: Statt den kleinen Fischen, die vorher den See bevölkerten, gab es nun „Pakete" von bis zu 50 Kilo. Als die Barsche den See leergefressen hatten, mußten sie auf kanni-balistische Strategien umsteigen und so kam es zu einem Einbruch.

dieFurche: Sind solche ökologischen Effekte prognostizierbar?

Schiemer: In den letzten 20 Jahren hat man enorm viele Informationen über die Reaktion von Ökosystemen erfaßt und modelliert. Heute hat man ein Instrument der Voraussage in der Hand, das aber wegen der großen Komplexität der Zusammenhänge sicher noch verbessert werden muß. Im großen und ganzen würde man heute aber vieles nicht mehr so machen wie vor 20 Jahren. Diese Ansätze wären in Fragen der Gentechnik zu berücksichtigen: Die vielschichtigen Auswirkungen, die weit über das Niveau molekularbiologischer Prozeßabläufe hinausgehen, müßte man untersuchen. Das bisherige Wissen in diesen Fragen stammt eher aus zufälligen Erfahrungen als aus der systematischen Aufarbeitung von Informationen.

dieFurche: Welche Ökosystemaren Gesetze hat man bisher entdeckt?

Schiemer: Wichtig ist folgende Erkenntnis: Genetische Veränderungen können von einer Art auf die andere übertragen werden. Allerdings sind Fragen wie: Schlägt sich die genetische Veränderung in der Nahrungskette nieder? Und: Wie wirkt sich die Technik gesellschaftlich aus?, bisher zu wenig untersucht. Auch das Forum Österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz weist immer wieder darauf hin, daß man in dieser heiklen, gefährlichen Frage mit unwahrscheinlicher Blauäugigkeit, ja Unverfrorenheit vorgeht. Das erinnert an die Leichtfertigkeit, mit der man den Nilbarsch in den Viktoriasee verpflanzt hat.

dieFurche: Könnte eine gediegene Forschung die Gefahrenpotentiale der Gentechnik realistisch abschätzen?

Schiemer: Es ist jedenfalls notwendig. Ich glaube, daß man in zehn Jahren bei entsprechendem Forschungsaufwand und unter Berücksichtigung der Vielfalt der Fragestellung die Gefahren und Möglichkeiten der Gentechnik für die Menschheit sehr viel besser beurteilen wird können. Heute wird die Entwicklung von den Lobbys vorangetrieben. Leider laufen die Dinge immer noch so wie vor 20 Jahren. In Fragen der Wasserkraft drücken die Lobbys immer noch ihre betrieblichen Interessen gegen das vorhandene bessere Wissen durch.

dieFurche: Bringt die weltweite Mobilität einen großen Austausch von Arten und damit eine (Informierung?

Schiemer: In bestimmter Hinsicht schon. In den Donau-Auen kann man sehen, wieviele Neophyten (Neuankömmlinge) dort vorkommen, z. B. das Springkraut, das die Auen überwuchert. Diese Arten können ein wirtschaftliches Problem darstellen. Wir dürfen aber auch nicht so tun, als wäre die Welt vor der Industrialisierung immer konstant geblieben. Es gab immer wieder dramatische Änderungen. Nur darf man deswegen nicht die Gefahr heutiger Eingriffe relativieren. Und das trifft besonders für Fragen, die gentechnisch veränderte Organismen betrefffen, zu.

Ich würde mir eine Diskussion wünschen, die Probleme nicht verschmiert, sondern den komplexen Fragestellungen gerecht wird. Das Gespräch führte Christof Gaspari

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