Wir drehen (k)einen Tierfilm

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Wer Fernsehprogramme kritisiert, dem wird erwidert: "Schau Dir Universum an!" Tierfilme gelten als Bildungshit. Aber wie sie einander doch ähneln ...

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Wer Fernsehprogramme kritisiert, dem wird erwidert: "Schau Dir Universum an!" Tierfilme gelten als Bildungshit. Aber wie sie einander doch ähneln ...

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Naturfilme, insbesondere Tierfilme, sollen bilden. Sie stellen demnach das auftragsgemäße Feigenblatt öffentlich-rechtlicher Sender dar - ein klassisches Familienprogramm, das noch den Vorzug hat, unter dem Etikett der "Wissensübermittlung" kein schlechtes Gewissen der Erziehenden aufkommen zu lassen. Damit ein so hochwertiges Produkt aber den Sprung ins Hauptabendprogramm schafft, will es auch gekonnt "gemacht" sein. Also entwerfen wir gemeinsam das Drehbuch für den ultimativen Tierfilm.

Zunächst schwenken wir den Blick einmal über die "Umgebung", vorzugsweise wählen wir romantische Einstellungen - Vogelschwärme machen sich gut, günstig die Stimmung in der Abend- oder Morgendämmerung. Der Star des Abends, das jeweilige Objekt der Begierde der Kamera, darf noch nicht ins Bild kommen, das wäre nämlich - fad. Ausgefüllt werden diese nichtssagenden Einstellungen von der geheimnisvoll flüsternden Stimme des Kommentators, der verheißt, daß sich hier irgendwo "das Tier" aufhalte.

Und nun, unausweichlich, aber plötzlich fängt das Objektiv "das Tier" ein. Der Zuschauer soll merken, was das für ein erhebender Augenblick ist. Die Situation muß möglichst unverfänglich sein - die Schocker heben wir uns noch auf: Tier beim Fressen, Tier, das sich putzt, Tier, das umherstreift - wenn es ein Herdentier ist, alles im Plural. Dazu aber bitte keine Information, die über das Sichtbare hinausgeht, das wäre zuviel. Und nun geht es los!

Paarungsverhalten als Schlüsselstelle Wir schreiten zur Abfilmung des Paarungsverhaltens. Zunächst allfälliger Kampf der Männchen, wobei sich gut macht, wenn der Unterlegene es möglichst sichtbar draufkriegt. Danach in möglichst expliziten, immer wiederkehrenden Bildern der eigentliche Vorgang, nun aber unterlegt mit detaillierten Informationen (wie oft, mit wem, mit wie vielen, wie lange, usw.). Damit geht der Zuschauer mit, und wer weiß, gegen welche Quotennummern wir uns in den anderen Kanälen gerade durchsetzen müssen! Gegebenenfalls können wir uns nun zur Erholung des Auditoriums dem Nestbau widmen, andernfalls gehen wir gleich zu Geburt und Aufzucht der Jungen. Eierlegende Tiere sind hier etwas weniger spektakulär. Die Kamera schwelgt in Putzigkeit der Jungen - und die ist ja nahezu speziesunabhängig gegeben. Sogar kleine Krokodile haben einen unzweifelhaften Charme.

Ist der Zuschauer richtig emotionell gebunden, kommt unausweichlich der "Hammer". Die Feinde der Spezies pirschen sich an, minutenlang, quälend träge eingefangen von der Kamera, pirschen sich an aus allen Richtungen - und die Elterntiere merken nix! Im Kasperltheater ist das die Stelle, wo die Kinder im Chor angesichts der herannahenden Gefahr verzweifelt "Kaaasperl, Kaaaaasperl!" schreien. Genüßlich filmen wir nun, wie die putzigen Tierchen gefressen werden. Wir sind ja realistische Naturfilmer, beschönigen nichts. Aus dem Off nüchterne Stimme des Kommentators, der erklärt, warum das so sein muß. Er erklärt aber nicht, daß wir uns spätestens nun unter die - pardon - Voyeure zählen dürfen, aber was wollen Sie, wir müssen die Filme ja auch verkaufen.

Zur Beruhigung zeigen wir jetzt, wie die nicht gefressenen Jungen heranwachsen, sich balgen, oder auch nicht, fliegen lernen, schwimmen lernen, oder ihrerseits andere Tiere fressen lernen. Jaja, die Natur ist gerecht!

Eigentlich wäre die Geschichte jetzt zu Ende, aber leider haben wir noch viele Filmminuten zu füllen. Darum muß es weiter gehen.

Erstens: Tiere bei Nacht. Allein die Szene, wie der große Mond aufgeht (nur der Vollmond tut es) bringt wertvolle Zeit. Dann filmen wir alle möglichen anderen Tiere bei - oben erwähnten Tätigkeiten. Falls das"eigene Tier" zufällig auch nachtaktiv sein sollte, haben wir Glück. Sonst stellen wir einfach fest, daß es jetzt schläft.

Zweitens: Andere Tiere bei Tag. Hier dürfen wir völlig inkohärent irgend etwas filmen, das uns eben vor die Kamera kommt. Am besten macht sich auch hier Brutpflege und das Motto "Tiere fressen Tiere". Die Bilder haben eben eindrucksvoll zu sein. Der Kommentator ratscht dazu die Namen herunter und leitet über ...

Drittens: Bilder von grimmig dreinschauenden Menschen mit Äxten, Motorsägen, Insektizidspritzen oder ähnlichem. Mögliche Überthemen: Der bedrohte Lebensraum, die Touristen, die bösen Regierungen, die Klimakatastrophe usw. Wir blenden nun noch eine unspektakuläre Sequenz mit dem Star des Abends ein und lassen mit Dämmerungsbild ausklingen.

Wollen wir aber den amerikanischen Markt beglücken, empfiehlt es sich, überhaupt unsichtbare Tiere als Sujet zu wählen. Dafür haben wir viel Zeit, die Forscher bei dramatischen Vorbereitungen, im Labor, vor dem Labor, im Jeep, neben dem Jeep, im Zelt, neben dem Zelt abzubilden.

Die Damen und Herren Forscher, die sich gerne als Naturburschen und -mädchen bärtig und/oder mit wallender Haarpracht präsentieren, schauen "very purposeful" drein, erklären das Ziel ihrer Bemühungen, hantieren unter langatmigen Erklärungen mit allerlei Apparaten - und am Ende hat man bestenfalls das Schwanzspitzerl von einem Viecherl (war es der sagenumwobene braunkarierte Rocky-Mountains-Waschbär oder ein vorbeigehuschter Foxl?) gesehen. Aber auch das werden wir problemlos verkaufen, vielleicht gerade deshalb, weil es so viele Hoffnungen offen läßt.

Der Autor ist Professor für Dermatologie und Venerologie in Graz.

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