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Wir sind die Fursprecher

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Fasziniert sind die Mittelosteuropäer an EU und NATO zwar offiziell noch immer. In der Bevölkerung einzelner Länder melden sich Zweifel.

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Fasziniert sind die Mittelosteuropäer an EU und NATO zwar offiziell noch immer. In der Bevölkerung einzelner Länder melden sich Zweifel.

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Heute stellt sich die Frage, welche Perspektiven sich für eine wirtschaftliche und politische Angleichung der zentral- und osteuropäischen Reformstaaten an den Westen bieten. Znächst ist zu bemerken, daß die einzelnen dieser Staaten von sehr unterschiedlichen Situationen ausgegangen sind und sich gegenwärtig auf einem jeweils verschiedenen Entwicklungsstand befinden.

Im jüngsten Jahrbuch der österreichischen Außenpolitik werden diese Länder in vier Gruppen eingeteilt: Die führenden Reformstaaten (Tschechische Republik, Slowakei, Polen, Ungarn und Slowenien), eine zweite Gruppe bestehend aus Bulgarien, Rumänien, Albanien und den baltischen Staaten, weiters die von kriegerischen Konflikten direkt oder indirekt betroffenen Länder und schließlich die Nachfolgerepubliken der Sowjetunion. Bei aller Fragwürdigkeit dieser Klassifizierung wird niemand bestreiten, daß jedenfalls Tschechien, Polen, Ungarn und Slowenien zu den Staaten zählen, die in ihren Beformen am weitesten fortgeschritten sind.

Bemerkenswerterweise liegen die Beformstaaten der ersten Kategorie alle in „Mitteleuropa”, also in jener Begion, die jahrhundertelang unter dem Zepter des Hauses Habsburg regiert wurde. Daraufhinzuweisen, daß diese zentral- und osteuropäischen Länder vielleicht auch aufgrund ihrer gemeinsamen politischen Geschichte mit Österreich einen vergleichsweise hohen Standard aufweisen, der sie in besonderem Maß befähigt, den Anschluß an Westeuropa rasch zu finden, sollte nicht bloß als nostalgische Feststellung abgetan werden. Im Gegenteil, es erscheint auch heute als durchaus politisch korrekt, wenn der österreichischen Außenpolitik eine spezifische Verantwortung für diese Länder auf ihrem Weg nach „Europa” zugewiesen wird.

In diesem Sinn hat sich übrigens die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihrer positiven Bewertung des österreichischen Bei-trittsantrags geäußert. Der Richtungsweiser nach Europa zeigt für die genannten Staaten direkt in die Europäische Union.

Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei haben mit der EU bereits sogenannte Europa-Abkommen geschlossen; das sind Assoziierungsverträge, die in der Beitrittsperspektive eine umfassende politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft vorsehen.

Offizielle Beitrittsgesuche haben aus der Fünfergruppe Polen, Ungarn und die Slowakei gestellt. Die selbstbewußte Führung Tschechiens strebt ebenfalls den EÜ-Beitritt an, meint aber, daß sie das Beitrittsziel angesichts der eindrucksvollen Wirt-

Redaktionelle Gestaltung: Franz Gansrigler schaftsdaten am ehesten erreichen wird und dazu die Stellung eines Beitrittsgesuchs nebensächlich ist. Slowenien kommt mit guten Fortschritten im Reformprozeß ebenfalls für eine baldige EU-Mitgliedschaft in Betracht, muß dafür aber im Verhältnis zu Italien noch die politischen Voraussetzungen schaffen. Was die demokratischen Prinzipien und die Bespektierung der Menschenrechte betrifft, wird gemeinhin die Mitgliedschaft im Europarat als Reifezeugnis für die osteuropäischen Reformstaaten angesehen. Die in Rede stehenden fünf mitteleuropäischen Reformstaaten sind schon Europaratsmitglieder und haben sich auch verbürgt, die weitgehenden Verpflichtungen aus der europäischen Menschenrechtskonvention zu beachten.

Im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben die fünf zentral- und osteuropäischen Staaten in ihrer geopolitischen Lage ein eminentes Interesse daran, in die westlichen Sicherheitsstrukturen eingebunden zu werden(siehe Interview auf Seite 14) und dies vor allem im Hinblick auf die labile Lage in Rußland. Dabei erscheint diesen Staaten auf weitere Sicht eine NATO-Mit-gliedschaft als wirksamste Verankerung in einem effektiven Sicherheitssystem erstrebenswert.

Die NATO hat auf die Veränderungen der geopolitischen Lage in Europa mit dem Angebot an die Reformstaaten Osteuropas, an den Aktivitäten des NATO-Kooperationsrates und dem Programm „Partnerschaft für den Frieden” teilzunehmen, rasch und flexibel reagiert.

Diese haben das Angebot angenommen und sind auf diese Weise in Nahebeziehungen mit der westlichen Verteidigungsorganisation eingetreten. Nach wie vor bleibt aber für sie der NATO-Vollbeitritt die attraktivste sicherheitspolitische Option, so wie die EU-Mitgliedschaft ihr eigentliches Ziel der politischen und wirtschaftlichen Anbindung an Westeuropa darstellt. Eine Reflexion über das künftige Schicksal der österreichischen Neutralität kann dieses neue Umfeld nicht außer acht lassen.

Die österreichische Außenpolitik bekennt sich zu einer Erweiterung der EU auf die zentral- und osteuropäischen Staaten und hat dabei durchaus eigene Interessen im Auge. Derzeit trägt Österreich ja als östliche Außengrenze der EU alle Lasten dieser Position.

Unser Land ist auch ein privilegierter Wirtschaftspartner dieser

Nachbarländer und böte sich schon aufgrund seiner Geographie und Geschichte als der Fürsprecher schlechthin für deren vollberechtigte Einbeziehung in das europäische Einigungswerk im Rahmen der EU an.

Die Unterstützungsmaßnahmen Österreichs für den osteuropäischen Reformprozeß im allgemeinen und für unsere Nachbarländer im besonderen können sich im Vergleich durchaus sehen lassen. In erstaunlich kurzer Zeit ist es Österreich gelungen, die Beziehungen mit diesen Ländern wieder zu beleben.

Die durch das Ende des Kommunismus erfolgte Öffnung Osteuropas führte zu einer Neubegegnung mit der kulturellen und sprachlichen Vielfalt in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Das Spannende dabei dürfte nicht so sehr in der Beobachtung der östlichen Reformprozesse liegen als vielmehr in den Auswirkungen dieser Wiederbegegnung auf Österreich selbst.

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