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Wir sind keine Insel der Stabilität mehr

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Die letzten Bastionen der Stabilität sind gefallen — das war die deprimierende Grundstimmung bei den Debatten der diesjährigen Währungskonferenz in Kopenhagen, in deren Mittelpunkt das derzeitige Sorgenkind Nr. 1 stand: die Inflation. Die schleichende Inflation begleitet uns als Dauergefahr, seit uns das Krisentraui.ia der Zwischenkriegszeit noch mehr im Nacken sitzt als die Inflationserfahrungen der beiden Nachkriegsperioden und seit die Sorge um Vollbeschäftigung alles überschattet.

Das führt selbst bei einem relativ geringen Ausmaß des jährlichen Kaufkraftschwundes zu einer Aushöhlung der Währungen, die nicht bagatellisiert werden darf: Auch nach dem Abschluß der Wiederaufbauperiode ist der Geldwert in den meisten Industriestaaten während der beiden letzten Jahrzehnte um mehr als die Hälfte gesunken. In manchen von ihnen hat die Untergrabung der Währung einen noch viel beängstigenderen Grad erreicht. Sehr wesentlich war aber bisher der Umstand, daß es stets einige wichtige Länder gegeben hat, deren Währungspolitik erfolgreicher gewesen ist. Inflationierende Länder mußten eine Einbuße ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten gewärtigen und waren schon aus diesem Grund genötigt, immer wieder energische Maßnahmen zur Bekämpfung des Geldwertschwundes zu ergreifen.

Heute ist das anders: Aus dem Kreise der Länder mit vorbildlicher Währungsstabilität ist eines nach dem anderen in den internationalen Inflationskonvoi eingeschwenkt: zuerst die USA, dann die Niederlande und Italien, kürzlich sogar die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz. Heute gibt es keine Vorbilder erfolgreichen Währungsschutzes mehr, und es besteht die große Gefahr, daß man sich damit zufriedengibt, wenn die Inflationsrate des eigenen Landes nicht größer ist als die der wichtigsten Handelspartner. Nicht minder gefährlich ist die Meinung, die kürzlich vom bisherigen parlamentarischen Staatssekretär im deutschen Wirtschaftsministerium vertreten wurde, eine jährliche Preissteigerungsrate von 3 bis 4 Prozent sei für die absehbare Zukunft unvermeidlich und man müsse sich darauf einrichten, „mit der Inflation zu leben“. Auch in unserem Land wurde vor kurzem von verantwortlicher Regierungsseite offiziell ein sehr freimütiges Bekenntnis zum Vorrang des Wirtschaftswachstums vor der Geldwerterhaltung abgelegt. Das alles ist schlechthin Defaitismus und Kapitulation vor einem Problem, das sicherlich zu den schwierigsten unter denen zählt, die uns heute gestellt sind, dem wir aber nicht wehrlos ausgeliefert sind. Die Meinung, daß Inflation auf längere Sicht dem Wirtschaftswachstum förderlich sei, ist in einer geldwertbewußten Konsumgesellschaft einfach ein Irrtum. Schon die Meinung, daß die Inflation der notwendige Preis für die Vollbeschäftigung sei, sollte der Vergangenheit angehören. Die Erhaltung der Kaufkraft des Geldes hindert weder die Be-schäftieunesmöelichkeit aller Arbeitswilligen und Arbeitsfähigen noch steht sie einem optimalen realen Wachstum der Wirtschaft entgegen. Im Gegenteil: die Inflation bringt einerseits Überbeschäftigung und zwingt anderseits immer wieder zu wachstumsabträglichen Bremsmanövern.

Die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaft, die moderne Konjunkturforschung und nicht zuletzt die zahllosen Erfahrungen aus der Praxis lehren uns, was zur Stabilisierung des Geldwertes geschehen sollte. Wir wissen aber auch, wie schwer es ist, alle Beteiligten zu bewegen, ihren Beitrag zu leisten. In einer freien pluralistischen Gesellschaft müssen viele zusammenwirken, um diese schicksalhafte Aufgabe zu meistern: Regierungen, Notenbanken, Sozialpartner und — nicht zuletzt — die öffentliche Meinung.

Zu den letzten Inseln der Stabilität, die von steigender Inflation überflutet wurden, zählt auch Österreich. Auch Österreich gehört heute zu den Ländern, in denen sich der Widerstand gegen die steigende Geldentwertung nicht mehr auf handelspolitische Argumente stützen kann. Von den für die Währung Verantwortlichen wird mit Recht erwartet — und der Notenbank durch Gesetz zur Pflicht gemacht —, daß der Wert des Geldes nicht nur in seinem Verhältnis zu den Währungen des Auslandes erhalten bleibt, sondern auch in seiner Kaufkraft im Inland. Alle die bekannten Argumente, die zugunsten der Stabilerhaltung des Geldwertes immer wieder vorgebracht werden, gelten in erster Linie für die innere Stabilität des Geldes: die Erhaltung der Funktionen des Geldes als generelles Tauschmittel, als Wertaufbewahrungsmittel und als Wertmaß, die Verantwortung gegenüber dem Sparer, der soziale Schutz jener Staatsbürger, die ihr Einkommen nicht so leicht den Geldwertveränderungen anpassen können. Die unsoziale Einkommensverteilung, die der ständige Geldwertverfall zur Folge hat, sollte besonders bei jenen wieder mehr Beachtung finden, die aus — vermutlich — sozialen Gründen das Inflationsrisiko zuwenig fürchten.

Daß es sich im Falle Österreichs nicht nur um eine kurze Welle höherer Inflationsraten handelt — etwa aus der Tücke der vorjährigen Bewegung des Lebenshaltungskostenindex — läßt die Prognose erwarten, die den Teilnehmern der letzten wirtschaftspolitischen Aussprache im Bundeskanzleramt vorgelegt wurde: Das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung nimmt an, daß die Teuerungsrate der Verbraucherpreise im I. Quartal 1971 über 5 Prozent steigen und erst im Laufe der Konjunkturabschwächung im 2. Halbjahr langsam auf 4 Prozent zurückgehen wird. Im Jahresdurchschnitt 1971 dürfte der Verbraucherpreisindex nach seiner Meinung ungefähr um 4,75 Prozent höher sein als 1970 und damit voraussichtlich höher als der Jahresab-stand 1969/70.

Prognosen werden in solchen Fällen erstellt, damit sie nicht zutreffen! Sie sollen alle Beteiligten auffordern, sie zu Fehlprognosen werden zu lassen. Neben dem Bundeshaushalt für das kommende Jahr wird für die weitere Preisentwicklung die Haltung der Sozialpartner in der angelaufenden Lohnrunde entscheidend sein Werden sich die Beteiligten an der kurzfristigen Entwicklung der Indexzahlen oder längerfristig, wachstumsfördernd orientieren? Der deutsche, in den USA lebende Gewerkschaftstheoretiker Goetz A. Briefs hat vor kurzem darauf hingewiesen, daß die Sozialpartner Kosten- und Preisstrukturen verursachen können, welche die Kreditpolitik der Zentralbank zu honorieren bat, auch auf die Gefahr von Inflation und — wie er hinzufügt — Defiziten in der Zahlungsbilanz. Er nennt dies „indirektes Mitbestimmungsrecht über das Geld- und Kreditvolumen“.

Angesichts der steigenden Verantwortung der Arbeits- und Kollektivvertragspartner für die Qualität der Währungen in den modernen demokratischen, verbandsorganisierten Industriestaaten könnte man heute die Meinung vertreten, unser internationales Währungssystem befinde sich nicht auf dem Gold-Devisen-

Standard noch auf dem Dollarstandard, sondern auf dem Sozialpartnerstandard! Die Lohnpolitik oder — umfassender — die Einkommenspolitik rückt damit als Mittel zur Kontrolle der Expansion der Masseneinkommen in die vorderste Fron: der Inflationsbekämpfung. Die Einkommenspolitik ist einer der jüngsten Zweige der Wirtschaftsund Sozialpolitik. Noch sind die Probleme zahlreicher als die praktischen Lösungsmöglichkeiten, die sich abzeichnen. Die österreichischen Erfahrungen sind aus manch guten Gründen nicht die schlechtesten. Es sollte der wirtschaftlichen und der sozialen Vernunft nicht allzu schwer gemacht werden, die Oberhand zu behalten. Dies wird um so leichter möglich sein, je mehr sich die Träger der Verantwortung für die Geldwerterhaltung, nämlich Regierung und Nationalbank, gleichsam als Partner der Sozialpartner, darüber im klaren sind, daß die Einkommenspolitik eine Unterstützung der Finanz- und Währungspolitik, nicht aber ihr Ersatz sein kann.

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