Wir und die Deutschen

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Die Furche-Herausgeber

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Längere Flüge haben ihr eigenes Drehbuch: Da ist plötzlich viel Zeit zum Denken, zum Dösen und Lesen - groß ist das Angebot von Zeitungen, national und international. Unterwegs vom armenischen Eriwan zurück nach Wien hat mein Medien-Hunger zuletzt vorrangig zwei aktuellen Themen gegolten: den Wahlen in Deutschland und Österreich.

Ungleicher medialer Grundton

Was mir bei der Lektüre besonders aufgefallen ist, war der ungleiche mediale Grundton gegenüber Politik und Politikern in beiden Nachbarländern - in Kommentaren, Interviews und Leserbriefen: ernsthaft und sachorientiert zumeist in den deutschen Zeitungen; süffisant, auch untergriffig, in zu vielen heimischen Medien.

Ich habe mich gefragt, was Parteien und ihre Spitzenleute hierorts so falsch und dort richtiger gemacht haben könnten. Waren nicht viele Konfliktthemen - Euro-Rettung und Steuern, Korruption und Wortbrüche durch Handlungszwänge etc. - letztlich die gleichen? Und ebenso manch menschliches Versagen?

Wie also erklärt sich die Ungleichheit? Sind unterschiedlich begabte Personen am Werk? Haben die Polarisierungen vergangener Jahre in Österreich zu viel an Asche zurückgelassen? Wird in der Wirtschaftsgroßmacht Deutschland einfach ernsthafter diskutiert - mit einer Streitkultur, die ihre Standpunkte mutig vertritt, ohne zu verletzen? Liegt bei uns über Politik und Medien ein aus der Kleinheit des Landes gewachsenes, unseliges Geflecht, gewebt aus Abhängigkeit und Abneigung, aus falscher Vertraulichkeit und latenter Bosheit?

Politik braucht Vertrauen

Ja, auch ich kenne die politischen Ränder, hinter denen meine Vermutung möglicherweise nicht mehr stimmt - dennoch behaupte ich: Die Zahl der Machthungrigen, der Lobbyisten und Lumpen in öffentlichen Funktionen ist in Österreich um nichts größer als anderswo. Und noch immer finden sich hier Menschen für politische Ämter, denen es nicht an privater Anständigkeit fehlt; die es gut mit diesem Land meinen und die dem Gemeinwohl dienen wollen. Und das unter hohem politisch-medialen Risiko - und im Wissen, dass diese Lebensphase weit öfter freudlos als ruhmreich endet.

Politik ist - gegen alle Vermutung - ein enorm schwieriges Geschäft geworden, überall: Sie muss sich heute zu allem bisher Notwendigen auch noch unter europäischen, globalen Entscheidungszwängen zurechtfinden. Sie hat mit einer nie da gewesenen "Medialisierung“ zu rechnen - mit gnadenlosen Verkürzungen und Zuspitzungen. Sie lebt im permanenten Spannungsfeld von Pragmatismus und Gesinnung. Und sie muss den tiefen Widerspruch auflösen, den ihr die repräsentative Demokratie aufhalst: Sie braucht "Volksvertreter“, die letztlich doch klüger denken und handeln als die Mehrheit der Bürger, die genau das aber ihr Wahlvolk nicht spüren lassen. Eine gewaltige Vorlage. Sie verdient - und davon lebt die Demokratie und unser Menschenbild - ein Mindestmaß an Grundvertrauen.

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